Die neue Turbodatenbank Hana stimmt ihn höchst zuversichtlich: SAP-Chef Jim Hagemann Snabe im Rechenzentrum der Softwareschmiede in St. Leon-Rot Foto: Reto Klar

Mit seiner Turbodatenbank Hana hat sich die Walldorfer Softwareschmiede SAP neu erfunden. SAP-Vorstandschef Jim Hagemann Snabe erzählt im Interview, wie Hana auch die Geschäftswelt und unseren Alltag verändert. Und weshalb IT auch Branchen wie den Maschinenbau verändert.

Walldorf - Mit seiner Turbodatenbank Hana hat sich die Walldorfer Softwareschmiede SAP neu erfunden. SAP-Vorstandschef Jim Hagemann Snabe erzählt im Interview, wie Hana auch die Geschäftswelt und unseren Alltag verändert. Und weshalb IT auch Branchen wie den Maschinenbau verändert.

 

Herr Snabe, was halten Sie von Entschleunigung?
Ich glaube, dass man effizienter und auch schneller ist, wenn man sich die Zeit zum Nachdenken nimmt. Man muss das Gesamtbild betrachten, bevor man den Blick wieder fokussiert. Durch kreative Pausen werde ich besser.

Gönnen Sie auch Ihren Mitarbeitern diese Pausen – oder müssen diese ständig erreichbar sein?
Das hängt von der Aufgabe ab. Die meisten können das Handy nach Feierabend ausmachen. Es ist wichtig, sich auch mit etwas anderem zu beschäftigen. Aber unser Service läuft 24 Stunden am Tag, das ganze Jahr. Anders geht das nicht, das ist unser Geschäftsmodell. Natürlich heißt das nicht, dass einzelne Mitarbeiter rund um die Uhr verfügbar sein müssen.

Ihre neue Turbodatenbank Hana entwickelt sich derzeit zum erfolgreichsten Produkt in der SAP-Geschichte. Was macht Hana so attraktiv?
Wer als Unternehmer erfolgreich sein will, der muss Veränderungen im Markt und im Kundenverhalten schneller erkennen und verstehen als andere – um dann schneller und besser reagieren können. Dafür muss man heute enorme Datenmengen in Sekundenschnelle analysieren können. Hana basiert auf einer neuen Technologie, mit deren Hilfe wir genau das können: enorme Datenmengen in Sekunden zu analysieren.

Was bringt der Zeitvorteil?
Die Technologie eröffnet vollkommen neue Möglichkeiten. Lassen Sie mich ein Beispiel geben: Der japanische Elektronikhändler Yodobashi ist mit seinem Bonusprogramm erfolgreich. Bisher dauerte die Berechnung des Bonusprogramms der fünf Millionen Kunden zwei Tage – mit Hana ist das in einer Sekunde möglich. Kommt jetzt ein Kunde ins Geschäft, wird ihm sofort ein individuelles Angebot auf sein Smartphone gesendet. Yodobashi kann damit sehr viel zielgenauer Kunden ansprechen und an sich binden als jemals zuvor.

In welchen Branchen wird Hana noch angewendet?
Der chinesische Getränkegroßhändler Nong Fu Spring konnte mit Hilfe von Hana seine Logistikkosten um 30 Prozent senken – durch die Echtzeitverknüpfung von Nachfrage und Versorgung der landesweiten Vertriebsstellen. Für eine Versicherung haben wir auf Hana basierend eine Software konzipiert, mit der man mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Betrugsversuch erkennen kann – in Echtzeit. Kunden im Bereich Energieversorgung berechnen auch den Energiebedarf von industriellen Stromverbrauchern im Voraus – so lässt sich die Produktion von Energie optimal planen.

Das heißt, Unternehmen können mit Superdatenbanken in die Zukunft schauen?
So kann man das sagen. Sie können viel besser und schneller Wahrscheinlichkeiten berechnen und Simulationen beliebig oft in Echtzeit machen. Mit Hana können Zukunftsszenarien entwickelt werden, die auf Echtzeitdaten beruhen. Für McLaren haben wir in der Formel 1 eine Anwendung entwickelt, die die Fahrer noch schneller macht. In der Formel 1 gibt es ja Hunderte Sensoren an den Rennwagen und entlang der Strecke. Sie alle liefern Daten, die unsere Software auswertet und in Echtzeit Hinweise gibt, wie sich die Performance des Fahrers verbessern lässt: in welcher Kurve gewinnt oder verliert ein Fahrer Zeit, wann sollte er in die Box fahren. Die verschiedenen Möglichkeiten lassen sich sekundenschnell simulieren – und die beste davon auswählen.

Und wenn ein Unternehmen hinterher fährt?
Firmen müssen sich künftig schneller verändern. Sie müssen schneller neue Geschäftsmodelle entwickeln, auf Marktveränderungen schneller reagieren und neue Märkte erobern. Sonst können sie im globalen Wettbewerb auf Dauer nicht bestehen.

