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37-Jähriger wegen Anbaus von Rauschmittel zu medizinischen Zwecken zu Geldstrafe verurteilt

"Was würde man selbst in so einer Situation tun?", appellierte Verteidiger Markus Cronjäger besonders ans Gewissen der Schöffen. Er verteidigte einen 37-Jährigen aus dem Kreis Rottweil, der zu Hause Cannabis angebaut hatte – zu medizinischen Zwecken, wie sich zeigte.

Kreis Rottweil. Cannabis als Ultima Ratio? Darum ging es kürzlich vor dem Rottweiler Amtsgericht. Anlass waren sechs Cannabis-Pflanzen und etliche Mengen abgeerntetes Material, das die Polizei im August 2018 in der Wohnung eines 37-Jährigen aus dem Kreis Rottweil gefunden hatte.

Entdeckt wurde die Cannabis-"Plantage" durch einen Brandalarm, in dessen Folge Feuerwehr und Polizei zur Wohnung ausgerückt waren. "Schon im Eingangsbereich haben wir den starken Cannabis-Geruch wahrgenommen", berichtete eine Polizistin vor Gericht. Und dann habe sie vor der aufwändigsten und professionellsten Anlage zum Cannabis-Anbau gestanden, die sie je gesehen hätte.

Insgesamt rund 700 Gramm Cannabis mit einem reinen THC-Gehalt von 59 Gramm habe man sichergestellt. Geraucht entspreche das laut Untersuchungsbericht etwa 4000 Konsumeinheiten.

Der allein lebende 38-jährige Angeklagte hatte schon im Ermittlungsverfahren den Besitz des Marihuanas zugegeben. Jedoch gebe es für diesen einen guten Grund, meinte er vor dem Amtsgericht. Ein Jahr zuvor habe er einen schweren Fahrradunfall gehabt und sich den Kiefer mehrfach gebrochen. "Sie können sich die Schmerzen vorstellen, die man hat, wenn man sich das Gesicht zertrümmert", meinte er. Wochen danach habe er noch Krämpfe und Schmerzen erlitten. Oft habe er nicht schlafen können und sei mit Kopf- und Nervenschmerzen aufgewacht.

Schmerz ist omnipräsent

Opiate wie Tilidin-Tabletten habe er aufgrund der heftigen Nebenwirkungen schnell abgesetzt. "Die Tabletten haben mich tagelang benommen gemacht. Ich konnte nicht richtig denken. Ich habe Kinder und einen wichtigen Job. Also wollte ich nicht den ganzen Tag breit herumlaufen", erklärte der 37-jährige Krankenpfleger.

Daraufhin habe er sich genauer mit Cannabis und dessen medizinischer Wirkung beschäftigt. Mit Betäubungsmitteln sei er sonst noch nie in Kontakt gekommen, eher mit Personen, die nach Konsum dieser mit Problemen zu kämpfen hatten. "Ich habe Leute gesehen, die durch Cannabiskonsum alles verloren haben", erzählte er. Das Gras habe bei ihm aber keinen Rausch hervorgerufen, sondern nur den Schmerz gelindert. Am Schwarzmarkt habe er sich nicht beteiligen wollen. Er kenne niemanden, der ihm so etwas hätte besorgen können, sagte er.

Legal an das Mittel zu kommen, sei aber auch quasi unmöglich gewesen. "Ich habe mit einem MS-Patienten gesprochen, der einen zweijährigen Leidensweg hinter sich hatte, bis er einen Arzt fand, der ihm Cannabis verschrieb", so der Angeklagte. Die Aussicht auf eine Lösung in zwei Jahren sei unvorstellbar gewesen, der Schmerz omnipräsent. Bei den Ärzten herrsche beim Thema Cannabis noch eine sehr große Unsicherheit, erklärte Verteidiger Cronjäger.

Je nach Schmerzintensität habe er das Suchtmittel zweimal die Woche konsumiert. Die Menge an Pflanzen und Material erklärte der Angeklagte so, dass er sie zu Öl verarbeiten wollte. Das konnte durch die Aussage der Polizistin plausibilisiert werden. "Öl ist besser dosierbar. Außerdem bleibt am Ende nur noch zehn Prozent der Menge übrig", erklärte der 38-Jährige.

Mit Alkohol löse man die Wirkstoffe aus der Pflanze heraus. Nach dem Abdestillieren habe man dann das reine Öl. Dieses könne man oral zu sich nehmen oder auf Tabak träufeln und diesen rauchen.

Woher er die Anlage und die Pflanzen bekommen habe? "Das Zeug verbreitet sich wie Unkraut. Im Internet findet man überall etwas. Das ist wirklich kein Hexenwerk", meinte der Verteidiger.

Motivation spielt eine Rolle

An jenem Tag im August, als der Brandmeldealarm aktiviert wurde, sei er gerade in der Erntezeit gewesen, sagte der Krankenpfleger. Wenige Tage später wäre nur noch ein Bruchteil des Materials übrig gewesen. So aber musste der Mann sich wegen Besitzes von Betäubungsmitteln verantworten, die eine per Gericht definierte geringe Menge um das Siebenfache überstieg.

Auch wenn es sich nach den glaubhaften Gründen um einen minder schweren Fall handle, sei die Menge an Cannabis enorm, erklärte Staatsanwalt Achim Ruetz. Angesichts der bisherigen Straffreiheit des 37-Jährigen schlug er eine Freiheitsstrafe von einem Jahr zur Bewährung vor, zudem eine Geldauflage von 2000 Euro als "Denkzettel".

Das fand Verteidiger Cronjäger nicht angemessen. "Solche Menschen wie mein Mandant sieht man hier nicht oft. Er gehört nicht hier hin", meinte er. Sein Mandant habe sich nur aus einer misslichen Lage befreien wollen – und was sei ihm da noch geblieben? Die Motivation spiele eine zentrale Rolle.

Und der Weg zum legalen Cannabis sei steinig. "Man kann keinen Kranken dafür bestrafen, dass ein entsprechendes Gesetz noch in den Kinderschuhen steckt", plädierte der Verteidiger für drei Monate beziehungsweise 2700 Euro Strafe. Der Gesetzgeber sehe vor, Freiheitsstrafen unter sechs Monaten in Geldstrafen umzuwandeln.

Amtsrichter Oliver Niefer und seine Schöffen entschieden sich für eine Freiheitsstrafe von fünf Monaten, die in eine 4500-Euro-Geldstrafe umgewandelt wird. "Ohne die Schmerzen in Abrede stellen zu wollen: Sie hätten sich mehr um einen anderen Weg bemühen müssen – auch wenn dieser nicht erfolgreich gewesen wäre", meinte Niefer. Der eigene Anbau sei die leichtere Lösung gewesen.