Die Zukunft nicht weniger Hausarzt-Praxen steht auf der Kippe. Foto: Ulmer

Notstand: Viele altgediente Mediziner liebäugeln mit dem Ruhestand / Zur Problemlösung gibt es zahlreiche offene Fragen

Was kommt auf die Patienten zu, wenn renommierte Hausarztpraxen zusehends schließen? Zu dem brisanten Thema gibt es eine Menge Lösungsideen. Doch Papier ist oft sehr geduldig, was die Umsetzung hehrer Gedanken betrifft. Nicht zuletzt für ältere Patienten ist das häufig eine bittere Pille.

Kreis Rottweil. Hausärzteversorgung auf dem flachen Land ist ein schwieriges Thema. Viele eine Praxis führende Mediziner sind über 60. Im Kreis Rottweil waren dies 2016 35 Prozent. Älter als 65 waren damals bereits 19,5 Prozent. Zu Nachfolgefragen werden längst händeringend Antworten gesucht. Im Moment droht einigen wichtigen Praxen das Aus.

Zu Nachfolgefragen werden dringend Antworten gesucht

"Wir haben aktuell im gesamten Land das Problem, dass (Haus-)Arztpraxen nicht nachbesetzt werden können. Wir haben schlicht die Situation, dass wir mehr Ärzte haben, die ausscheiden, als welche, die nachkommen. Wir können das als KV auch nicht ausgleichen, weil wir zu wenige Ärzte haben. Möglicherweise müssen die Patienten weitere Wege in Kauf nehmen", so auf Nachfrage die Auskunft bei der Kassenärztlichen Vereinigung Baden Württemberg (KVBW), die die Regieführung innehat bei der Versorgung mit flächendeckenden Ärztenetzen. Weiter wird erklärt: "Wir tun das, was in unseren Möglichkeiten steht. Wir haben ein Förderprogramm aufgesetzt, werben bei Ärzten, die nicht (mehr) in der Versorgung sind, fördern die Weiterbildung und haben für Hausärzte eine Reihe von Hemmnissen abgebaut. Die Programme wirken auch durchaus, wir haben schon Lücken damit schließen können", sagt Kai Sonntag, Leiter der Stabsstelle Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der KVBW.

Auch andere Protagonisten widmen sich dem Thema mittlerweile intensiver: Im Oktober 2017 berieten Ärzte und weitere Gesundheitsakteure sowie Vertreter der Kommunen in einer im Rahmen eines regionalen Modelprojekts inszenierten "Zukunftswerkstatt", wie langfristig eine wohnortnahe Versorgung aufrechterhalten werden kann. Das Forschungs- und Beratungsinstitut Quaestio und das Institut für Allgemeinmedizin der Universität Frankfurt sind bei dem Projekt, das vom Ministerium für Soziales und Integration in Kooperation mit der KVBW unterstützt wird, mit im Boot.

"Die Landkreise und ihre Gemeinden müssen verstärkt junge Ärzte für eine Arbeit in ländlichen Gemeinden gewinnen. Der medizinische Nachwuchs wünscht sich aber vermehrt moderne flexible Arbeitsbedingungen, am Anfang meist auch im Angestelltenverhältnis, die in ländlichen Kleinpraxen so oftmals nicht realisierbar sind", lautet eine Grunderkenntnis. Die dafür erforderlichen Strukturen könnten am besten durch größere Zusammenschlüsse von Ärzten geleistet werden, wird gefolgert. Ganz wesentlich sei dabei auch eine enge Kooperation von Ärzteschaft und Gemeinden.

In dem im Kreis Rottweil zum Auftakt der geschaffenen "strategischen Allianz" zunächst eröffneten Fokusraum Oberndorf/Sulz sollen "potenzielle Initiatoren für innovative Projekte identifiziert werden", wie es etwas kryptisch heißt. Gemeint ist damit auch: Bürgermeistern und Kommunen soll bezüglich ihres Interesses an einem kommunalen Engagement genau auf den Zahn gefühlt werden.

Neben der Verwirklichung von lokalen Gesundheitszentren gibt es die Vorstellung, frei werdende Arztsitze aus einem Kooperationspool heraus zu besetzen. So könnten sich ebenfalls attraktivere Arbeitsplätze mit moderateren Zeitschienen schaffen lassen. So ließe sich auch eine wertvolle brachliegende Medizinerreserve – insbesondere jüngere Ärztinnen, die aus familiären Gründen sich nicht in bisher übliche ausgesprochen zeitintensive Strukturen hineinzwängen lassen wollen, sind laut Gesundheitsamt im Wartestand – schneller rekrutieren, wird gehofft.