SAP selbst verändert sich derzeit radikal. Die Geschäftssoftware wird nutzerfreundlicher. Haben Sie das bei Apple abgeschaut?
Apple bietet Software und Geräte in erster Linie für Endverbraucher an, unsere Kunden sind ausschließlich Unternehmen. Aber es stimmt: Apple hat gezeigt, dass weniger mehr sein kann, und hat die Nutzung seiner Geräte radikal einfach gemacht. Früher haben wir bei SAP gedacht, dass mehr Funktionalität automatisch besser ist. Das hat sich geändert. Jetzt wissen wir, dass auch bei Geschäftssoftware weniger, aber vor allem relevante Funktionalität mit einfacher Bedienung besser ist.

Verspielt Deutschland seinen technologischen Vorsprung?


Wird SAP mit Hana stärker unseren Alltag verändern, als es Apple mit dem iPhone vorgemacht hat?
63 Prozent aller Transaktionen weltweit laufen heute bereits mit SAP-Software. Die Verbraucher nehmen davon wenig wahr. Künftig werden Konsumenten sehr viel mehr individuelle Angebote erhalten und noch viel mehr selbst entscheiden. Hana hilft, die richtigen Informationen und Angebote aus der Masse der Daten herauszufiltern. Ein anderes Beispiel: Autos werden vernetzter und intelligenter – sie können zum Beispiel vorhersagen, wann welches Teil gewartet werden muss – je nach Fahrstil des Fahrers.

Hana hat die größten Wachstumsraten eines Produkts in der SAP-Geschichte. 2012 betrug der Umsatz knapp 400 Millionen Euro. Wie viel wird Hana bis 2015 bringen?
Bis Ende 2013 sollen es bis zu 700 Millionen Euro sein. Aber ich bin überzeugt, dass 2015 Hana die Plattform für die meisten unserer Produkte bildet und dann direkt oder indirekt den Großteil unseres Umsatzes beeinflusst. 2015 wollen wir einen Gesamtumsatz von mehr als 20 Milliarden Euro erreichen – vergangenes Jahr waren es bereits 16,2 Milliarden. Durch unsere Innovationen wachsen wir auch im Cloud-Bereich stark – also bei Software, die man im Internet mieten kann.

Dann können Sie ja viele Mitarbeiter neu einstellen.
Wir haben im letzten Jahr sehr stark expandiert und insgesamt rund 8000 Mitarbeiter eingestellt oder durch Akquisitionen hinzugewonnen. Dieses Jahr werden wir deutlich gezielter einstellen. Wir konzentrieren uns vor allem auf Wachstumsmärkte und dort auf kundennahe Bereiche wie Vertrieb, Beratung und Service sowie Entwicklung.

Wie schneidet dabei Deutschland ab?
Wir sind ein globales Unternehmen. Wir wachsen mit den Talenten und Marktmöglichkeiten. 2012 haben wir in Deutschland 650 neue Mitarbeiter eingestellt. In Deutschland ist unsere Präsenz sehr stark. Wir suchen natürlich auch die besten Talente in Deutschland, werden aber vor allem in den neuen Wachstumsmärkten investieren. Das macht uns auch in unserem Heimatmarkt stärker.

Gibt es in Deutschland zu wenig gute Fachkräfte?
Ja, das Problem gibt es aber europaweit – trotz der vielen Arbeitslosen. Deshalb haben wir mit anderen Unternehmen – unter anderem Bosch – und der EU-Kommission den so genannten Academy Cube gestartet. Mit Hilfe von E-Learning wollen wir in den nächsten Jahren 100 000 junge Leute für die Technologien der Zukunft qualifizieren und so in den Arbeitsmarkt integrieren.

Die Informationstechnologie spielt aber schon jetzt in allen Branchen eine große Rolle. Verspielt Deutschland seinen technologischen Vorsprung?
Ich sehe hier tatsächlich eine Gefahr. Die IT wird in den klassischen Industrien wie zum Beispiel der Automobilindustrie, dem Maschinenbau, der Energieversorgung, dem Handel und im Gesundheitswesen immer wichtiger. Wir brauchen mehr Softwaretalente in Deutschland und Europa.

Bekommt denn der Maschinenbau – die deutsche Paradedisziplin – Probleme?
Auch der Maschinenbau verändert sich durch die Digitalisierung rasant. Wenn andere Länder mehr fähige IT-Fachleute anziehen als wir, werden sie aufholen. Deutschland muss auch in den klassischen Industrien im IT-Bereich noch schneller und effizienter werden – daran geht kein Weg vorbei.

Welche Probleme sehen Sie noch?
In Deutschland fehlt Wagniskapital – zurzeit gibt es zu wenig Geld für Unternehmensgründer. Deshalb haben wir auch unseren eigenen Wagniskapitalfonds gegründet. Wir sind an 60 jungen Unternehmen beteiligt und investieren 350 Millionen US-Dollar (270 Millionen Euro) in vielsprechende Software- und Dienstleistungsunternehmen weltweit. Ich bin überzeugt, dass große Unternehmen Start-ups und kleine Unternehmen unterstützen sollten, denn diese sind sehr innovativ. Selbstständigen Entwicklern stellen wir unsere Datenbank Hana für 99 Cent pro Stunde zur Verfügung, so dass sie für sehr wenig Geld auf Basis von Hana neue Anwendungen schreiben können.