An der Wildberger Nagold soll der Schlangenkönig seine Krone verloren haben. Foto: Wiebke Jansen/Oksana-stock.adobe.com/Sashkin-stock.adobe.com/Montage: Margrit Helber

Vor langer Zeit soll der Schlangenkönig in Wildberg in der Nagold gebadet haben – und dort gestorben sein. Unsere Redakteurin hat sich auf die Spuren der Sage begeben.

Sanfte Schatten legen sich über das Wasser der Nagold, Bäume schirmen den Fluss ab, an dieser Stelle auf dem Weg zwischen Wildberg und Pfrondorfer Mühle, nahe des Klosters. Immer wieder schweift mein Blick zur Nagold, an deren Ufer ich entlang gehe. Das Wasser ist trüb, wie tief der Grund ist, ist nicht zu sehen. Die Bäume und Sträucher am Rand lassen mystische Lagunen entstehen.

 

Irgendwo hier könnte sie gewesen sein: die Badestelle des Schlangenkönigs, von der die Sage berichtet. Vor langer Zeit soll er nach Wildberg gekommen sein, um in der Nagold zu baden. Die genaue Stelle ist nicht überliefert, doch könnte er die Abgeschiedenheit und das sanfte Licht geschätzt haben. Bis ein junger Mann es wagte, ihn beim Bad zu stören.

Doch das war gar nicht das, was den Schlangenkönig so erzürnte, so dass er mehr als hundert seiner Untertanen zu Hilfe rief. Der Mensch hatte ihm seine Krone gestohlen, die er am Ufer zurückgelassen hatte. Die Schlangen suchten die Krone und hätten den jungen Mann wohl getötet, hätten sie ihn gefunden.

Der Mensch entkommt, die Schlange stirbt

Die Krone fanden die Schlangen nicht, der junge Mann entkam – aber der Schlangenkönig starb noch am gleichen Abend, an der Stelle, an der er seine Krone eingebüßt hatte. Begegnen werde ich ihm wohl nicht.

Obwohl? Vielerorts gibt es Geschichten von Schlangenkönigen – vielleicht gibt es ja mehr als einen? Im Spreewald berichtet die Sage von einem Grafen, der dem Schlangenkönig ebenfalls die Krone stahl, während dieser badete.

Aber vielleicht treffe ich einen seiner Nachkommen oder Untertanen? Immerhin gibt es vermehrt Sichtungen „schwarzer Schlangen“, meist sind es Ringelnattern. Die sind für den Menschen ungefährlich, aber können mehr als einen Meter lang werden.

Der Weg zum Ufer führt durch hohes Gras, das mir fast bis zu den Knien geht. Ich blicke zu Boden, während ich hindurchgehe. Es ist ein optimaler Lebensraum für Ringelnattern und die schlangenähnlichen Blindschleichen. Besonders erpicht auf eine Begegnung – vor allem zwischen meinem Schuh und schuppiger Haut – bin ich nicht.

Ans Ufer heran komme ich kaum, es fällt steil ab und der Fluss liegt weit unter mir, die Bäume und Sträucher bilden außerdem eine Art natürliche Wand. Hier dürfte er nicht gebadet haben– zumindest, wenn sich das Gelände nicht sehr verändert hat. Der junge Mann wäre niemals unbemerkt bis zur Krone gekommen.

Dann finde ich auf der gegenüberliegenden Seite eine Stelle, die auch für Menschen zugänglich ist: Steine bilden eine kleine, primitive Treppe, ein eher zufällig wirkender Trampelpfad führt dort hinab.

An diesem Tag sehe ich keine Schlangen. Entweder verstecken sie sich zu gut oder sie sind nicht da. Woher die Sage kommt, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Vielleicht kann sie symbolisch gelesen werden.

Tiefere Bedeutung oder doch nur Unterhaltung?

Schlangen machen Menschen oft Angst – selbst unsere kaum giftigen Ringelnattern. Mit dem Diebstahl der Krone hat der junge Mann – sinnbildlich für den Menschen – ihm die Macht gestohlen und ihn schließlich getötet. Vielleicht ein Symbol für die Beherrschung und schließlich Zerstörung der Natur für Gold und Reichtum? Möglich wäre auch eine Warnung als Geschichte verpackt, nicht zu nah ans Ufer zu gehen – ob dort nun wütende Schlangen oder der Sturz in die Nagold drohen, bleibt letztendlich zweitrangig.

Oder es ist einfach eine Geschichte aus alter Zeit, die man sich am Kamin erzählte – und so der Nagold ein wenig Mystik zuschrieb, die auf diesem Spaziergang sehr zart, aber doch vorhanden zu spüren ist.

Die Serie „Der Sage nach“

Hexen, Geister, Riesen und sogar der Teufel selbst sollen in früheren Zeiten der Sage nach ihr Unwesen getrieben haben. Zahlreiche alte Mythen ranken sich auch um Orte im Kreis Calw. Einige davon wollen wir in unserer Serie näher beleuchten, indem wir uns dorthin begeben, wo sich Unheimliches zugetragen haben soll. Im wahrsten Sinne gehen wir der Sage nach – kommen Sie doch mit! Vielleicht findet sich auch der ein oder andere Tipp für einen Ausflug. Oder zumindest für einen ungewöhnlichen Spaziergang mit Geschichte.