Abruptes Ende einer Ära: Stefan Wolf, der langjährige Chef des Automobilzulieferers Elring-Klinger, scheidet zum 30. Juni aus. Mit den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft habe dies nichts zu tun, versichert er.
Stefan Wolf ist nicht nur bekennender Musikliebhaber, er mag es offenkundig auch dramatisch. Zumindest für Wagners „Walküre“ in der Stuttgarter Staatsoper kann er sich begeistern – ein Bühnenepos um Liebe und Neid, Macht und Verrat, Familie und Zerfall. Kurz vor dem Kunstgenuss gibt er noch eine improvisierte Stellungnahme ab – ein paar Schritte abseits des Opernhauses, vor dem Stuttgarter Landtag. Wolf ist dem Anlass angemessen festlich gekleidet, doch was er zu sagen hat, klingt wenig feierlich. Denn der 61-Jährige bestätigt, dass er bald den Automobilzulieferer Elring-Klinger verlassen wird. Es ist das Ende einer Ära.
Kurz nach 13 Uhr am Mittag hatte die Aktiengesellschaft mit Sitz in Dettingen eine sogenannte Ad-hoc-Mitteilung ausgesandt – eine Pflichtmitteilung für die Börsen also, bestehend aus drei Sätzen. Demnach hätten sich der Aufsichtsrat und Wolf am Donnerstag darauf verständigt, dass er zum 30. Juni 2023 einvernehmlich als Vorstandsvorsitzender ausscheidet. Der Aufsichtsrat habe die Suche nach einem Nachfolger eingeleitet. Und übergangsweise werde Finanzvorstand Thomas Jessulat von 1. Juli an die Aufgabe als Sprecher des Vorstands übernehmen.
„Richtig gut vorbereitet für die Transformation“
Das war es auch schon. Die 40 Minuten später versandte Pressemeldung ist kaum ausführlicher. Immerhin dankt der Aufsichtsratsvorsitzende Klaus Eberhardt darin dem ausscheidenden Wolf „für die erfolgreiche und langjährige Arbeit“. Hervorzuheben seien insbesondere dessen „Verdienste beim Auf- und Ausbau der Bereiche Brennstoffzelle und Batterietechnologie, die er frühzeitig und weitblickend als Fundamente für Elring-Klinger in der Transformation der Industrie erkannt und vorangetrieben hat“.
Weitere drei Stunden darauf folgt der gut zweiminütige Auftritt vor dem Stuttgarter Landtag. Wolf bestätigt den baldigen Rückzug und stellt den Wechsel quasi als Frischzellenkur für das Unternehmen da. „Ich war jetzt 26 Jahre bei der Firma, 18 Jahre im Vorstand, 17 Jahre Vorstandsvorsitzender – ich glaube, wir haben die Weichen richtig gut gestellt“, betont Wolf. „Wir sind richtig gut vorbereitet für die Transformation.“
Intensiv habe er mit dem Aufsichtsrat diskutiert, dann hätten beide Seiten gesagt: „Es ist vielleicht besser, wenn jemand die Transformation des Unternehmens komplett begleitet.“ Dies sei ein längerer Prozess. „Wir wollen jemand, der das jetzt nach vorne bringt, der die Dinge auch länger macht.“ Im September werde er 62 Jahre alt. Es wäre ungünstig, „dass ich das noch drei Jahre mache, und dann kommt jemand Neues“. Er stehe „zu 100 Prozent hinter Elring-Klinger“. Dass der abrupte Wechsel nicht mal Zeit ließ, einen Nachfolger zu suchen, ist für ein solches Unternehmen dennoch fragwürdig.
Ermittlungen haben „null Komma null eine Rolle gespielt“
Nun geht es hier möglicherweise nicht nur um einen altersbedingten Übergang. Seit Monaten ermittelt gegen Wolf die Staatsanwaltschaft Tübingen wegen des Verdachts, er habe Arbeitsentgelt im Zusammenhang mit einer privaten Haushaltshilfe vorenthalten und veruntreut. Diese Ermittlungen seien noch nicht abgeschlossen, teilt die Staatsanwaltschaft unserer Zeitung am Nachmittag mit. „Dies kann auch noch einige Zeit dauern“, sagt ein Sprecher.
Der gebürtige Oberndorfer ist Jurist, hat seine Karriere als Rechtsanwalt begonnen. Wolf weiß also genau, was er sagt – oder besser nicht sagt. Insofern spricht er die Ermittlungen nicht direkt an, sondern versichert: „Zu dem Thema Mutmaßungen bezüglich früherer Berichterstattungen: Das hat null Komma null eine Rolle gespielt in diesem Trennungsprozess.“ Man sei „einfach nur auseinandergegangen, weil wir gesagt haben: Das ist das Beste für das Unternehmen, das ist das Beste für die Zukunft“.
Der Aufsichtsrat dankt Wolf für „erfolgreiche und langjährige Arbeit“
Der global aktive Zulieferer hat erst am 28. März die Bilanz des Jahres 2022 vorgelegt. Der Umsatz war um 10,7 Prozent gegenüber Vorjahr auf 1,8 Milliarden Euro gestiegen, die operative Rendite auf 3,4 Prozent. Unterm Strich blieb aber ein Verlust von 42,2 Millionen Euro. Kein Ton war da zu einer möglichen Trennung zu vernehmen. Doch es gibt noch eine zweite Baustelle: Wolf ist seit November 2020 Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall. Im Juli 2022 wurde er für zwei weitere Jahre in dem Ehrenamt bestätigt. „Dies gilt für uns“, betont ein Sprecher von Gesamtmetall auf Anfrage. Mehr könne er dazu nicht sagen.
Auch Wolf selbst unterstreicht: „Ich bleibe weiterhin Gesamtmetall-Präsident.“ Er habe schon Rückmeldungen von seinen Vizepräsidenten erhalten, „die alle zu 100 Prozent gesagt haben: Du bleibst der Präsident“. Ob er bleibt, werde er auch „irgendwann entscheiden“, fügt er nun an und verweist zum wiederholten Male innerhalb der zwei Minuten auf sein Alter. „Wenn ich das noch zwei, drei Jahre mache, ist das schön – und wenn nicht, dann ist auch gut.“ Er sei gewählt bis Sommer nächsten Jahres. „Die Periode mache ich auf jeden Fall voll.“
„Immer bei den Menschen geblieben“
Der Hinweis auf die Unterstützung wirkt glaubwürdig, hat sich der überaus meinungsfreudige Verbandschef doch einigen Respekt im Arbeitgeberlager erworben. Im Juli 2021 wurde er zum Ehrenvorsitzenden von Südwestmetall ernannt – dem Verband hatte Wolf immerhin von 2012 bis 2020 vorgestanden. In diese Zeit fielen fünf Tarifabschlüsse – einige davon verhandelte er richtungweisend oder gar als „Pilot“ auch für andere Tarifbezirke mit. So etwas trägt ihm die Wertschätzung selbst der IG Metall ein.
Abrupte Lebensbrüche sind Stefan Wolf nicht fremd – gerade mit privaten Veränderungen hat er in den vergangenen drei Jahren ganz bewusst öffentlich von sich reden gemacht. Aber warum gerade jetzt die Trennung aus heiterem Himmel? Ein Mann voller Tatendrang unvermittelt im Vorruhestand? Da bleiben noch einige Fragen offen. Gut möglich, dass der verkündete Ausstieg noch nicht der letzte Akt in diesem Drama ist.