Silke Kiesgen hat im Internet eine Börse für arbeitswillige Rentner eröffnet Foto: Max Kovalenko

Auslöser waren Schicksale im engsten Freundeskreis: Silke Kiesgen muss mit ansehen, wie zwei Freundinnen mit ihrer Rente finanziell kaum über die Runden kommen. Jetzt hat sie eine kostenlose Rentner-Börse ins Leben gerufen.

Auslöser waren Schicksale im engsten Freundeskreis: Silke Kiesgen muss mit ansehen, wie zwei Freundinnen mit ihrer Rente finanziell kaum über die Runden kommen. Jetzt hat sie eine kostenlose Rentner-Börse ins Leben gerufen.

Wernau - Auslöser waren Schicksale im engsten Freundeskreis: Silke Kiesgen muss mit ansehen, wie zwei Freundinnen mit ihrer Rente finanziell kaum über die Runden kommen. Die eine, früher Steuergehilfin, bekommt 800 Euro Rente, nach Abzug der Miete bleiben ihr 400 Euro für Lebensunterhalt, Telefon, Urlaub. Sie musste ihr Auto verkaufen. Eine andere Freundin, deren Mann früh starb, hat noch zwei Kinder in Ausbildung und kommt kaum mit der geringen Rente hin.

Silke Kiesgen, die eine gut laufende Werbeagentur in Wernau (Kreis Esslingen) betreibt, begann zu zweifeln. Was ist aus Norbert Blüms Versprechen geworden, die Rente ist sicher? Selbst aus der Politik werde einem heute nahegelegt, im Alter noch dazuzuverdienen. Eigentlich ein Skandal, findet die 56-Jährige: „Die Alten sind eine dankbare Klientel, sie wehren sich nicht. Dabei gehören alle schon längst auf die Straße, um zu protestieren.“

Doch weil sich alte Menschen oft schämen, zum Sozialamt zu gehen, suchte Kiesgen nach einer anderen Lösung. Sie kam auf die Idee der Rentner-Börse, die sie vor zwei Monaten ins Leben gerufen hat. Die Idee: Über das Portal sollen Rentner, die Arbeit suchen, auf Firmen oder Privatleute treffen, die Jobs oder (Teilzeit-)Arbeitsstellen zu vergeben haben.

Am 18. November hat Silke Kiesgen die Internet-Seite freigeschaltet. Und der Zulauf wächst stetig, wie sie über Google Analytics täglich abrufen kann. Bis zum Termin mit unserer Zeitung hatten knapp 3700 Besucher fast 35 000 Seiten aufgerufen – ein guter Start, wie die Werbefachfrau meint. Jetzt hofft, sie, dass ihre Idee rasch über den Kreis Esslingen und die Region Stuttgart hinaus bekannt wird. Die aus dem Ruhrgebiet stammende Wahl-Hochdorferin will ihr Angebot aufs gesamte Bundesgebiet ausdehnen – und wenn es dort etabliert ist, noch bis Österreich und auf die Schweiz. „Altersarmut gibt es überall“, ist sie von der Notwendigkeit überzeugt.

Überrascht ist sie nach der Startphase, was für qualifizierte Leute nun ihre Dienste anbieten. Hatte sie da eher ans Babysitten oder Lagerarbeiten gedacht, haben sich etwa auch ein EDV-Dozent, ein Informations-Technikermeister, ein Bauphysiker, eine Sekretärin und ein Ingenieur für Maschinenbau gemeldet. Viele bieten erwartungsgemäß Fahrdienste an. Die meisten wollen auf 450-Euro-Basis arbeiten, manche auch mehr. Wer voll in Rente ist, darf dazuverdienen, so viel er will.

Nach Silke Kiesgens Konzept handeln die Partner die Konditionen unter sich aus. Sie erfährt noch nicht einmal, wann ein Vertrag zustande gekommen ist. Eine Provision will sie nicht. Und insofern weiß sie auch nicht, wie hoch ihre Erfolgsquote bei den Vermittlungen ist. Fakt ist aber: Bisher gibt es mehr Stellensuchende als Angebote. Einzelne Stellenanbieter forderten Kiesgen sogar auf, das Angebot wieder aus dem Netz zu nehmen, weil sie von Anfragen überschwemmt würden. Gesucht wurden bisher etwa Kräfte für den Winterdienst, Büroreinigung, ein Bodenleger, Ingenieurmeister, eine Steuerfachkraft und Zeitungsausträger. Die Angebote jedenfalls werden für 30, 60 oder 90 Tage eingestellt und dann automatisch deaktiviert. Auf der anderen Seite bleiben die Stellengesuche auch nur ein halbes Jahr im Netz. „Ich möchte keine Karteileichen“, sagt die Chefin.

Silke Kiesgen ist selbst am meisten gespannt, wie sich ihr Portal entwickelt, das Echo jedenfalls sei riesig. Damit die Seite möglichst viele Besucher hat, gibt es inzwischen auch eine Verschenkbörse, die zu ihrer Überraschung aber noch kaum genutzt wurde. Außerdem hat Kiesgen einen Marktplatz eingerichtet für Kleinanzeigen. Nur diese Rubrik kostet die Nutzer Geld, die eigentliche Rentner-Börse ist für beide Seiten kostenlos. Außerdem gibt es auf der Seite Tipps und Anregungen. „Ich hoffe auf eine Refinanzierung des Portals über die Rubrik Marktplatz“, sagt Kiesgen. Bisher hat sie aus ihrer Privatkasse 4000 Euro in das Projekt investiert und mehr als 300 Arbeitsstunden.

Die Jobangebote und -gesuche werden von den Nutzern selbst eingestellt. Silke Kiesgen aktiviert sie, sobald sie sie auf ihre Unbedenklichkeit hin überprüft hat. Nicht kontrollieren kann sie allerdings, ob wirklich nur Rentner die Rentner-Börse nutzen: „Die anderen müssen sich dann eben beim ersten Kontakt mit dem Anbieter der Stelle erklären . . .“ Dafür sei sie nicht verantwortlich. Offen ist sie dagegen, was die Entwicklung der Seite angeht. „Vielleicht ergeben sich Kontakte, oder es finden Reisegruppen zusammen . . .“ – diese Reise hat erst begonnen.

www.rentner-boerse.de