Es war die erste Gelegenheit für die Kanzlerin, nach der Zeit des Gezänks in der Koalition dem Parlament ihre Sicht der Dinge darzulegen. Wo aber demnächst gespart werden soll, bleibt weiter offen.

Berlin - Es war die erste Gelegenheit für die Kanzlerin, nach der Zeit des Gezänks in der Koalition dem Parlament ihre Sicht der Dinge darzulegen. Wo aber demnächst gespart werden soll, bleibt weiter offen. Die Opposition schäumt.

Nehmen wir einmal an, alle im Bundestag vertretenen Parteien hätten ein bisschen und keine ganz Recht. Könnte ja sein. Dann, so muss man nach der Debatte annehmen, wäre unser Parlament nur noch von Träumern, Verrückten und Urmenschen bevölkert.

Zum Beispiel sagte CDU/CSU-Fraktionschef Volker Kauder in Richtung SPD: "Ich glaube, Sie haben den Verstand verloren." SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier meinte zur Koalition: "Die Regierung steht mit beiden Beinen in den Wolken." Und Grünen-Kollegin Renate Künast bewertete das sonntägliche Treffen der Koalitionsspitzen in einem Berliner Edellokal bei Steak und gutem Tropfen so: "Das ist die Rückkehr zu archaischen Stammesbräuchen - der gemeinsame rituelle Genuss von rohem Fleisch."

Nun gut, das ist ein Stück Normalisierung. Der behagliche Kammerton, der zu großkoalitionären Zeiten im Bundestag gepflegt wurde, ist wieder einer derberen Ansprache gewichen. Das muss man nicht bedauern. Nach all der Zeit des Gezänks im Regierungsbündnis, das sich neuerdings nicht mehr schwarz-gelb, sondern stets "christlich-liberal" nennt, war die Generaldebatte eigentlich eine gute Gelegenheit für die Kanzlerin, Orientierung und Leitlinien zu geben. Hat sie die Chance genutzt?

Ja - auf ihre eigene Weise. Einmal mehr rechtfertigt sie die horrende Neuverschuldung mit dem Ausmaß der Krise. "Die Welt hat am Abgrund gestanden." Und sie verteidigt die ersten Maßnahmen der Koalition, auch das umstrittene Wachstumsbeschleunigungsgesetz - allerdings geht sie auf die besonders kritisierte Senkung der Mehrwertsteuer für die Hotellerie nicht ein. Aber auf Unternehmenssteuer, Erbschaftssteuer und die Anhebung von Kindergeld und Kinderfreibeträge. Dass Letzteres für die SPD "mit dem Wechsel in die Opposition zu einer nicht vernünftigen Sache mutiert", damit müsse die SPD fertig werden - "nicht wir".

Die Kanzlerin gab im Parlament auch einen Einblick in die Ergebnisse des Spitzengespräches vom Sonntag. Man werde in der Steuerpolitik daran festhalten, "Ungerechtigkeiten bei kleinen und mittleren Einkommen abzubauen". Aber alles beruhe auf den Steuereinnahmen des Staates, also werde man die Steuerschätzung abwarten. Doch Merkel macht klar: "Die Steuerreform bleibt auf der Tagesordnung." Das lässt vieles offen, und konkreter wird Merkel nicht.

Deutlicher wird sie bei einem Nebenthema. Eine Verschärfung der Zumutbarkeitsregeln bei Hartz IV lehnt sie ab. Hessens Roland Koch hatte so etwas nahegelegt. Die Kanzlerin hält die gesetzlichen Bestimmungen für ausreichend. Noch so ein Unterpunkt: Das Betreuungsgeld für Familien, die ihre Kinder nicht in eine Kita geben. Das Thema sei "noch nicht gelöst", sagt sie. Sie sehe die Probleme und wolle "falsche Effekte vermeiden". Klingt also nach einer Gutschein-Lösung. Die CSU wird das nicht freuen.

Eines aber bleibt weiter offen - wo nämlich demnächst gespart werden soll. Damit will sich SPD-Fraktionschef Steinmeier nicht zufrieden geben. Mit dem Thema werde die SPD die Regierung "treiben", droht er. Die Regierung werde sich vor dem Zorn der Bürger nicht verstecken können. "Nicht ganz bei Trost" finde er die, welche da große Steuersenkungsversprechen machen. Und Guido Westerwelle, den FDP-Chef, der neuerdings so laut die geistig-politische Wende ausruft, hat er besonders im Blick. Ob er es denn nicht "'ne Nummer kleiner" habe, will Steinmeier wissen. "Uns reichte schon die korrekte Anwendung der Grundrechenarten." Sein Gesamturteil: "Politisches Totalversagen." Zufriedener sind auch die Oppositionskollegen nicht mit der Regierung. Die Grünen-Politikerin Renate Künast findet sie "ohne Werte, ohne Ziele, ohne Pläne, ohne Mumm".

Die Koalitionäre beeindruckt das nicht. FDP-Fraktionschefin Birgit Homburger versteht die Entrüstung überhaupt nicht. Alles, was die Regierung bislang unternahm, habe in den Wahlprogrammen von Union und FDP gestanden. "Und wir sind nicht trotz, sondern wegen unseres klaren politischen Kurses gewählt worden." Im Übrigen habe der Staat gar "kein Einnahmeproblem, sondern ein Ausgabeproblem".

Volker Kauder redete sich schließlich manuskriptfrei in Rage. In der Koalition wehe "ein neuer Geist", wollte er erkannt haben. Die SPD dagegen habe in Zeiten ohne Krise eine Arbeitslosigkeit zu verantworten gehabt, die höher gewesen sei als heute in Zeiten der schwersten Krise. Die alten Partner Union und SPD sind also herzlich froh, sich nicht mehr gegenseitig loben zu müssen.