Die Glocken der Pfarrkirche St. Ulrich läuten in den kommenden Tagen nicht.Foto: Sum Foto: Schwarzwälder Bote

Glaube: Jahrhundertelanger Brauch in der Karwoche

Die Kirchenglocken der Pfarrkirche Sankt Ulrich werden bald verstummen. Das Angelusläuten morgens, zur Mittagszeit und abends ist dann nicht mehr zu hören. Dies aber nur für wenige Tage – Blick auf einen in jahrhundertealten Brauch in der Karwoche.

Schenkenzell. In allen katholischen Kirchen schweigen dann aus Trauer um das Leiden und Sterben Jesu Christi vom Gloria der Messe vom letzten Abendmahl am Abend des Gründonnerstags bis zum Gloria in der Feier der Osternacht die Glocken. Weder am Karfreitag noch am Karsamstag gibt es ein Geläut, kein Klang der fünf Glocken der katholischen Pfarrkirche mit den Namen Luitgard, Sankt Ulrich, Maria, Christus und Johann der Täufer.

Für Kinder war das vielfach in früherer Zeit unverständlich. Im Volksmund hieß es dann zur Erklärung: "Die Glocken fliegen nach Rom und bringen den Osterhasen".

Die Glocken werden durch eine Rätsche vor der Kirche und die Schellen der Ministranten in der Kirche durch Handklöppel ersetzt. Alle Klangkörper sind aus Holz. Die Rätsche der Pfarrgemeinde ist wohl noch aus dem 19. Jahrhundert – aber noch sehr gut in Schuss. Die einzelnen Holzteile mussten in der Vergangenheit wohl immer wieder ersetzt werden. Denn beim Rätschen ging es immer ordentlich zur Sache.

Es musste letztendlich ein ordentliches Geräusch herauskommen, um die Christen auf den Kirchgang aufmerksam zu machen. Das erforderte Kondition und Ausdauer. Bei den Ministranten bestand dafür immer ein großes Interesse. Streitereien unter ihnen blieben nicht aus. Letztendlich ging es dann aber nach der Hierarchie – zuerst kam der "Obermini" an die Reihe, bis zu fünf Ministranten kamen beim Rätschen zum Einsatz.

Das Rätschen ist ein alter Brauch in katholischen Gemeinden. Ein Brauch, der in der Karwoche stets gepflegt wird, dieses Jahr wird er wegen der Corona-Krise erstmals ausfallen.

Etwas Bemerkenswertes ereignete sich im Jahr 1938: Am Karfreitag wurde mit der Rätsche, die immer rechts vom Kircheneingang stand, noch gerätscht. Als am Karsamstag, dem 16. April 1938, morgens um 6 Uhr zum Frühgottesdienst die Rätsche betätigt werden sollte, war keine mehr da – große Aufregung unter den Gläubigen: Die Rätsche war schlicht und einfach verschwunden. Mesner Rudolf Kilgus war ganz außer sich.

Auch der neue Ortspfarrer Alois Siegel, erst seit wenigen Wochen in Schenkenzell, hatte für das Verschwinden der Rätsche keine Erklärung. Die Ortspolizeibehörde und die Gendarmerie wurden eingeschaltet. Mesner Kilgus machte die Aussage, dass die Rätsche am Vorabend vor Einbruch der Dunkelheit noch an ihrem Platz stand. Er nahm an, dass einige Schiltacher Burschen am Verschwinden beteiligt waren, denn schon am Karfreitag haben dieselben während des Abendgottesdiensts die Rätsche betätigt und für Unstimmigkeit gesorgt.

Metzger Franz Armbruster, ein weiterer Zeuge, hörte um Mitternacht auf der Straße vor seinem Haus (Metzgerhäusle) ein bestimmtes Geräusch. "Ich bin aufgestanden und bemerkte auf der Straße ein Motorrad und drei Personen. Einer derselben hatte auf dem Rücken eine Kiste. Erst als ich von dem Vorfall erfuhr, war ich überzeugt, dass es die Rätsche war, die der Mann auf dem Rücken hatte. Erkannt habe ich nur den Fahrer des Motorrads", so Franz Armbruster.

Die Täter waren dann schnell ermittelt. Sie gestanden auch gleich. Der Diebstahl hatte ihnen offensichtlich Spaß gemacht. Am Stammtisch "Bierfritz" in Schiltach wurde der Plan geschmiedet. Eine Wette: Rätsche gegen Bierhumpen. Gegen Mitternacht fuhren die drei Schiltacher nach Schenkenzell und holten die Karfreitagsrätsche. Groß war das Geschrei, als die Drei mit der Rätsche im "Bierfritz" bei ihren Stammtischbrüdern auftauchten. Das Bier floss in Mengen. An das Zurückbringen der Rätsche aber dachte niemand mehr. Der "Rädelsführer" beteuerte später: "Wir wollten sie in der gleichen Nacht wieder zurückbringen, kamen aber nicht mehr dazu – infolge zu viel genossenen Alkohols."

Mesner Rudolf Kilgus war dann erleichtert, als die Rätsche am Karsamstag-Abend zum Auferstehungsfest wieder genutzt werden konnte.