Papst Benedikt XVI. und sein Nachfolger Papst Franziskus. Foto: dpa

Vor einem Jahr hat Papst Benedikt XVI. seinen Rücktritt verkündet – Einblicke in das alltägliche Leben eines emeritierten Kirchenoberhaupts.

Rom - Wie ein Blitz ging vor einem Jahr die Nachricht um die Welt: „Papst Benedikt XVI. tritt zurück.“ Es ist eine Sensation. Erstmals in der neueren Kirchengeschichte verlässt ein Papst zu Lebzeiten den Stuhl Petri. Joseph Ratzinger kündigt an, aus Altersgründen das schwere Amt nicht mehr ausüben zu können. Nach nicht einmal acht Jahren Amtsdauer geht damit das von mehreren Krisen überschattete Pontifikat des Deutschen zu Ende. In den folgenden Tagen und Wochen wird jeder Auftritt des scheidenden Kirchenoberhauptes von den Medien begleitet. All das ist neu, bald sollte es zwei Päpste im Vatikan geben.

Der emeritierte Papst Benedikt XVI. wird weiter als „Heiliger Vater“ und „Eure Heiligkeit“ angesprochen. Doch was tut ein emeritierter Papst? Wie sieht sein Alltag aus? Und wie versteht er sich mit seinem Nachfolger, Papst Franziskus, dem er bedingungslosen Gehorsam versprach? Immerhin übergab er seinem Nachfolger ein Memorandum, über dessen Inhalt Stillschweigen bewahrt wurde. In der Öffentlichkeit wurde spekuliert, dass es sich dabei um Krisenherde wie Missbrauchsfälle und die Vatileaks-Affäre, in der vertrauliche Dokumente aus dem Kirchenstaat an die Öffentlichkeit gelangten, handelte.

Das Leben von Benedikt XVI. ist sehr zurückgezogen. Nachdem er sich am 28. Februar zunächst in die päpstliche Sommerresidenz in Castel Gandolfo zurückgezogen hat, kann er Anfang Mai das ehemalige Kloster Mater Ecclesiae beziehen. Dieses liegt mitten in den prächtigen vatikanischen Gärten und wurde für ihn in großer Eile umgebaut. Dort lebt Ratzinger nun. Zusammen mit den Memores Domini, den Ordensfrauen, die sich um seinen Haushalt kümmern. Und mit Erzbischof Georg Gänswein.  Der Schwarzwälder hat jedoch nur wenig Zeit für den Papst Nummer zwei. Als Präfekt des Päpstlichen Hauses und als einer der beiden Privatsekretäre von Papst Franziskus ist er viel unterwegs.  

Den Vatikan verlässt Ratzinger nur selten. Der Tag des 86-Jährigen ist strikt getaktet. „Er ist ein durch und durch disziplinierter Mann“, sagt einer seiner Vertrauten aus der römischen Kurie.   Wie sein Nachfolger ist auch Benedikt XVI. ein Frühaufsteher. Sein Tag beginnt um 5.30 Uhr – eine halbe Stunde später als zur Zeit seines aktiven Pontifikats. Um 6 Uhr ist Gottesdienst, die Predigt hält er meistens selbst. Seine Zuhörer: die Nonnen des Hauses und, wenn gerade auf Besuch, Ratzingers Bruder Georg.

Nach einer Stärkung mit Marmelade, Gebäck und frisch gepresstem Orangensaft zieht sich Benedikt XVI. in sein Büro zurück, spricht mit der Presse, schreibt Briefe und liest. Neben theologischen Werken sollen es ihm auch Essays und Prosa angetan haben.   Es folgt die Meditation, dann das Mittagessen, darauf ein Nickerchen. Auf den anschließenden Spaziergang verzichtet Ratzinger höchst ungern. Wenn möglich, begleitet ihn dabei Gänswein, um den Papst über die neuesten Vorgänge in der Kirche auf dem Laufenden zu halten.

Um 16 Uhr verschwindet Ratzinger erneut in seinem Büro und vertieft sich in die aktuelle Ausgabe der vatikanischen Tageszeitung „Osservatore Romano“.  Bevor ihm zum Abendessen etwas Leichtes, oft eine Suppe, serviert wird, setzt sich Benedikt XVI. ans Klavier. „Die Liebe zur Musik ist ihm ganz wichtig“, sagt ein Mitarbeiter. Aktuell beschäftige sich der päpstliche Pianist vorrangig mit Sonaten Mozarts.

Und auch nach dem Abendessen geht es bei Benedikt zu wie in den meisten Haushalten: Der Fernseher wird eingeschaltet, erst stehen die deutschen und italienischen Nachrichten auf dem Programm, danach ein Fernsehfilm oder eine DVD. Der Abend klingt gemütlich aus, das Licht wird im päpstlichen Schlafzimmer gegen 22 Uhr gelöscht.

Benedikt XVI. genießt seinen Ruhestand mitten im Vatikan und mischt sich nicht in die Belange der Kirche ein – zumindest nicht offiziell. Denn Papst Franziskus, der am 13. März zu Benedikts Nachfolger gewählt wurde, sucht gelegentlich das Gespräch mit Ratzinger. „Er legt großen Wert auf die Meinung seines Vorgängers“, so ein Monsignore der vatikanischen Kurie, „und nicht selten ruft der neue den alten Papst an oder kommt kurz vorbei.“

Federico Lombardi, Vatikan-Sprecher schon in Benedikts Pontifikat, sagt: „Es gibt eine tiefe spirituelle Solidarität unter den Dienern des Herrn.“ Benedikt sei „immer lebhaft, immer sehr klar und mit einem formidablen Gedächtnis“, beschrieb ihn Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone. Er lebe, so Lombardi, „wie ein alter Weiser, man könnte sagen: wie ein Heiliger.“