Tausende Menschen demonstrieren seit 9. August in Minsk. Die historische weiß-rot-weiße Fahne ist zum Symbol der Protestbewegung geworden.Foto: dpa Foto: Schwarzwälder Bote

Aktion: Menschen in Belarus protestieren seit Wochen / Rottweiler BI organisiert Stand auf Wochenmarkt

Von Tatsiana Zelenjuk

Seit der Präsidentschaftswahl am 9. August gehen Hunderttausende Menschen in Belarus auf die Straße. Der Staat reagiert mit Gewalt. Am Samstag haben die Rottweiler die Möglichkeit, die Belarusen in ihrem Kampf zu unterstützen – mit Unterschriften und Spenden auf dem Wochenmarkt.

Rottweil/Minsk. Dieser Schmerz ist echt, er vergeht nicht – daran können auch die 1750 Kilometer, die zwischen Rottweil und Minsk in Belarus liegen, nichts ändern. Ich bin Belarusin und kann meine Tränen kaum zurückhalten, wenn ich die brutale Polizeigewalt auf den Straßen sehe, wenn ich die zynischen Lügen des Machthabers Alexander Lukaschenko im Propaganda-Staatsfernsehen höre und mir vorstelle, was die Menschen dort seit fast drei Monaten ertragen müssen. Wie mutig muss man sein, um Tag für Tag, Woche für Woche auf die Straße zu gehen – wohl wissend, dass man allein für ein weißes Armband oder für die historische weiß-rot-weiße Fahne, die zum Symbol der Protestbewegung geworden ist, verhaftet, verprügelt, misshandelt und gefoltert werden kann.

Fälschungen und Willkür

Lukaschenko beschimpft die Demonstrierenden als Verräter, als Ratten, als Drogensüchtige. In Wirklichkeit sind es Menschen, die sich für ihre Rechte einsetzen, gegen die gefälschten Wahlen, die Willkür der Richter und die Gewalt der Spezialeinheiten protestieren. Es sind Ärzte und Unternehmer, Programmierer und Lehrer, Architekten und Rentner, Anwälte und Sportler. Sie haben drei klare Forderungen formuliert: der Rücktritt von Lukaschenko, die Freilassung aller politischen Gefangenen und ein Ende der staatlichen Gewalt.

Auch Journalisten werden festgenommen und können für ihre Arbeit zu 13, 14 oder 15 Tagen Haft verurteilt werden – ganz nach Laune des Richters. Paragraf 23.34 kennt mittlerweile jeder in Belarus: Die Teilnahme an einer illegalen Demonstration wird den meisten Festgenommenen zur Last gelegt.

Eine Achterbahnfahrt

Doch die Menschen geben nicht auf. Mehr noch: Sie fühlen sich so stark wie nie zuvor. Viele von ihnen kenne ich. Andrej aus Minsk zum Beispiel. Er ist 44, arbeitet in einer leitenden Funktion. Seit der Wahl am 9. August geht er auf die Straße, nimmt an Solidaritätsaktionen teil, hat schon Verletzte und Festgenommene mit Medikamenten und Lebensmitteln versorgt. "Wenn Lukaschenko an der Macht bleibt, werde ich versuchen, das Land zu verlassen", sagt Andrej. Er schildert eine wahre Achterbahnfahrt der Gefühle, die er durchlebt: Ausweglosigkeit und schreckliche Angst, aber auch Stolz auf sein Volk und Hoffnung, dass die Diktatur nicht mehr lange bestehen wird.

Keinen einzigen Sonntagsmarsch hat die 31-jährige Julija aus Minsk verpasst. Mit ihrem Mann und ihrem Sohn ist sie jedes Mal dabei – auch wenn schon vier ihrer Kollegen vom Minsker Goethe-Institut bei den Aktionen festgenommen wurden. "Wir können nicht anders", sagt sie im Gespräch. "Seit dem Wahltag sind wir gezwungen, auf die Straße zu gehen. Wir wollen und können uns nicht mehr mit der Banditen-Diktatur arrangieren", sagt Julija, denn das Gesetz sei in Belarus außer Kraft gesetzt. Das Schlimmste sei, mit welcher Gewalt die Menschen niedergeschlagen, festgenommen, misshandelt und erniedrigt werden. "Mir tut es einfach weh, darüber zu berichten, was mit uns allen getan wurde. Das ist entsetzlich", sagt sie. "Wir werden es nie verzeihen. Und wir werden nie mehr dieselben sein."

