Bildung: Experte erklärt Unterschied zur Lese-Rechtschreib-Störung / Lösungsansätze der Schulformen
Von Katja Fuchs
Das Schuljahr ist in vollem Gange, die ersten Diktate sind geschrieben. Enttäuschungen gab es da sicherlich beim einen oder anderen. Schüler, die nicht richtig lesen und schreiben können, hat so gut wie jeder Direktor im Kreis Rottweil an seiner Schule.
Rottweil. "Entweder kommen die Schüler schon mit der Diagnose zu uns oder einer der Lehrer bemerkt die Lese-Rechtschreibschwäche", sagt Jochen Schwarz, Schulleiter des Albertus-Magnus-Gymnasiums Rottweil. Dann werde mit den Eltern geredet. "Es gibt bei gestellter Diagnose die Möglichkeit eines Nachteilsausgleichs. Die Schüler bekommen zum Beispiel mehr Zeit bei Klassenarbeiten in Fächern, wo Sprache eine Rolle spielt." Beim Abitur sei dieser Nachteilsausgleich jedoch bei Lese-Rechtschreib-Schwächen nicht möglich, weil die Prüfung einheitlich sein müsse.
Förderstunden ab Klasse 5
Manche Schüler, solche die keine diagnostizierte Lese-Rechtscheib-Störung haben, brauchen lediglich mehr Förderung, erklärt der Schulleiter. "Deswegen bieten wir ab der fünften Klasse Förderstunden für das Lesen und Schreiben an." Kinder, die nicht gut lesen können, seien teils trotzdem sehr talentiert. Sie haben die Schwäche nur in dem einen Bereich. "Daher ist nicht auszuschließen, dass sie ein gutes Abitur machen können. Oft tut sich in der Pubertät auch viel. Es heißt nicht: Einmal Lese-Schwäche, immer Lese-Schwäche."
Lerntherapeut Ralf Tritschler beschäftigt sich an seinem Lernzentrum in Rottweil seit 25 Jahren mit der Therapierung von Lese-Rechtschreib-Schwächen und anderen Lernstörungen. Er ist auch in der Fortbildung tätig. "Die meisten der betroffenen Kinder sind nur schwache Leser. Mit viel Übung und Nachhilfe kann da einiges getan werden", weiß er. "Eine echte Lese-Rechtschreib-Störung, früher als Lese-Rechtschreib-Schwäche oder Legasthenie bezeichnet, haben nur fünf bis acht Prozent aller Menschen." Da gebe es einen genetischen Hintergrund, der eine nachweisliche Minderaktivität in bestimmten Gehirnbereichen verursache.
Diagnose steht am Anfang
Verschiedene Komponenten führen dann zur Störung. Die kann sich auf ganz unterschiedliche Weisen äußern. "Manche Betroffene haben eine isolierte Lesestörung, sie machen zum Beispiel viele Fehler, lesen langsam oder wissen danach nicht, was sie gelesen haben, können aber gut schreiben. Ebenso gibt es isolierte Rechtschreibstörungen." Es komme sogar vor, dass Personen sich beim Schreiben die Worte leise vorsprechen, wie es wohl jeder beim Schreiben tue, aber dennoch etwas anderes aufschreiben. "Dann fehlen Buchstaben oder Worte sind verdreht." Die Störung werde von den Betroffenen unterschiedlich wahrgenommen. "Manche sagen, die Buchstaben verschwinden beim Lesen, andere können sich die Buchstabenkombinationen nicht merken", erklärt Tritschler. Diese neurologischen Probleme brauchen neurologische Behandlungsansätze. "Gewöhnliche Nachhilfe arbeitet zu unstrukturiert, um da Abhilfe zu schaffen." Vor der Therapie braucht Tritschler eine klare Diagnostik, dann stellt er die 0-Fehler-Grenze fest, bestimmt also, was der Betroffene gerade noch fehlerfrei kann. Dann wird ganz gezielt bei den Problemstellen angesetzt, um den Wortschatz Stück für Stück aufzubauen. "Eine Lese-Rechtschreib-Störung ist nicht heilbar, aber nach einigen Jahren Therapie kommen die meisten Betroffenen im Alltag zurecht."
Um die Lesefähigkeiten der Schüler zu unterstützen, tun Schulen teils viel, so auch die Erhard-Junghans-Schule in Schramberg. "Wir beteiligen uns seit einem Jahr an der Aktion ›Lesen macht stark‹", sagt Jörg Hezel, Schulleiter der Gemeinschaftsschule.
Freude am Lesen wächst
"Das Projekt läuft ab Klasse fünf. Dabei wird zum Beispiel eine Stunde mehr pro Woche zum intensiv Lesen lernen eingeplant." Regelmäßig gebe es Vergleichstests, um die Verbesserungen abzubilden. "Ich habe den Eindruck, dass die Freude am Lesen bei den Schülern gewachsen ist." Das Förder-Projekt gibt es auch für Mathematik. Die Schule habe sich für Sprache entschieden, weil das Verständnis von Texten in allen Fächern wichtig sei. "Immer öfter kommt es vor, dass auch Mathe-Aufgaben nicht gelöst werden, weil die Aufgabenstellung gar nicht verstanden wird."
Ein Nachteilsausgleich-Fall von Lese-Rechtschreib-Störungen gibt es auch an der Erhard-Junghans-Schule. Hezel betont, dass dabei jedoch nicht das Niveau der Prüfungen gesenkt wird. Die Schüler bekommen nur mehr Zeit oder einen Duden.
Ein Nachteilsausgleich wird an der Waldorfschule Rottweil nicht gebraucht, denn "wir haben ja keine Noten", sagt Schulleiterin Andrea Aldenkortt. "Aber Kinder mit Lese-Rechtschreib-Schwäche gibt es in jeder Klasse. Ich bin selbst auch Lerntherapeutin." Es gebe einen Förderbereich an der Schule, der sich von der ersten bis zur sechsten Klasse erstrecke. "Betroffene Schüler werden dann im Rahmen von Einzelstunden besonders gefördert. Dabei reden wir aber nicht von Nachhilfe im klassischen Sinn, sondern von einer Förderung auf lerntherapeutischer Basis." Am besten sei es, wenn die Störung schon in der ersten Klasse entdeckt wird. "Da lässt sich der Teufelskreis von schlechtem Lesen, Demotivation, schlechter Leistung und noch mehr Demotivation, noch am besten verhindern." Und was, wenn dieser schon besteht? "Dann entwickeln Schüler Vermeidungsstrategien, lernen Texte auswendig, anstatt sie abzulesen, damit niemand merkt, dass sie es nicht können", meint die Schulleiterin. "Wird Legasthenie erst in der sechsten Klasse entdeckt, ist es für die Betroffenen schlimm, weil sich dann im Gehirn Strukturen und Blockaden verfestigt haben, die sich nur noch schwer lösen lassen." Wer also den Verdacht habe, dass sein Kind betroffen sein könnte, solle das möglichst früh abklären lassen. Nur wenn das Problem bekannt sei, könne daran gearbeitet werden.