Auch Kommunen sind bei Entwicklung von Lösungen sehr gefragt

Indes zeigt sich in der Praxis allein schon die Suche nach geeigneten Räumlichkeiten für solche Vorhaben schwierig, weiß auch Petra Sostak, bei der Rottweiler Gesundheitsbehörde stellvertretende Leiterin. Soll auch heißen, dass sich Städte und Gemeinden in immobilientechnischer Sicht als wichtige Steigbügelhalter für diverse Vorhaben in der Pflicht sehen könnten.

Dass sich Lösungsvorschläge für eine weiterhin starke Hausarztpräsenz trotz vieler gedanklich dargelegten Rezepturen nicht von heute auf morgen realisieren lassen, zeigt die Realität Altgediente Hausärzte wollten mit 67 oder vielleicht auch erst mit 70 einen Schlussstrich ziehen unter ihr medizinisches Schaffen. Die Aufforderung, zum Abschied für einen zukunftsfähigen Übergang noch ein Kooperationsmodell anzustreben, komme da erst einmal sehr provokant daher, weiß auch Heinz-Joachim Adam, der Leiter des Gesundheitsamts in Rottweil. An einem intensiven Gesundheitsdialog zwischen Ärzteschaft und Kommunen mit einer regelmäßigen Austauschplattform gehe beim Ziel, die Versorgungssicherung im gesamten Landkreis zu gewährleisten, aber kein Weg vorbei.

Auch der Telemedizin könnte bei der Sicherung der medizinischen Versorgung bald eine bedeutende Rolle zukommen. Online bekommt ein "Computer-Arzt" den Patienten und möglichst auch sein Leiden auf den Schirm, um diesem nach genauem Hinschauen dann ins Gesicht zu sagen, welche weiteren Behandlungsschritte – von Medikamentenempfehlungen bis zum Aufsuchen eines Facharztes – er für notwendig erachtet.

"Digitale Technologien ermöglichen innovative Versorgungs- und Behandlungskonzepte für die ambulante vertragsärztliche Versorgung": Unter dieser Überschrift will die KVBW als erste Kassenärztliche Vereinigung ein Telemedizin-Projekt auf den Weg bringen. Per Telefon oder Videotelefonie sollen Patienten mit DocDirekt ab März in zwei Modellregionen (Stadtkreis Stuttgart und Landkreis Tuttlingen) kompetente medizinische Beratung von niedergelassenen Ärzten bekommen können.

In diesem Zusammenhang ist auch PEPP (patientennah erreichbare Portalpraxis) zu sehen. Hier sollen Haus- und Fachärzte gegen eine extrabudgetäre Vergütung eine taggleiche Akutbehandlung der DocDirekt-Patienten in ihren Praxen ermöglichen.

Aber was macht der Patient, wenn in einigen Wochen in Rottweil, Dietingen oder einer anderen Stadt oder Gemeinde im Kreisgebiet der Arzt des Vertrauens seine Pforten schließen sollte? Viele denkbare Angebote sind (noch) nicht vorhanden. Wo überhaupt findet man einen neuen Hausarzt? Wie kommt die Krankenakte zur neuen Anlaufstelle? Da tun sich Sorgen auf, zu denen Antworten nicht unbedingt auf der Hand liegen.

Christiane Ranke, beim Gesundheitsamt auch als Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie tätig, geht davon aus, dass mit der prekärer werdenden Hausarztsituation auch der Druck auf Notfallaufnahmen in den Krankenhäusern zunimmt, wie sie bei einer hausinternen Diskussionsrunde des Amtes mit dem Schwarzwälder Boten betont.

Der Mediziner für alle Fälle, der sich nach einem langen Praxistag und einem anschließenden bürokratischen Intermezzo spätabends noch zu Hausbesuchen aufmacht, ist vom Aussterben bedroht: Zu dieser Spezies der alten Schule wollen junge Ärzte nicht mehr gehören. Neben der Arbeit soll auch ordentlich Platz für Freizeit und Familie sein. Vor allem im ländlichen Raum gibt es angesichts der bröckelnden Hausarztfront in klassischer Ausgestaltung ein herbes Erwachen. An Rezepturen zur Heilung des kränkelnden Systems wird mittlerweile zwar kräftig herumgedoktert, wichtige Schritte auf dem Weg der Besserung lassen aber noch auf sich warten. Über wirksame Arznei zur Beseitigung des Versorgungsvakuums wird in Arbeitsgruppen viel geredet. Für griffige Problemlösungen bedarf es aber eines großen Schulterschlusses aller Beteiligten.