Jürgen Fleckenstein (rechts) informiert den Schiltacher Gemeinderat über das Thema unechte Teilortswahl. Foto: Wegner Foto: Schwarzwälder Bote

Kommunales: Jürgen Fleckenstein geht auf Vor- und Nachteile ein / Ortsverfassung bleibt unberührt

Über Vor- und Nachteile einer unechten Teilortswahl informierte Jürgen Fleckenstein in der Sitzung des Gemeinderats am Mittwoch. Fleckenstein, ein gebürtiger Schiltacher, ist Professor für Kommunalrecht an der Verwaltungs-Hochschule in Kehl.

Schiltach. Mit der unechten Teilortswahl, so führte Bürgermeister Thomas Haas in die Betrachtung Fleckensteins ein, habe man bei der großen Kommunalreform vor 50 Jahren den kleineren Ortsteilen garantieren wollen, dass diese im Gemeinderat vertreten seien. Zwischenzeitlich seien die Gemeinden gehalten, zwischen den einzelnen Kommunalwahlen darüber zu beraten, ob dies beibehalten werden soll oder nicht. Mit dem Vortrag von Fleckenstein wolle die Verwaltung "nur informieren ohne Beschlussvorschlag", so Haas und sah in Fleckenstein den optimalen Referenten, es sei "das Spezialgebiet des gebürtigen Schiltachers".

Viele Stunden, so erinnerte sich Jürgen Fleckenstein, habe er in der Grohe-Halle verbracht, in der der Gemeinderat coronabedingt tagte, und zählte turnerische und musikalische Betätigungen auf. Schiltach sei die zwölfte Gemeinde, in der er das Thema vorstelle.

Es gebe sowohl für die Beibehaltung wie auch für die Abschaffung der unechten Teilortswahl Argumente, teils weniger, teils mehr, aber das sei nicht das Entscheidende. Es komme auf die Gewichtung der Argumente in der jeweiligen Kommune an – und die könne durchaus überall anders ausfallen. Für eine Abschaffung spreche beispielsweise, dass Bezirke zusammengewachsen seien: Dort empfehle es sich zu überlegen, wie es künftig aussehen soll.

Mit einem oft gehörten Missverständnis räumte Fleckenstein gleich auf: Eine Abschaffung der unechten Teilortswahl ändere die Ortsverfassung nicht, Ortsvorsteher und Ortschaftsrat blieben weiter erhalten. Es gehe lediglich um die Garantie auf eine bestimmte Zahl von Vertretern jedes Ortsteils im gemeinsamen Gemeinderat. Sollte die Ortsverfassung geändert werden, müsste auch der Ortschaftsrat mitstimmen. Die unechte Teilortswahl sei übrigens eine Erfindung der Schwaben, meinte er mit leichtem Seitenhieb – und dann in die gemeinsame Landesverfassung Baden-Württemberg aufgenommen worden.

Dem Vorteil "garantierte Vertretung" stehe in anderen Gemeinden mittlerweile oft das Problem gegenüber, dass nicht mehr alle Sitze besetzt werden könnten, weil es nicht in allen Ortsteilen genügend Kandidaten der einzelnen Listen gebe – dies sei in Schiltach bislang aber keine Frage gewesen. Von Vorteil sei es auf jeden Fall, wenn Räte aus allen Ortsteilen im Gemeinderat vertreten seien, da diese bessere Kenntnisse über den jeweiligen Teilort hätten.

Schwierigkeiten, so räumte Fleckenstein ein, gebe es bei den Wahlen für manche Bürger hinsichtlich des Wahlprozederes – vor allem in Gemeinden mit mehreren Stimmbezirken. Man müsse genau aufpassen, in welchen Teil des Stimmzettels Bewerber übertragen würden – und manche würden gar – weil sie nur den Kandidaten eines Bezirks Stimmen zukommen lassen wollten – den Stimmzettel abschneiden, der dadurch dann ungültig werde.

So sieht Fleckenstein auch, dass durch die unechte Teilortswahl "die Grundsätze der Gleichheit und Freiheit der Wahl leiden", da das Wahlsystem kompliziert und fehleranfällig sei, sprach eine mögliche Vergrößerung des Ratsgremiums durch Überhangsitze an und sah auch ein Erschwernis im Zusammenwachsen der Ortsteile durch die Teilortswahl.

