Muskelbepackt und waffenklirrend: Der Engländer Kevin Lee gibt in chinesischen Filmen den Bösewicht. Foto: Verleih

In Hollywood sind die Bösen meist Russen, Nordkoreaner oder Araber. In chinesischen Spielfilmen gibt der Brite Kevin Lee den Schurken vom Dienst und lässt sich dabei von „Helden“ verprügeln, die ihm im echten Leben kaum bis zur Schulter reichen.

Ganz gleich, wie der Film endet, am Schluss ist Kevin Lee meist tot – zur großen Freude des Publikums. Denn in China ist der Brite der Bösewicht vom Dienst, sein Tod fast schon eine Voraussetzung für das Happy End. Ob als Auftragskiller in Jacky Chans „Kung Fu Yoga“, als Monster in dem Fantasy-Film „Super me“ oder als amerikanischer Oberst in „The Battle at Lake Changjin“, Lee ist der Feind, den es zu überwinden gilt. Die Rolle, die in Hollywood meist Russen, Nordkoreanern oder Arabern zugewiesen wird, in China erfüllt sie ein muskelbepackter Hüne aus Cambridgeshire.

Er sei schon als Kind ein Fan der chinesischen Kampfkunst gewesen, erzählt der 41-Jährige aus Huntingdon. Die Helden seiner Kindheit: Bruce Lee und Jacky Chan. 2004 erfüllte sich Lee einen Traum und ging für ein Jahr nach China, um Kampfsport zu studieren. Zurück in England arbeitete er im Krankenhaus, beim Videoverleih, räumte Supermarktregale ein. „Ich habe überall gearbeitet, aber das war alles nichts für mich.“

Begegnung mit Folgen

Auch ließ ihn die Erinnerung an China nicht los. 2010 flog er erneut nach Peking und arbeitete als Finanzberater, bevor sein zweiter Traum in Erfüllung ging. „Ich hatte davon geträumt, Schauspieler zu werden, hatte in London auch drei Jahre Schauspielerei studiert“, erzählt Lee. Kleinere Projekte folgten, bis er bei der Visa-Stelle Wu Jing in die Arme lief. „Wu Jing war damals ein aufsteigender Star, und ich hatte zufällig am Abend davor einen seiner Filme gesehen. Also sprach ich ihn an.“

Die beiden kamen ins Gespräch, irgendwann erklärte Wu Jing, dass er einen „großen Kerl“ für einen neuen Film brauche. Wenige Woche später fand sich Lee als Nebendarsteller in Wu Jings Regiedebüt „Wolf Warrior“ wieder, ein Actionfilm, der 2014 in die chinesischen Kinos kam, zum Kassenschlager wurde und den 1,98 Meter großen Lee mit einem Mal bekannt macht. Inzwischen steht Lee mit seinen Idolen vor der Kamera, er hat seine Rolle gefunden. „Ich war einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort und habe den Bullen bei den Hörnern gepackt.“

Bösewicht vom Dienst

Es war der Auftakt zu einer ganzen Reihe von Filmen, in denen Lee den Schurken gab. Stört es ihn nicht, immer den Bösen zu spielen? „Nicht wirklich, auch wenn es sich komisch anfühlt, gegen einen Gegner verlieren zu müssen, der nur halb so groß ist.“

Auch im Westen müsse sich der Held meist mit einem größeren Gegner herumschlagen. David schlägt Goliath, ein Prinzip, das nicht nur in Hollywood ankommt. „Natürlich würde ich gerne mal den Guten spielen, aber das chinesische Publikum bevorzugt chinesische Helden. Das wird also noch ein paar Jahre dauern.“

Lynchaufrufe im Netz

Höhepunkt seiner Karriere war bislang seine Rolle in dem 200 Millionen Dollar teuren Kriegsfilm „The Battle at Lake Changjin“. Der Film spielte 904 Millionen Dollar ein, gilt im Westen aber als Propagandastreifen, da der Blockbuster einen Sieg im Korea-Krieg feiert, den es so nicht gab, und den Tod fürs chinesische Vaterland preist.