Alina aus Minsk (Name geändert) war immer schon gegen das Regime von Lukaschenko – doch in diesem Jahr ist sie bei Protesten nicht dabei. Die 29-Jährige erwartet ihr erstes Kind. Sie sagt, sie hat schreckliche Angst. "Ich mache mir Sorgen, wie unsere Zukunft aussehen wird, wie dieses Land aussehen wird, in dem mein Kind aufwachsen wird." Gleichzeitig, sagt Alina, gibt es ein anderes, ganz starkes Gefühl: "Ich schäme mich eigentlich dafür, dass ich bei Protesten nicht dabei bin. Aber ich weiß, dass die Sicherheitskräfte keine Skrupel haben – nicht bei Alten, nicht bei Menschen mit Behinderung, nicht bei Schwangeren."

Richtig Angst

Die 58-jährige Olga (Name geändert) wohnt in einer Provinzstadt. Friedliche Straßenproteste gibt es auch dort – genauso wie die Gewalt seitens der Miliz. "Vor der Miliz habe ich richtig Angst. Wenn ich sie sehe, beginne ich zu zittern. Ich fühle mich in meinem Land nicht mehr sicher." Olga hofft, dass die Proteste und Streiks etwas bewirken – optimistisch klingt sie nicht.

Der Krieg läuft bereits

Ihre Schwiegermutter, sagt Olga, ist aus dem Freundes- und Familienkreis die einzige, die nach wie vor Lukaschenko unterstützt. " Sie sagt, wir verstehen nichts, wir sind nur dumm. Sie ist überzeugt: Wenn jemand anderer an die Macht kommt, beginnt sofort der Krieg."

Diese Sorge teilt der 33-jährige IT-Fachmann Igor (Name geändert) nicht. Der Krieg, meint er, läuft bereits – der Krieg des illegitimen Regimes gegen das Volk. Zweimal wäre er beinahe festgenommen worden, hatte die Spezialeinheit OMON auf den Fersen – und geht trotzdem weiter regelmäßig auf die Straße. Allerdings abwechselnd mit seiner Frau, die auch in der IT-Branche tätig ist, denn die beiden haben einen zweijährigen Sohn. "Wir verdienen gut, unsere Berufe sind gefragt, wir können jederzeit auswandern. Aber wir wollen hier bleiben und weiterkämpfen", sagt Igor.

Die Rottweiler Bürgerinitiative für eine Welt ohne atomare Bedrohung, die seit der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl enge Kontakte nach Belarus pflegt, organisiert in Zusammenarbeit mit der Rottweiler Ortsgruppe von amnesty international am morgigen Samstag von 8.30 bis 12.30 Uhr auf dem Rottweiler Wochenmarkt einen Unterschriftenstand.

Das Ziel der Aktion ist, die Menschenrechte in Belarus einzufordern, Folter und Gewalt gegen die Protestierenden zu stoppen und sich für die Freilassung von politischen Gefangenen einzusetzen. Es werden Petitionen ausliegen, in denen die Freilassung von Menschenrechtsverteidigerin Marfa Rabkova und Mitglied im Koordinierungsrat der Opposition Maria Kolesnikowa gefordert wird. Es liegen auch Petitionen zum Schutz der Meinungsfreiheit und gegen die Todesstrafe aus. Es wird darüber hinaus um Spenden gebeten, die zur Unterstützung von politisch Verfolgten in Belarus verwendet werden.

Die Aktion wird unter Einhaltung der aktuellen Hygiene-Regeln durchgeführt.