Kinder und Handys – ein Bild, das nachdenklich stimmt. Foto: JackF - stock.adobe.com

Ein Mindestalter für Social Media – wie sinnvoll ist das? Das haben wir den Leiter der Kreismedienstelle in Rottweil, Stefan Kaiser, gefragt. Seine Meinung lässt aufhorchen.

Facebook, TikTok und Co. erst Jugendlichen ab 16 Jahren zu erlauben, mit diesem Vorstoß lenkte Grünen-Politiker Cem Özdemir den Zeigefinger auf ein Thema, das immer wieder polarisiert.

 

Auf politischer Ebene erntet er dafür viel Kritik. Dabei fordern auch Experten der Leopoldina, Accounts auf Social-Media-Plattformen für Kinder unter 13 Jahren komplett zu verbieten. Eltern sehen die Politik in der Pflicht und haben unter dem Titel „Kein Zugang zu sozialen Medien für Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren“ eine Petition gestartet, die mittlerweile an die 108 000 Unterschriften gesammelt hat.

Das Thema bewegt – auch die Experten in Rottweil. Stefan Kaiser ist Medienwissenschaftler, Leiter des Kreismedienzentrums und selbst Lehrer. Mit ihm sprechen wir über die derzeit laufende Debatte.

Für wie sinnvoll halten Sie den Vorstoß Özdemirs?

Zunächst bin ich froh über den polarisierenden Vorstoß von Herrn Özdemir. Er hat ein wichtiges Thema in die breite Öffentlichkeit gebracht. Das Thema Social Media, Medienkonsum, Bildschirmzeiten ist so prägnant in unserer Lebenswelt, der junger Menschen, in Erziehung und in den Familien vorhanden, dass es hilfreich ist, dass nun mehr darüber diskutiert wird. Es wird nun vermehrt nach Lösungsansätzen gesucht. Ob sein Vorschlag sinnvoll ist? Meiner Meinung nach ist die hohe Grenze zu einfach gedacht und nicht zielführend. Alles was ich verbiete, muss ich kontrollieren, damit es wirkt. Da werden sich die Gesetzgeber schwer tun. Und ob es technisch umsetzbar ist, stelle ich in Frage. Ich bin zu dem Entschluss gekommen, dass eine Mischung aus Pädagogik und Verboten vielleicht der richtige Weg sein kann.

Wie ist ihr Eindruck? Wie verantwortungsbewusst nutzen Kinder und Jugendliche überhaupt Social Media?

Im Vergleich zu vor zehn Jahre habe ich das Gefühl, dass ein Teil der jungen Menschen etwas kontrollierter damit umgeht. Der eine oder andere kommt gerade zu der Erkenntnis: „Das kostet viel zu viel Zeit und Energie. Das schalte ich ab“. Und da sehe ich eine Teilaufgabe für uns Erzieher, die Kinder mehr und gezielter darauf anzustoßen. Leider ist der große Teil der Jugendlichen noch weit davon entfernt. Ich mache gerne kleine anonyme Umfragen in meinen Schulklassen und die Ergebnisse im Bezug auf Medienkonsum, Bildschirmzeiten und schon vorhandene Social Mediakanäle sind für mich erschreckend. Da sind zwei Stunden Smartphone plus 2,5 Stunden Bildschirmzeit der Durchschnitt. Und ich spreche hier von Viertklässlern in der Grundschule auf dem Land.

Wie verantwortungsbewusst gehen Eltern mit dem Thema um?

Es gibt Eltern die sich der Sache bewusst sind und die Verantwortung übernehmen. Sie informieren sich, richten Bildschirmzeiten ein, verbieten Apps bis zu einem bestimmten Alter und haben die Anstrengung angenommen. Diese Eltern treffen wir dann auch auf unseren Elternabenden oder Infoveranstaltungen. Der Großteil der Elternschaft ist davon aber weit entfernt. Schüler plaudern gerne mal im Medienunterricht und wenn ich da höre, was sie alles in der Medienwelt machen, kommunizieren, wild drauf losklicken oder auf den Smartphones alles uneingeschränkt läuft, haben die Eltern die Verantwortung nicht übernommen. Sie begleiten ihre Kinder nicht. Diese Eltern sind dann leider oft nicht auf unseren Infoveranstaltungen, denn dort geht den meisten doch ein Licht auf.

Mit welchen Ängsten und Befürchtungen im Hinblick auf Social Media treten Eltern, Lehrkräfte oder auch pädagogisch Verantwortliche an Sie und das Kreismedienzentrum heran?

