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Die S1 bis Kirchheim/Teck nimmt am 13. Dezember ihren Betrieb auf, die S60 Böblingen-Renningen und die S4 bis Backnang werden gerade gebaut.

Stuttgart _ Die S1 bis Kirchheim/Teck nimmt am 13. Dezember ihren Betrieb auf, die S60 Böblingen-Renningen und die S4 bis Backnang werden gerade gebaut. Die Region hat nun untersuchen lassen, wo man in diesem Jahrhundert sonst noch Bahnen aufs Gleis setzen könnte.

Studie zur Zukunft des Schienenverkehrs in der Region Stuttgart heißt die Untersuchung, die auch eine gehörige Portion Utopie enthält. Zumindest wenn man den Zeitraum betrachtet, für den die Studie gelten soll. Bis 2025 dürfte kaum eines der neuen Projekte umgesetzt sein. Jürgen Wurmthaler vom Verband Region gibt sich allerdings als Optimist: "Als der Verband 1994 gegründet wurde, gab es auch Leute, die gesagt haben, im S-Bahn-Bereich muss nichts mehr passieren." 15 Jahre später werden 220 Millionen Euro in drei neue Strecken investiert.

Die Untersuchung

Das Verkehrswissenschaftliche Institut der Universität Stuttgart hat im Auftrag des Verbands rund hundert Möglichkeiten unter die Lupe genommen, die S-Bahn-Linien zu verlängern oder Querverbindungen zu schaffen. Wo es zu hügelig ist, könnte dies auf Stadtbahn-Standard geschehen - wenngleich die Planer die eigentliche Stadtbahn außen vorgelassen haben. Die ist Sache der Landeshauptstadt. Untersucht wurde unter anderem, um wie viel sich die Fahrtzeit an bestehenden Strecken durch eine S-Bahn verkürzen würde, mit wie viel Fahrgästen zu rechnen ist, wie aufwendig ein Neubau wäre.

Das Ergebnis

Am besten bewertet die Studie die Verlängerung der S1 von Plochingen bis Süßen hinter Göppingen und die Verlängerung der S5 von Bietigheim bis Vaihingen/Enz. Grund: Auf diesen Strecken fahren bereits Regionalzüge oder sogar Fernzüge, die Gleise sind also verkehrstauglich. Eine separate Studie für die Strecke in den Kreis Göppingen hat im Frühjahr ergeben, dass zehn neue Züge für rund 50 Millionen Euro hermüssten und dass die Bahn 19 Millionen in die Bahnhöfe stecken müsste. Weitere 1,5 bis 2,5 Millionen Euro jährlich für die Integration des Kreises in den Verkehrsverbund Stuttgart dazugenommen, rechnen die Gutachter mit 3800 zusätzlichen Fahrgästen täglich auf der Strecke. In einem zweiten Schritt könnte die S1 noch bis Donzdorf, die S5 bis Vaihingen-Enzweihingen verlängert werden - beide auf brachliegenden Strecken.

Die Chancen

Die Verlängerung der S2 von Filderstadt-Bernhausen bis Neuhausen auf den Fildern wäre sinnvoll, wenn Stuttgart 21 fertig ist und die Stadtbahn U6 vom Fasanenhof - wo sie im Dezember 2010 ankommen soll - weiter bis zur Messe fährt. Allein der Bau dieses Abschnitts würde rund 155 Millionen Euro kosten. Das hat eine Studie ebenfalls aus diesem Jahr ergeben. Planerisch ist die S2 bis Neuhausen am weitesten von allen Zukunftsprojekten. Mit der neuen Neckarbrücke in Bad Cannstatt könnte auch eine zweite Tangential-S-Bahn zwischen Ludwigsburg und Donzdorf oder Kirchheim/Teck entstehen, die wie die S60 nicht über den Hauptbahnhof führen würde.

Die Utopie

Mit der Neubaustrecke Stuttgart-Ulm wäre ein Ringschluss von S2 und S1 zwischen Neuhausen und Plochingen ebenso möglich wie eine dritte Querverbindung namens S8 zwischen Böblingen und Nürtingen. Da diese Neubauten immense Summen verschlingen, könnte es sein, dass sie keiner der heute bereits Geborenen noch erleben wird.

