Schmucke erzgebirgische Kurrende-Figuren machen so einiges her.Foto: Kaiser Foto: Schwarzwälder Bote

Heimatgeschichte: Lange Tradition im Kinzigtal / Schon Goethe wusste von jenem Brauch

"In Mitten der Nacht, als Hirten erwacht." – Das "Weihnachtssingen", ein alter Brauch aus Franken wird erzählt: "An einigen Abenden vor dem Weihnachtsfest wanderten die Kinder von Haus zu Haus, klopften an, sangen Lieder und verkündigten die nahe Ankunft des Heilands. Zum Dank erhielten sie Äpfel, Birnen und Nüsse."

Schiltach. Advents- und Weihnachtslieder vorzutragen und dafür Gaben zu nehmen, war als "Weihnachtssingen" weit verbreitet. 1637 erlaubte es Nürnberg allen Schülern, Tübingen nur den "armen Schulknaben", um ihrer Not abzuhelfen. Das Christkind als Gabenbringer und das Beschenken der Kinder kam allgemein erst im 19. Jahrhundert auf, zuerst in adligen und bürgerlichen Familien. Martin Luther, der als 15-Jähriger für seinen Lebensunterhalt selbst sorgen musste, berichtet, dass er mit den Mitschülern "umsang".

Hirtensingen in Haslach

Sie bildeten eine "Kurrende", vom lateinischen Wort für "laufen", wie Kinder- und Jugendchöre in evangelischer Tradition noch heute heißen. Die Bürger warfen Essbares oder Geldstücke aus dem Fenster, sogenannte "Parteken", die aufzufangen Geschick erforderte. Luther: "Ich bin ein solcher Parteken-Hengst gewest und hab’ das Brot vor den Häusern genommen, sonderlich zu Eisenach, in meiner lieben Stadt."

Aus dem Kinzigtal überliefert Heinrich Hansjakob das Lied "Inmitten der Nacht – als Hirten erwacht – von oben es klinget – und Gloria singet – die englische Schar – ja, ja, geboren Gott war", das schon 1601 zum Repertoire der Weihnachtssänger gehörte.

Ihre Tradition lebt in Haslach beim "Hirtensingen" am 30. Dezember fort. In der Ortenau hießen sie "Schnitzsänger", weil sie mit gedörrten Apfel- und Birnenschnitzen belohnt wurden.

So ist auch die Nachricht aus Schiltach zu verstehen, dass es 1732 ein "Weihnachtssingen von denen jungen Burschen" gab. Auch hier gingen sie von Haus zu Haus, um Weihnachten zu verkünden und dazu Glück zu wünschen, wofür sie belohnt wurden. Dies war kein Betteln, sondern ein Heischebrauch, akzeptiert durch die Gegenseitigkeit von Gabe und Gegengabe – nicht anders wie bei dem noch immer lebendigen Kirbe- und Dreikönigssingen.

Was 1732 das Schiltacher Stadtgericht bewog, "das Weihnachtsingen gänzlich einzustellen und bloß dem Schulmeister allein zu gestatten", steht nicht geschrieben. Vielleicht störte das Unorganisierte "von denen jungen Burschen", weshalb man es dem Schulmeister übertrug, auch zur Aufbesserung seiner Besoldung.

Von Hof zu Hof unterwegs

1795 erfährt man, wie der Lehrer es gestaltete: Als "Umsingen" mit den älteren Schülern, nicht mehr im damals bettelarmen Städtchen, sondern im Lehengericht, von Hof zu Hof wandernd, Weihnachtslieder singend und Gaben heischend – wie in dem Schwarzwälder Lied "In Mueters Stübeli": "Du kriegsch e Weckeli un i e Bir (Birne), du stecksch der Speck in Sack un i der Ank (Butter)", wobei die kleinste Gabe zum Überleben in einer von Reichtum nicht verwöhnten Gesellschaft half.

Durch den Brauch geschützt, mussten die Armen sich nicht schämen, so hielt Goethe 1826 fest: "Sie bettelten nicht, sie heischten nur." Hier ging dies fast eine Woche und "es waren gute, nahrhafte Tage für Schulmeister und Schüler", die von den Bauern auch zum Essen und Trinken eingeladen wurden.

Doch kam die Klage "wenn nur kein Schnaps getrunken würde", was die Schulbehörde 1811 veranlasste, das Weihnachtssingen zu verbieten. Dass man in Schiltach auf das gemeinsame Lied mit den am Altjahrsabend die Staig herabkommenden Buben nicht verzichten wollte, war, wie der Heimatforscher Julius Hauth berichtet, die Geburt eines neuen Brauchs: des Silvesterzugs. Um ihn gibt es heute Sorgen: Dass er Corona-bedingt abgesagt wurde und dass nach 200 Jahren die Beteiligung schwindet. Ein Blick auf seine Anfänge könnte ihn nachhaltiger und familienfreundlicher gestalten – warum nicht durch Rückgriff auf Elemente des alten Weihnachtssingens?