Gute Erzähler: Klaus Grimm und seine Frau Linda. Foto: Mahn Foto: Schwarzwälder-Bote

Raunächte: Historischer Verein betritt mit erzählerischem Vortrag Neuland

Von Reinhard Mahn

Schiltach. Jahresabschluss-Veranstaltung der anderen Art: 40 Zuhörer kamen zum Vortragsabend des Historischen Vereins und der Volkshochschule Schiltach/Schenkenzell. Nicht geschichtliche Fakten sollten an diesem Abend im Vordergrund stehen, sondern Erzählungen, Überlieferungen und Bräuche aus der Zeit der Raunächte, den zwölf Nächten zwischen Weihnachten und Dreikönig.

Klaus Grimm sowie dessen Ehefrau Linda Tsardakas-Grimm, die mit ihrer Gitarrenmusik den Abend stimmungsvoll untermalte, entführten dabei das Publikum in eine andere Zeit. Die Tür zur Treffpunkt-Stube flog auf, und mit lauten Rufen "Hoho – Weg frei" stürmte eine mystische Gestalt mit schlohweiß wehenden Haaren in den Raum. Sie erzählte, dass sie – seit Ewigkeiten unterwegs – sich auch in heute noch immer wieder aufs Neue auf den Weg mache, um die Menschen vor den Gefahren in der Zeit der Raunächte zu warnen. Unvorsichtigen und Ahnungslosen, vor allem auch Kindern, sei er schon oft in letzter Minute beigestanden. Mehrfache, eindringliche Frage ans Publikum: "Kennt ihr mich? Wisst ihr, wer ich bin?"

In seinem langen Leben hätte er Bekanntschaft mit manch interessanten Menschen gemacht. Er müsse aber feststellen, dass das Wissen um die Raunächte und auch um seine Person seit einigen Generationen ständig schwinde. Als Mahner und Beschützer sei er früher sehr ernst genommen worden. Obwohl die Gefahren der Raunächte weiter aktuell seien, ließe die aufgeklärte Menschheit in ihrer Betriebsamkeit und Hektik keinen Platz mehr für Beschaulichkeit, innere Einkehr und die Wahrnehmung von Einflüssen aus den Grenzbereichen des Seins.

In der heute romantisch verklärten "guten alten Zeit", die für die meisten Menschen nur Armut, Entbehrung und Mangel bedeutete, sei man den Ereignissen des natürlichen Jahreslaufs noch sehr viel näher und den vielfältigen Gefahren unmittelbarer ausgesetzt gewesen. Um den direkten und oft fatalen Auswirkungen zu entgehen, nahm man die Überlieferungen ernst und stellte altes Wissen nicht in Frage. So bereitete man sich peinlich genau auf die Raunächte vor, die unterschiedliche Namen hatten und als heilige Zeit galten: Die Zwölften, Rauchnächte, Wolfsnächte und auch Glöckeltage. Ihre Entstehung verdanken die "aus der Zeit gefallenen" Tage nach der Wintersonnwende auch den mehrmals notwendigen Kalenderreformen, um den Gleichklang mit der Astronomie wieder herzustellen.

So feiern die orthodoxen Kirchen ihr Weihnachtsfest noch immer nach dem julianischen Kalender, also am 6. Januar. Diese Zeit "zwischen den Jahren" nutze das "Wilde Heer", dem auch die sagenhafte Frau Holle angehöre, zur Jagd. In den bitterkalten Winternächten blasen diese Gesellen, unter denen sich gute wie auch böse Wesen tummeln, zur ungestümen Ausfahrt durch das verschneite Land. Der Erzähler ließ durchblicken, dass er als Vorreiter dieser Gesellschaft den Weg frei mache und als Schutzgeist unvorsichtige Menschen vor Schaden bewahre. Der geheimnisvolle Alte nannte beispielhaft ein Erlebnis, das Goethe später in einem bekannten Gedicht in Worte fasste: Trotz der Warnungen der Mutter schickte der Vater seine Kinder abends noch auf den Weg, um Bier zu holen. Auf dem Heimweg wurden sie von den durstigen wilden Jägern überrascht. Aus Angst vor Strafe versteckten sie das Bier. "Trotzdem ermunterte ich sie, die durstigen Wilden trinken zu lassen", so der Erzähler, "denn es sollte ihnen kein Schaden draus entstehen". Er gab den Kindern aber auf, mit niemanden darüber zu reden. Voll Angst und mit leeren Krügen machten sie sich auf den Heimweg, wo sich die Gefäße wundersam mit Bier füllten und auch nach vielen Runden nicht leerten. Erst als die Kinder das Erlebte preisgaben, war der Zauber verflogen und die Krüge füllten sich nicht mehr.

Der Alte riet, vor den Raunächten Ordnung zu schaffen und unerledigte Angelegenheiten abzuschließen, Waschen und Putzen sei zu unterlassen. Viel Licht sei hilfreich, die dunklen Wesen zu vertreiben, auch das Räuchern mit Wacholder und Salbei hätte sich vielfach bewährt. Um die hungrigen Jäger zu besänftigen, könne um die Bäume des Gartens Obst ausgelegt werden. "Seien Sie dabei aber nicht zu sparsam".

Zum Schluss brachte Grimm Licht in das Geheimnis um die Rolle, in die er geschlüpft war. Als Schutzgeist Eckart sei er über die Jahrhunderte auf vielen Gemälden verewigt, auch das genannte Goethe-Gedicht "Der getreue Eckart" trage seinen Namen.