Die Legende von einem sagenumwobenen Goldland in der Neuen Welt trieb seit dem 16. Jahrhundert Hunderte von Abenteurern in die dünne Luft der Anden und in die dampfende Hölle des Amazonas. Nennenswerte Schätze wurden bislang nicht geborgen.
Anno Domini 1536, nahe dem Flussdelta des Rio Cravo Sur, im heutigen Kolumbien: Wie elektrisiert lauscht der deutsche Conquistador Georg Hohermuth von Speyer der Geschichte eines einheimischen Häuptlings, die ihm ein Dolmetscher übersetzt. An einem heiligen See, hoch in den Bergen, so der Indio, werden die Herrscher zur Amtseinführung am nackten Körper mit einer klebrigen Masse bestrichen und mit Goldstaub bepudert, sodass sie leuchten wie der Sonnengott Inti. Dann gleiten sie, die Arme dem Licht entgegengestreckt, auf einem prunkvollen Floß bis zur Seemitte, wo eine mit Gold beladene Schale als Opfergabe für die Götter in den Fluten versenkt wird.
Die Inka nennen das Gold „Schweiß der Sonne“
Die Augen des Deutschen, der als Gouverneur der Provinz Venezuela für die Augsburger Kaufmannskompanie der Welser unterwegs ist, funkeln wie das Metall, das die Inkas den „Schweiß der Sonne“ nennen. Ist an der Geschichte des Einheimischen etwas dran? Ein Volk, das seine unermesslichen Reichtümer wie wertlosen Tand einfach so wegwirft, passt so gar nicht in das Weltbild des Eroberers. Hatte nicht Jahre zuvor der Inka-Herrscher Atahualpa eine riesige Kammer bis unter die Decke mit Gold füllen lassen, um sich aus der spanischen Gefangenschaft freizukaufen? Die Geschichte des Indios klingt zu verlockend.
Tatsächlich gibt es Belege für einen Krönungsritus, bei dem die Herrscher des indigenen Volkes der Muisca anlässlich ihres Amtsantritts in einem Bergsee nördlich des heutigen Bogotá in Kolumbien von einem Floß aus Goldobjekte als Opfergaben versenkten. Allerdings gehört das Ritual längst der Vergangenheit an. Doch woher sollen die Fremden das wissen?
Und so macht die Geschichte die Runde unter den Spaniern. Aus dem Kaziken, wie der Vergoldete in der Landessprache der Indios hieß, wird ein goldenes Reich; die Legende vom sagenhaften Goldland Eldorado war geboren.
Die Gringo gieren „wie Schwein“ nach dem Edelmetall
In der Folgezeit suchen zahlreiche Abenteurer fieberhaft nach dem heiß begehrten Edelmetall – zur Verwunderung der Einheimischen: Für sie stand Gold für den unveränderten Glanz der Sonne, weshalb der Wert dieser Preziosen für sie nur symbolisch war. Die Eroberer aus der Neuen Welt aber „gierten wie die Schweine“ nach dem Edelmetall, wie ein indigener Chronist schrieb.
So auch Francisco de Orellana, der 1541 von Quito aus in die dampfenden Dschungelwälder hinabsteigt und acht Monate lang auf einem riesigen Strom fast 6000 Kilometer bis zu dessen Mündung fährt: Eldorado entdeckt er nicht, dafür aber die Mündung des Amazonas.
Fast zeitgleich dringt Hernán Pérez Quesada mit einem Haufen goldgieriger Söldner bis zum See von Guatavita vor, jenem 50 Kilometer nordwestlich von Bogotá in den kolumbianischen Anden gelegenen Kratersee, der dem kolumbianischen Indianervolk der Muisca als heilig galt und von dem der einheimische Häuptling eingangs berichtete. Hier, glaubt Quesada, liegen die versenkten Goldschätze der Kaziken. Von den Spaniern angetrieben, beginnen Hunderte indianischer Arbeiter den steilen Feldrand des Seeufers an der niedrigsten Stelle zu durchbrechen, um das Wasser ablaufen zu lassen. Der „Kanal des Quesada“ wird gebaut. Doch der Sonnengott zürnt den Eindringlingen, die Wände des Kanals stürzen zusammen. Die abergläubigen indianischen Arbeiter legen die Werkzeuge nieder. Das Geheimnis des „heiligen Sees“ bleibt gewahrt.
Um an den Schatz zu kommen wird versucht, einen See trockenzulegen
Um 1560 gelingt es dem spanischen Kaufmann Antonio Sepúlveda, den Seespiegel des Bergsees bedeutend zu senken. Aus dem Uferschlamm birgt er einen hühnereigroßen Smaragd, stirbt aber kurz darauf unter mysteriösen Umständen. Eldorado bleibt für die Spanier unerreichbar. Fast zur gleichen Zeit versucht es Pedro de Ursúa auf einer südlicheren Route – er wird bei einer Meuterei umgebracht. Der Anführer der Rebellen, ein gewisser Lope de Aguirre, schreibt nach einer monatelangen Odyssee in der grünen Hölle Amazoniens Seiner Katholischen Majestät: „Ich schwöre bei meinem christlichen Glauben, keiner kommt hier mehr lebend raus, denn all diese Geschichten sind falsch.“
Doch die Legende von Eldorado vergiftet weiter die Hirne. Ende des 16. Jahrhunderts berichten Jesuitenmissionare von einer prächtigen Stadt Paititi, die tief im Urwald des Amazonas an einem Wasserfall liege, angeblich der letzte Zufluchtsort, an den die Inka ihre Schätze brachten. Doch der Vatikan hält das Ganze geheim, um nicht einen neuen Goldrausch auszulösen und das christliche Bekehrungswerk zu gefährden.
1969, rund 400 Jahre nachdem die europäischen Eroberer vergebens in den Weiten Südamerikas nach Eldorado gesucht hatten, rückt die Legende vom „Vergoldeten“ auf dem Guatavita-See erneut in den Fokus der Öffentlichkeit, als bei der südwestlich von Bogotá gelegenen alten Muisca-Siedlung Pasca ein aufsehenerregender Fund gemacht wird. In einer Höhle bergen Einheimische eine aus reinem Gold gefertigte Figurengruppe, die Eldorado und den Kaziken auf einem Floß bei besagtem Krönungsritus darstellt. Doch mehr geben der heilige Bergsee und seine Umgebung nicht preis.Ist das Phantom Eldorado, dem die Jäger des verborgenen Schatzes nachstellen, vielleicht doch nur eine Erfindung der Einheimischen, wie der peruanische Gelehrte Alfredo Valencia Zegarra vermutete? Diese hätten, so der Archäologe, den habgierigen Eindringlingen genau das erzählt, was jene hören wollten – um sie so schnell wie möglich wieder loszuwerden.
Der See ist heute geschützt
Die sagenhafte Goldstadt Paititi und der legendäre Goldsee Guatavita, beide bewahren seit Jahrhunderten hartnäckig ihr Geheimnis. Der Lockruf des Goldes indes ist nicht verstummt. Bis ins 21. Jahrhundert gab es Versuche, den See trockenzulegen, um den vermeintlichen Goldschatz auf dessen Grund zu heben – vergebens. Die Nachfahren der Muisca verfolgen die Dschungel-Pilgerei mit einem vielsagenden Lächeln. Denn sie wissen, dass die grüne Hölle Amazoniens das Gold ihrer Vorfahren für immer vor den gierigen Gringos versteckt. Heute ist der See als nationales Erbe geschützt.