Russische Marineangehörige, eben fertig mit dem Wehrdienst, reisen mit der Transsibirischen Eisenbahn. Foto: Barbara Schaefer

Die berühmte Transsibirische Eisenbahn feiert 2016 ihren 100. Geburtstag. Unterwegs von Wladiwostok zum Baikalsee - mal rustikal in der dritten Klasse, mal plüschig-elegant im Luxusabteil.

Larissa ist groß, schlank und rothaarig. Sie arbeitet als Kellnerin im Speisewagen. An einem Tisch sitzen Ausländer: also Nicht-Russen. Sie sind die einzigen Ausländer hier. Und zwar nicht nur im Speisewagen, sondern im ganzen Zug. Was nicht bedeutet, dass Larissa ihnen nun ein Lächeln schenken würde. Schweigsam stellt sie die Dose Baltika hin, das russische Bier. Selbst schuld. Man hätte ja die ganze Strecke von Sibirien bis Moskau mit dem Zarengold fahren können, dem eleganten Luxuszug. Aber nein, es sollte der Regelzug sein, der für die Einheimischen, und dann auch noch in der Kategorie „Platzkartny“. Der Zug ruckelt durch den Fernen Osten, geschlafen wird im Massenlager. Das klang abenteuerlich. Ein bisschen erinnert der Waggon nun an einen Gefangenen-Transport. Es ist unglaublich heiß in diesem Sibirien, die Menschen liegen auf ihren Betten mit ziemlich wenig Kleidung am Leib. Überall ragen bloße Füße in den Gang. Einen Waggon weiter fährt die russische Marine. Lauter junge Kerle in blauen Ringelshirts. Sie haben ihren einjährigen Wehrdienst hinter sich gebracht - und sie sind reizend. Immer freundlich, halten die Türen auf. Und bleiben erstaunlich nüchtern. Nicht alle Russland-Klischees stimmen, lernt man da gleich.

Der Bau der legendären Transsib war ein Kraftakt. Zar Alexander III. befehligte Ende des 19. Jahrhunderts, „mit dem Bau der durch Sibirien führenden Eisenbahn sofort zu beginnen!“. Die Bahn sollte die sibirischen Provinzen näher an Moskau heranrücken, samt den Bodenschätzen. Jedes Jahr wurden im russischen Riesenreich etwa 650 Kilometer fertiggestellt, von Osten und von Westen wuchsen die Gleise aufeinander zu. Es ging durch Sümpfe und über Permafrostboden, durch Taiga und Tundra, über breite Flüsse hinweg. 2016 feiert die Transsibirische Eisenbahn ihren 100. Geburtstag. Mal wieder, könnte man sagen. Schon vor 1915 gab es eine Verbindung von Moskau an den Pazifik, nach Wladiwostok, aber die führte durch die Mongolei. Der Zar fand das riskant. Wenn da ein Krieg käme, wäre der Osten abgeschnitten von der 9288 Kilometer entfernten Hauptstadt. Also wurde eine zweite Trasse gebaut, und der schwierigste Teil, die Brücke über den breiten Strom Amur, im Jahr 1916 fertiggestellt.

Bis heute wird die Strecke viel genutzt. Die Züge sind meist gut voll. Luxuriös, manchmal sogar mit Fernseher, reist man im Viererabteil; die dritte Klasse namens „Platzkartny“ hingegen stellt sich als die interessantere Variante heraus. Im Gang, neben dem Abteil der Schaffnerin, blubbert stets der Samowar. Genau genommen ist es ein Heißwasser-Zubereiter, Teebeutel bekommt man bei der Schaffnerin. Sie verleiht auch russische Teegläser in Metall-Henkelbechern. Sieben Tage dauert die Fahrt über die ganze Strecke. An einigen Bahnhöfen, wie etwa in Obluchje und Tschernyschefsk, kann man für ein paar Minuten aussteigen, sich die Beine vertreten. Die jungen Matrosen schießen Selfies und veranstalten einen Liegestütz-Wettbewerb. An anderen Bahnhöfen gibt es längere Stopps. Frauen breiten auf Pappkartons Ware aus, geräucherte Fische, in Suppe schwimmende Pelmenis, Blini, Piroggen, Piroschi, Baranki. Gerne wird da eingekauft.

Aus dem Fenster schauen, sinnieren, staunen

Aussteigen und herumschlendern, recht und gut - aber am schönsten ist doch das Fahren an sich. Die weite russische Landschaft gleitet am Zugfenster vorbei. Blau gestrichene Holzhäuser mit weißen Zierleisten und Satellitenschüsseln ziehen vorbei, dann wieder geht es durch Städte, umgürtet von Plattenbausiedlungen. So viele Bücher zum Lesen hat man im Gepäck, kaum eines wird auch nur aufgeschlagen. Zu schön ist das Sitzen, Schauen, Sinnieren. Um nicht ganz einzurosten, geht man die paar Schritte zum Samowar und holt sich noch einen Tee. Oder legt eine Pause im Speisewagen ein, bei einer Portion Borschtsch oder Soljanka. Und vielleicht noch einer Dose Baltika. Gut aufgestellt ist, wer ein Wörterbuch eingepackt hat. So entspinnt sich eine unterhaltsame Kommunikation mit einer Mitreisenden. Nur eine Zugfahrt lässt den Reisenden so viel Zeit, um einzelne Wörter nachzuschlagen, kurze Sätze zusammenzubasteln. So geht es weiter bis Ulan-Ude, der Stadt in Buratien. Eine autonome Republik innerhalb Russlands, vor allem bekannt, weil in Ulan-Ude bis heute der größte Leninkopf der Welt steht, 7,70 Meter hoch, wahrlich riesig.