Die Zahl der jeweiligen Ratsvertreter sei an den Einwohnerzahlen zu orientieren, dies passe in Schiltach derzeit, auch wenn Lehengericht (ein Sitz pro 252,3 Einwohner, Schiltach ein Sitz pro 283,4 Einwohner) etwas überrepräsentiert sei – früher bei zehn zu vier Gemeinderäten noch stärker als heute mit elf zu drei. Nach den Maßstäben der Rechtsprechung sei die heutige leichte Verschiebung vollkommen unproblematisch, leichte Über- und Unterrepräsentation ließe sich eben nicht vermeiden.

Als Besonderheit der unechten Teilortswahl, die 2019 keine Überhangmandate in Schiltach erzeugt habe, sah Fleckenstein, dass es gleich zwei Mal Kandidaten gegeben habe, die deutlich mehr Stimmen gehabt hätten als andere und dennoch sei ein anderer mit weniger Stimmen eingezogen. So könne es durch die unechte Teilortswahl sein, dass nicht unbedingt diejenigen in den Gemeinderat kämen, die von den Bürgern aus ihrem Wohnbezirk die meisten Stimmen erhalten hätten.

Ohne die unechte Teilortswahl, so Fleckenstein, dürften beispielsweise Lehengerichter Wähler alle ihre (derzeit 14) Stimmen Lehengerichter Kandidaten geben (bisher maximal neun Stimmen) und es könnten auch mehr Bewerber aus Lehengericht in den Rat einziehen, rechnete Fleckenstein ein mögliches Szenario bei einer Abschaffung vor. So sei im manchen Orten beobachtet worden, dass nach Abschaffung die kleineren Wohnbezirke die Vertreterzahl erhöhen konnten. In Kehl beispielsweise habe dies sogar dazu geführt, dass die Ortsteile überrepräsentiert sind, da in der Kernstadt viele Franzosen lebten, die nicht wählen gingen.

Die Zahl der ungültigen Stimmzettel, so Fleckenstein, sei bei unechter Teilortswahl rund doppelt so hoch. In Schiltach lägen diese etwas geringer als im Landesschnitt, er habe aber "schon immer gewusst, das diese etwas intelligenter sind", schmunzelte Fleckenstein.

Auch die wohnbezirksbezogene Ungültigkeit liege in Schiltach deutlich niedriger als im Landesschnitt. Dies könne aber auch daran liegen, dass Schiltach nur zwei Wohnbezirke habe. Durch Ausgleichssitze, so zeigte Fleckenstein einen weiteren Nachteil der unechten Teilortswahl auf, könne sich das Vertretungsgewicht der Wohnbezirke verschieben, es gebe Fälle in Baden-Württemberg, bei denen sich das Gremium um die Hälfte vergrößere.

"Schön, dass bestätigt wurde, was wir wissen: dass wir etwas schlauer sind als andere", schmunzelte Haas – und größere ausländische Gruppen sah der Bürgermeister in Schiltach auch nicht – "außer Schwaben, aber die gehen auch zur Wahl".

Haas versicherte, dass die jetzige Überlegung keine Änderung hinsichtlich Ortschaftsrat und Ortsvorsteher beinhalte – diese sollen auch nicht abgeschafft werden. Die Anhörung des Ortschaftsrats zu dem Thema laufe und stehe bereits auf der Tagesordnung zur nächsten Sitzung. u Kommentar

Es gibt Untersuchungen von Städte- und Gemeindetag dazu, wie viele Stimmen in Gemeinden ohne unechte Teilortswahl üblicherweise ungültig sind/nicht vergeben werden und wie viele es in Gemeinden mit unechter Teilortswahl durchschnittlich sind.

In den Gemeinden ohne unechte Teilortswahl gehen circa 11,6 Prozent der möglichen Stimmen verloren, in Gemeinden mit unechter Teilortswahl sind es mit 23,3 Prozent etwa doppelt so viele. Zum einen liegt das daran, dass sich die Wähler auf die eigenen Kandidaten beschränken, zum anderen an der größeren Zahl ungültiger Stimmen bei unechter Teilortswahl, die häufig "wohnbezirksbezogen" ist, wenn zu vielen Kandidaten aus dem eigenen Wohnbezirk Stimmen gegeben werden.