Der Schiltacher "Bahnhofskrieg" von 1879 / Diskussion: badische oder württembergische Lösung
Von Hans Harter Schiltach. Nicht erst heute erweisen sich infrastrukturelle Maßnahmen wie der Bau eines Bahnhofs mit seinem platzgreifenden Flächenbedarf als problematisch: Wegen der Eingriffe in gewachsene Strukturen, Aufeinanderstoßens unterschiedlicher Interessen, wegen der hohen Kosten.So hatte auch Schiltach seinen "Bahnhofskrieg" im Jahr 1879, als im Zuge des Baus der Kinzigtalbahn die Suche nach dem "richtigen" Platz anstand. Sie gestaltete sich besonders schwierig, weil hier mit dem Königreich Württemberg und dem Großherzogtum Baden zwei souveräne Staaten als Bauherren aufeinander trafen, die auf ihre jeweiligen Interessen bedacht waren.
So plante man in Württemberg bereits damals die spätere Stichbahn nach Schramberg, deren Abzweigung man sich wegen "dem durch die Häuser erfüllten Thal" nur "oberhalb Schiltach" vorstellen konnte. Mittels einer Spitzkehre sollte sie den Schlossberg erklimmen und von dort ins Schiltachtal hinabführen. Deshalb sah man den Schiltacher Bahnhof im Osten vor, auf der "Aue".
Der Meinungsstreit wogt hin und her
Die badische Bahnverwaltung hingegen sah ihn "unterhalb Schiltach, auf dem rechten Kinzigufer". Da jede Seite vertraglich die Kosten für die Bahnstrecke "bis zum Bahnhof Schiltach" übernehmen sollte, Baden talauf- und Württemberg talabwärts, hätte Baden seine Baulinie um einen Kilometer verkürzt und wäre finanziell viel besser weggekommen.
Auch in Schiltach wogte der Meinungsstreit. Anlass war eine im "Rößle" abgehaltene Versammlung, bei der über 100 Unterschriften für die Ostlage des Bahnhofs gesammelt wurden. Die Versammlung war von der Schramberger Firma Faist und Compter veranlasst, die seit 1874 im Schiltacher Osten ein modernes Sägewerk betrieb (Obere Säge). Sie hatte ein großes Interesse, den Bahnhof in ihre Nähe zu bekommen, was sie sich bei jener Versammlung einiges an Freibier kosten ließ. Ansonsten hieß es, dass eine Westlage des Bahnhofs die dortige "schöne Kinzig-Wasserkraft" zerstöre und keine weitere Gewerbeansiedlung zulasse, außerdem würde der Bahnbetrieb in der Nähe der Kirche die Gottesdienste stören.
Die Gegenseite kritisierte die unter dubiosen Umständen zustande gekommene Petition der Rössle-Versammlung, zumal die Unterzeichner zu "Kreisen" gehörten, die "die wenigsten Steuern bezahlen und denen man deshalb die Fähigkeit, in solchen Fragen ein sachlich richtiges Urteil zu fällen, absprechen muß."
Wohl stand die Schiltacher Geschäftswelt für die "badische Lösung", ebenso die "Stadt": Es ging um die Gärten und Häuser auf der Aue, die man nicht opfern wollte. Von einer "mitten durch die Innenstadt" geführten Bahntrasse ganz zu schweigen. Auch der Holztransport aus dem oberen Kinzigtal spreche für die Westlage des Bahnhofs.
"Jedem Rindviehvor sei’ Tür"
In den Streit mischte sich auch der Buchdrucker und Volksdichter Gustav Eyth (1818 bis 1889) ein: In einem "Bahnhofslied" glossierte er nicht nur die Rößle-Versammlung ("Und man stritt sich und beriet sich, hier dagegen, dort dafür…"), er fand auch eine salomonische Lösung: "Und so bauet halt ’nen Bahnhof, wie ein Schäferkarren schier, den man wenden kann und schieben, jedem Rindvieh vor sei’ Tür." Für seine Titulierung der Versammlung als "G’schwätz-Komehde" wurde er anonym als "famoser Bahnhoflied-Dichter" angegriffen, und als weitere verunglimpfende Leserbriefe eintrafen, stellte der "Kinzigtäler" den Abdruck ein. 1881 trafen sich die Entscheidungsträger der beteiligten Bahnverwaltungen auf einer Konferenz in Hausach, die der badische Baudirektor Robert Gerwig, der Erbauer der Schwarzwaldbahn, vorbereitet hatte. Für ihn kam nur die Westlage des Bahnhofs in Frage, die er unter Hinweis auf die von dort aus praktischer und kürzer zu leistende künftige Anbindung von Schramberg dann durchsetzte: "Unterhalb der Stadt Schiltach, auf dem rechten Ufer der entlang der Station zu verlegenden Kinzig", wie es im "Hausacher Protokoll" heißt.
Es trafen nun Kolonnen von Technikern und Bauarbeitern ein, mehr als 1500, hauptsächlich Bayern und Italiener, die die Bahntrasse legten, den Tunnel am Lehen gruben und sich an die Verlegung der Kinzig machten. Sie lief bisher unterhalb der Kirche in einem großen Bogen zum gegenüberliegenden Berghang am Lehen und wurde nun um bis zu 150 m nach Süden verlegt, um Platz für den Bahnhof und die Gleisanlagen zu schaffen.
Dabei warf man, zum Leidwesen der Flößer, den hier gelegenen Kirchenweiher, die alte Schiltacher Spanstatt, zu, während die Kinzig auf einer Länge von etwa 350 m in ein in den Felsen gesprengtes, kanalartiges Bett gezwängt wurde. Zwei Brücken verbanden den 1886 eingeweihten Bahnhof mit der Landstraße gegenüber, und sie blieben nicht die einzigen im Gefolge des Bahnbaus entstandenen Bauwerke.
Neben den Anlagen für den Bahnbetrieb, wie Lokschuppen, Güterhalle, Stellwerken, Wasserturm und Drehscheibe, siedelte sich vor Heubach (damals: Gemeinde Kinzigtal) die "Dampfsäge" an; in Bahnhofsnähe entstand das "Bahnhofshotel", dass sich um das leibliche Wohl der immer mehr werdenden Bahnreisenden kümmerte. Bis heute wird man die "badische Lösung" für den Schiltacher Bahnhof als die stadtplanerisch und verkehrtechnisch bessere ansehen müssen.
Weitere Informationen: Kuntzemüller, in: Die Ortenau 1935; Harter/Rombach: Schiltach – Lieder und Gedichte, 2010; Verhandlungen der Württembergischen Abgeordneten-Kammer 1877 bis1880; Fautz: Die Flurnamen von Schiltach, 1941.