Die Verlierer

Unter den gewogenen und für zu leicht befundenen befinden sich vor allem Projekte, die aus der Region hinausführen würden. Das hat damit zu tun, dass sich die Regionalversammlung nicht zuständig fühlt, aber auch damit, dass S-Bahnen, die zu weit von Stuttgart wegführen, weniger Fahrgäste erwarten lassen. Ausgeschieden sind etwa die Verlängerung der S1 von Herrenberg nach Bondorf (Kreis Böblingen), wo auch der Regionalzug hinfährt oder die Verlängerung der S3 von Backnang nach Murrhardt und Schwäbisch Hall. Auch die Verlängerungen der S6 nach Calw und der S1 nach Nagold werden vernachlässigt - allerdings nicht ganz, da der Kreis Calw sie vorantreibt. Dieser Landkreis hat bisher überhaupt keinen Schienenanschluss an die Region.

Die Nebengeräusche

Nicht überall lohnt sich eine S-Bahn. Auf kürzeren oder hügeligen Strecken scheint den Gutachtern eine Art Stadtbahn oder Nebenbahn wie die Strohgäubahn besser geeignet. Dazu gehört die Reaktivierung der Strecke Markgröningen-Ludwigsburg mit einem Neubau bis Remseck (Anschluss an die U14) oder sogar bis Waiblingen, was ebenfalls schon genauer untersucht wurde. Außerdem die Reaktivierungen zwischen Göppingen und Bad Boll (mit möglichem Neubau bis Weilheim/Teck), Weilheim und Kirchheim/Teck sowie Marbach und Großbottwar (mit denkbarer Weiterführung bis Heilbronn). Mit Ausnahme der Strecke über die Filder ins Neckartal schützt die Region alle Trassen in ihrem Regionalplan vor anderen Planungen. Damit aus der reinen Zukunftsmusik vielleicht doch irgendwann einmal Realität wird.

Die Nachtzüge

Die Gutachter beschäftigen sich aber nicht nur mit dem Ausbau des Netzes, sondern auch mit Verbesserungen des bestehenden Betriebs. Sie fanden heraus, dass der Takt in Stuttgart nicht mit dem in Regionen wie Hamburg, Frankfurt, München, Rhein-Ruhr oder Berlin konkurrieren kann - zumindest außerhalb der Stoßzeiten und in den Nächten am Wochenende. Der regionale Verkehrsausschuss hat daraufhin Ende September schnell beschlossen, in den Nächten zum Samstag und zum Sonntag sowie vor Feiertagen nachts eine zusätzliche Abfahrt auf allen Linien einzuführen. Dafür bezahlt der Verband der Bahn jährlich rund 332000 Euro zusätzlich. Das Angebot gibt es mit dem neuen Fahrplan erstmals in der Nacht zum 19. Dezember. Außerdem wird ernsthaft darüber diskutiert, in nicht allzu ferner Zukunft die S-Bahn am Wochenende die ganze Nacht hindurch im Stundentakt fahren zu lassen. Unter der Woche könnte es zumindest einen Zwei-Stunden-Takt geben, der auch eine Chance für frühe Kunden des Flughafens sein könnte.

Der neue Takt

Zunächst einmal soll aber der 15-Minuten-Takt zu Hauptverkehrszeiten auf allen Linien ähnlich werden. Zurzeit beginnt er etwa auf der S1 werktags um 4.47 Uhr, auf der S4 aber erst um 5.54 Uhr. Andererseits endet er auf der S6 samstags um 19.18 Uhr, auf anderen Linien aber schon eine Stunde früher. "Wir wollen im gesamten Netz einen gleichwertigen Takt anbieten", sagt Infrastrukturdirektor Wurmthaler. Und möglichst auch ausweiten. Das könnte die Zukunft des Schienenverkehrs in der Region schon in den nächsten Jahren stärken.