Im Internet wurde Lee daraufhin als Verräter und Puppe Chinas geschmäht – Lynchaufrufe inklusive. Ein Vorwurf, der den Briten nicht ganz kaltlässt. „Der Erfolg bringt Hass mit sich, das ist nun mal so“, meint Lee. Er habe mehr als 20 Actionfilme gedreht, gerade mal zwei davon könne man als Propaganda bezeichnen. Das mache ihn aber nicht zur Puppe Chinas. „Die Regierung hat vielleicht das letzte Wort, aber sie kontrolliert die Filmindustrie nicht. Niemand sagt mir, was ich zu tun und welche Rolle ich anzunehmen habe. Ich bin einfach ein Schauspieler, der versucht, seinen Traum zu leben.“

Warten auf den Anruf aus Hollywood

Um diesen Traum zu erreichen, habe er seine Komfortzone verlassen, sagt Lee. „Man darf nicht darauf warten, dass etwas passiert, sondern muss selbst die Initiative ergreifen. Wenn ich damals Wu Jing nicht angesprochen hätte, wäre ich nie so weit gekommen.“ Wobei ihm eines wichtig ist: „Bitte schreiben Sie nicht, dass ich in China ein Superstar bin und Millionen verdiene. Ich wünschte, es wäre so. Ich habe mir mit harter Arbeit einen Namen gemacht.“ Mehr aber auch nicht. Auch sonst ist Lee bescheiden geblieben, jede Anfrage wird persönlich beantwortet, rund 2500 bislang: „Man darf nicht nur nehmen, sondern muss auch geben.“

Seit zehn Jahren ist Lee im Geschäft. Technisch habe die chinesische Filmindustrie in dieser Zeit einen Riesensprung gemacht. Einzig die Zensur schmerzt, die Grenzen des Sagbaren sind bisweilen eng. Derzeit hofft Lee auf eine Rolle an der Seite des Schauspielers Andy Lau. Und irgendwann, in ferner Zukunft, auf einen Anruf aus Hollywood, auf eine Rolle an der Seite von Stars wie Tom Cruise – nicht zuletzt um seine Schauspielerei zu verbessern.

Wer weiß? Vielleicht springt dann eine Hauptrolle raus, vielleicht kann Lee endlich mal den Guten mimen – und endet ausnahmsweise nicht mit einem Kopfschuss.

Chinas Kampf gegen Hollywood

Konkurrenz
 China schickt sich an, Hollywood den Rang abzulaufen. Technisch hat das Land bereits gleichgezogen, 2021 waren zudem zwei der drei erfolgreichsten Filme des Jahres aus China – da musste sich selbst James Bond geschlagen geben. Vor dem Tod Mao Tse-tungs und dem Ende der Kulturrevolution 1976 war der chinesische Film weniger künstlerisches Medium als vielmehr plumpe Propaganda, da wurden pausenlos Lieder geschmettert, die den „Großen Steuermann“ priesen.

Propaganda
 Seit dem Amtsantritt von Xi Jinping wird die Filmindustrie wieder verstärkt für Propaganda genutzt. Bis 2049, zum 100-jährigen Bestehen der Volksrepublik, soll China die dominierende Weltmacht werden, wobei der Filmindustrie eine besondere Rolle zukommt, soll sie doch Hollywood und mit ihm westliche Werte vom chinesischen Markt verdrängen.

Markt
Anders als Hollywood ist China nicht darauf angewiesen, seine Filme zu exportieren. Während Hollywood Filme umschreibt, um die Machthaber in Peking nicht zu verärgern, nutzt die Kommunistische Partei die Filme, um Chinas Modell anzupreisen und das Volk auf eine Auseinandersetzung mit den USA vorzubereiten.