Nun heißt es umsteigen in den „Zarengold“, falls man an den Baikalsee möchte. Denn nur der Luxuszug fährt noch auf diesem Abschnitt, der Regelzug düst auf einer anderen Strecke direkt weiter nach Irkutsk. Was für ein Unterschied! In eleganten Zwei-Bett-Abteilen zuckelt man den schönsten Abschnitt der ganzen Tour direkt am Baikalsee entlang. Hier fährt der Zug so langsam, dass man frühmorgens sogar für kurze Zeit (und für ein Trinkgeld) auf der Lokomotive mitfahren darf. In einem großen Bogen führen die Gleise am Südende des tiefsten Sees der Welt durch und über 39 Tunnels, 50 Galerien und 23 Viadukte. Es war die teuerste Teilstrecke, bis heute wird sie Goldschnalle genannt: das Edelstück im allrussischen Stahlgürtel der Eisenbahn. Im Morgenlicht glänzt der See, am Ufer stehen Zelte, die Urlauber strecken gerade so den Kopf heraus, eifriges Winken. Das Frühstück wird in einem Speisewagen serviert, der mit Plüsch nur so prunkt. Um einen herum schwirren mehrere Kellner. Soll es noch ein Tee sein? Wünschen die Herrschaften Orangensaft? Oder vielleicht ein Gläschen Krimsekt für einen Start in den Tag? Aber gerne doch, sagt man, überrumpelt von so viel Höflichkeit. Aber ein kleines bisschen vermisst man sie jetzt doch. Die knurrige Larissa aus der Transsibirischen Eisenbahn.

Infos zu Russland

Russland

Anreise

Flüge nach Russland, etwa nach Irkutsk, bietet Air-Berlin an. Von Stuttgart über Berlin-Tegel und Moskau, www.airberlin.com.

Unterkunft

Wer vor Abfahrt des Zuges noch einige Tage in Wladiwostok verbringen möchte: Plüschig und charmant, über 100 Jahre alt: Hotel Versailles, DZ/F ab rund 100 Euro, http://hotel-versailles.ru/main.html. Neu, im Designstil, zentral gelegen: Hotel Azimut, DZ/F ab rund 75 Euro. http://de.azimuthotels.com/russia/ vladivostok/azimut_hotel_vladivostok/rooms

Zugreisen

Lernidee Erlebnisreisen organisiert Reisen auf der Transsibirischen Eisenbahn. Im Angebot hat der Berliner Veranstalter unterschiedliche Reisevarianten im Linienzug sowie im Zarengold-Sonderzug. Die reine Fahrkarte im Linienzug Wladiwostok-Moskau ist ab ca. 1600 Euro im Zwei-Bett-Abteil zu haben, Peking-Moskau ab ca. 1200 Euro. Pauschalreisen im Linienzug inkl. Hotelübernachtungen in Wladiwostok, Chabarowsk, Irkutsk und Moskau gibt es ab 2420 Euro (ohne Flug). Die Sonderzugreise Zarengold in ihrer kürzesten Variante (Baikalsee-Moskau) ist ab 2850 Euro buchbar, der Klassiker von Peking nach Moskau ab 3900 Euro - enthalten bei diesen Reisevarianten ist jeweils auch der Flug ab/bis Deutschland, Hotelübernachtungen, Mahlzeiten und zahlreiche Ausflüge. Information und Buchung: Lernidee Erlebnisreisen, www.lernidee.de, Telefon 030 / 7 86 00 00.
Reisen mit der Transsib organisiert auch Ameropa-Reisen: www.ameropa.de/bahnreisen/bahnerlebnisreisen/in-asien/transsibirische-eisenbahn/moskau-baikalsee. Eine elftägige Reise kostet ab etwa 2400 Euro, Telefon 0 61 72 / 10 96 80.
Auch Bader Kulturreisen (http://bader-kulturreisen.de/) hat die Sonderzugreise Zarengold im Angebot: Bader Kulturreisen, Königstraße 4, 70173 Stuttgart, Tel. 07 11 / 6 33 43 30.

Buchtipp

Umfassend und lesenswert: Bodo Thöns, „Sibirien“, Trescher Verlag, 21,95 Euro.
Hochinteressant und lesenswert, die Geschichte der Besiedelung des Fernen Ostens: Lothar Deeg, „Kunst & Albers. Die Kaufhauskönige von Wladiwostok“, Klartext-Verlag, 19,95 Euro.

Was Sie tun und lassen sollten

Auf jeden Fall ein kleines Wörterbuch mitnehmen und das Gespräch mit den Mitreisenden suchen.
Auf keinen Fall sich zu viele Sorgen machen. Die Fahrt in der Transsib ist eine entspannte Angelegenheit.

Allgemeine Informationen

Fahrplan- und Ticketauskunft: www.transsibirische-eisenbahn.de
Informationen zu Russland: www.visitrussia.com