Der Angriff der Hamas auf Israel kommt dem saudischen Kronprinzen ungelegen. Denn um sein Land zu modernisieren, braucht er Ruhe. Doch jetzt duckt er sich weg.
Eigentlich hätte Mohammed bin Salman derzeit Grund zum Feiern: Der saudische Kronprinz kann fest damit rechnen, dass sein Land im Jahr 2034 die Fußball-WM ausrichten wird. Damit kommt MBS, wie der Thronfolger genannt wird, seinem Ziel näher, Saudi-Arabien zu einem internationalen Magneten für Sport und Tourismus zu machen. Doch der neue Krieg in Gaza ist Gift für die großen Pläne des Prinzen, der für die Modernisierung des saudischen Staates regionale Stabilität braucht.
Als wirtschaftlich stärkstes arabisches Land und Hüterin der islamischen Heiligtümer in Mekka und Medina ist Saudi-Arabien die unumstrittene Führungsmacht in der arabischen Welt. Doch während sich Katar und Ägypten als Vermittler einsetzen, gehen von Riad seit dem 7. Oktober keine großen Initiativen für die Entschärfung des Gaza-Krieges aus. Das gilt auch für die neue Vereinbarung, mit der seit Mittwoch Ausländer aus Gaza herausgeholt werden.
„Saudi-Arabien ist nicht zu gebrauchen“
Die saudische Regierung hat zwar die Gewalt in Gaza verurteilt, viele Gespräche geführt und eine Sondersitzung der Arabischen Liga für den 11. November einberufen. Doch gebracht habe das nicht viel, merkt der Nahost-Experte Stephen Cook von der US-Denkfabrik CFR an: Riad sei aktiv, ohne wirklich zu handeln, schrieb Cook in der Zeitschrift „Foreign Policy“. Er zitierte einen US-Regierungsvertreter mit den Worten, für Lösungen im Gaza-Krieg sei Saudi-Arabien nicht zu gebrauchen.
Dabei beansprucht Mohammed bin Salman für sein Land eine Führungsrolle. Er hat die Beziehungen Saudi-Arabiens mit China und Russland ausgebaut, das Verhältnis zum regionalen Rivalen Iran normalisiert, Verhandlungen über eine Annäherung an Israel geführt und sich in Friedensbemühungen für den Sudan und die Ukraine eingeschaltet. Doch im neuen Krieg vor der eigenen Haustür geht er auf Tauchstation.
Die Annäherung an Israel ist kein Thema mehr
MBS stecke in der Klemme, erläutert Sebastian Sons von der Bonner Denkfabrik Carpo. Dem saudischen Kronprinzen sei einerseits klar, „dass man öffentlich Solidarität mit den Palästinensern zeigen muss und dass die Annäherung an Israel derzeit kein Thema ist.“ Alles andere würde in der eigenen Bevölkerung, aber auch in der gesamten arabischen Welt nicht gut ankommen. „Auf der anderen Seite sieht Riad die Gewalteskalation sehr, sehr kritisch, gerade weil man regionale Stabilität benötigt, um die eigenen wirtschaftlichen Ziele umzusetzen.“
Im Gespräch mit US-Senatoren in Riad zeigte sich MBS sehr besorgt über die Konsequenzen einer massiven israelischen Bodenoffensive in Gaza, wie die „New York Times“ berichtete. Ein Großeinsatz israelischer Bodentruppen wäre eine potenzielle Katastrophe für die gesamte Region, befürchtet die saudische Regierung demnach. Dazu kommt, dass die iranisch unterstützten Huthi-Rebellen im Jemen in Gaza mitmischen wollen und Raketen über saudisches Gebiet hinweg in Richtung Israel feuern. „Für Saudi-Arabien ist die Südgrenze zum Jemen wieder zum Problem geworden“, sagte Sons unserer Zeitung.
Selbst will das Land nicht eingreifen
Ein weiteres Hindernis für Saudi-Arabien sei, dass Israel alle Appelle zur Einstellung der Angriffe in Gaza ablehne, sagte Omar Rahman von der Denkfabrik ME-Council in Katar unserer Zeitung. „Wenn die Saudis nicht selbst militärisch eingreifen möchten, was sie ganz bestimmt nicht wollen, können sie deshalb nicht viel mehr tun, als Erklärungen abzugeben und humanitäre Hilfe anzubieten.“ Man sollte die saudischen Einflussmöglichkeiten nicht überschätzen, meinte Sons. Riad könne höchstens zusammen mit anderen Ländern wie Katar etwas bewirken.
Die regionale Instabilität durch den Gaza-Krieg ist das Gegenteil von dem, was MBS für sein Modernisierungsprojekt braucht. Auch sein Plan, Saudi-Arabien im Rahmen einer Normalisierung mit Israel mehr Handel und Technologie-Transfer sowie mehr militärischen Schutz durch die USA zu verschaffen, ist erst einmal gescheitert. Schon vor dem 7. Oktober habe es wegen der unnachgiebigen israelischen Haltung in der Palästinenserfrage im Normalisierungsprozess gehakt, sagt Nahost-Experte Rahman. Israel habe nun einmal „die rechteste Regierung in seiner Geschichte“.
Ob die saudisch-israelische Annäherung für alle Zeiten vom Tisch ist, wird sich erst nach einem Ende der Kämpfe zeigen. Sebastian Sons hält neue Verhandlung nicht für absolut unmöglich. „Auch in Saudi-Arabien gilt: Sag niemals nie.“ Wenn der Krieg einmal vorbei sei, „könnte ich mir vorstellen, dass die Gespräche in fernerer Zukunft wieder aufgenommen werden“. Bis dahin muss Kronprinz Mohammed mit einem instabilen Nahen Osten fertig werden.