Wir sind hauptsächlich für die Schulen und Lehrkräfte verantwortlich und unterstützen diese in der Medienerziehung. Lehrkräfte und Pädagogen fragen nach bewährten Hilfsmitteln, Unterstützungsangeboten, Workshops, aktuellen Studien, aber auch rechtliche Fragen. Wir verweisen auf gute Plattformen und bieten sogar kostenlose Lizenzen für eine App zur Medienerziehung mit den prägnanten Themen wie Fake-News, Schönheitsideale, Deepfake oder auch KI an. An Elternabenden oder Veranstaltungen kommen die Eltern natürlich mit den typischen Fragen: Wie kann ich Einschränkungen vornehmen? Wie viel Social Media ist überhaupt gut für mein Kind? Lasse ich das überhaupt zu? Gibt es Alternativen und sichere Messenger?

Wo sehen Sie Handlungsbedarf bei diesem Thema?

Wir müssen unbedingt weiter aufklären, den Menschen verdeutlichen und klar machen, welche Folgen uneingeschränkte Nutzen von Social Media und früher Medienkonsum haben. Hauptsächlich sind die Eltern verantwortlich. Sie müssen die Kinder begleiten und erkennen, dass sie genauso viel Zeit investieren müssen wie zum Beispiel in der Verkehrserziehung. Sie geben ihrem Kind ja auch nicht einfach ein Fahrrad in die Hand und lassen es in Rottweil durch die Innenstadt fahren.

Stefan Kaiser Foto: Kaiser/Kreismedienzentrum

Da wird ein Profihelm gekauft, geübt und tausendmal die Regeln erklärt und in der Schule wochenlang Verkehrserziehung mit einer Prüfung durch die Polizei gemacht. Warum nicht bei dem so dominierenden Thema Medien genauso? Auf der anderen Seite brauchen wir mehr Medienpädagogen und Fachkräfte. Mit dem Fach Medienerziehung/Informatik und den verpflichtenden Handyregelungen in der Schule kommen wir voran. Diese Dinge müssen aber solide und pädagogisch sinnvoll durchgeführt werden.

Wie ist Ihre persönliche Meinung?

Wie schon angedeutet, finde ich eine Mischung aus Verbot bis zu einem sinnvollen Alter und wichtiger pädagogischer Begleitung und Heranführung einen guten Weg. Die Politik soll ruhig die Empfehlungen zu Verboten prüfen und diese dann auch durchsetzen. Das nimmt den Eltern und auch den Kindern Druck. Das Alter wird das Schwierige sein. Wenn Jugendliche ohne Kontakt und Begleitung mit Social Media mit 16 Jahren drauf losgelassen werden, sind sie verloren. Eltern müssen ihre Kinder wie in anderen Erziehungsangelegenheiten begleiten, sie müssen je nach Reife des Kindes Apps und Kanäle zulassen, darüber sprechen und Vertrauen aufbauen. Die Kinder müssen im Bereich Medien einen Halt bekommen und bei Ängsten, Scham, Gefahren, die im Netz und in den Social Media Kanälen entstehen, eine Vertrauensperson haben. Und das können nur die Eltern. Diese wiederum brauchen Hilfen und eventuell Anleitungen, welche die ausgebildeten Fachkräfte und Institutionen bieten können. Da muss aufgerüstet werden. Alle müssen noch mehr aufwachen und das Thema ernst nehmen.

Ab welchem Alter ist es für Kinder überhaupt sinnvoll, ein eigenes Handy zu haben?

Leider muss ich hier mit einer klaren Altersempfehlung, welche es auch nicht geben kann, passen. Als Medien- und auch Erlebnispädagoge sage ich: „Jedes Jahr ohne Handy ist ein gutes Jahr“. Eltern sollten das eigene Handy hinauszögern so lang es geht und sinnvoll ist. Jedes Kind ist auch von der Reife, Erfahrung und vom Entwicklungsstand anders. Es ist zweifelsohne schwierig, da der Gruppenzwang und die Gesellschaft Druck ausübt. Richtwerte findet man unter den Seiten www.schau-hin.info oder www.klicksafe.de.

Info

Ein schulübergreifender Elternabend zum Thema Medienkompetenz findet am Dienstag, 21. Oktober, von 18.30 bis 20.30 Uhr im Sonnensaal des Kapuziners in Rottweil statt.