Kreis Rottweil - Die beiden Frauen aus Böhringen sind immer noch ganz aufgelöst: "Es ging alles so schnell." Wilma Munz und Petra Lone, Mutter und Tochter, haben sich am Samstag versehentlich aus ihrem Haus ausgesperrt – und wurden Opfer einer klassischen Schlüsseldienst-Abzocke. 426 Euro haben sie in ihrer Not bezahlt. Das Geld ist futsch.

Als die Haustür am Samstagabend mit einem leisen Klack ins Schloss fiel, alle draußen sind und innen der Schlüssel steckt, ist für die beiden Frauen klar: Ein Schlüsseldienst muss her. Petra Lone tut das, was viele in der Situation tun würden: Sie googelt "Schlüsseldienst Rottweil" – und macht dann, wie sie jetzt weiß, einen großen Fehler: Sie entscheidet sich für den gleich ersten oben angezeigten Treffer. Ein vertrauenswürdig aussehender "Roland Bergmann" wirbt mit seinem "Schlüsseldienst für Rottweil" und "Ab 5 Euro für Schlösser", bietet dazu eine kostenfreie 0800er-Hotline-Nummer an. Am Telefon heißt es dann: "In 30 Minuten ist jemand da."

426 Euro für drei Minuten Arbeit

Tatsächlich fährt eine halbe Stunde später ein Auto mit Essener Nummer vor. Keine Firmenaufschrift, nichts. Ein Mann in Straßenkleidung mit Koffer steigt aus. "Irgendwie kam mir das gleich komisch vor", berichtet Petra Lone. Der Mann klärt sie auf, dass zum Grundpreis von 169 Euro 100 Prozent Wochenend-Zuschlag und ein Nach-18-Uhr-Zuschlag draufkommen. Er öffnet innerhalb von ein paar Minuten mit einer Plastikkarte die Tür und präsentiert die "Rechnung": 426 Euro. Zahlbar auf der Stelle. Petra Lone wird stutzig. Ihre 79-jährige Mutter will jedoch dringend ins Haus, der Mann betont, dass das nunmal die Preise seien und zückt ein EC-Kartenzahlungsgerät. Kaum ist die Zahlung erfolgt, ist er auch schon verschwunden. Und nachdem sich die ganze Aufregung gelegt hat, wird den Frauen klar, dass sie gnadenlos abgezockt wurden.

Am Montag gehen sie zur Polizei in Rottweil, wo man ihnen jedoch, wie sie berichten, schon gleich an der Pforte erklärt, dass man da "nichts mehr machen" könne. "Wir sind gar nicht erst reingekommen", bedauern sie.

Matthias Bauer von der Verbraucherzentrale in Stuttgart gefällt das gar nicht. Denn: Den Verbraucherschützern ist das Internet-Portal "schlossauf.de" mit besagtem Herrn Bergmann bekannt. "Das ist organisierte Kriminalität", sagt Bauer ohne Umschweife. "So etwas muss von der Polizei aufgenommen werden", betont er. Hier seien Betrüger am Werk, die bundesweit agieren. Die Betrüger kooperieren in den Städten mit Scheinselbstständigen, die dann bei Bedarf angefunkt werden. So werde suggeriert, dass der Schlüsseldienst ortansässig ist. Den Herrn Bergmann gebe es dabei ebenso wenig wie vermutlich den Namen, der im Impressum steht. Man habe von seiten der Verbraucherzentrale mehrfach versucht, dem Internet-Portal auf den Zahn zu fühlen. Alle Recherchen laufen ins Leere. Zu den Namen gibt es keine ladungsfähige Adresse. Steuernummer? Fehlanzeige.

Betrüger nutzen Notlage aus

Das ist auch Petra Lone aufgefallen, als sie die "Rechnung" genauer betrachtete: "Steuernummer in Bearbeitung" steht da. Rechnungsnehmer ist ein Sami Halabi in Essen. Auch diesen Namen hört Matthias Bauer nicht zum ersten Mal. "Die Rechnung ist nicht mehr wert als ein Fresszettel, der Kunde müsste hier überhaupt nicht bezahlen", betont er. Allerdings werde die Notlage der ausgesperrten Menschen schamlos ausgenutzt, sie würden oft regelrecht unter Druck gesetzt, schnell zu zahlen.

Der Verbraucherschützer bedauert, dass die Strafverfolgungsbehörden und auch die Politik hier nicht drastischer durchgreifen. Denn der Betrug finde gleich mehrfach statt: Bürger werden mit Wucherpreisen abgezockt, die Umsatzsteuer werde nicht abgeführt, und bei den Scheinselbstständigen werde Sozialabgabenbetrug betrieben.

Für große Freude in der Verbraucherzentrale sorgte deshalb in dieser Woche ein Urteil aus Kleve: Das dortige Landgericht hat erstmals zwei Betreiber einer Schlüsseldienstfirma für ihre Machenschaften mit überzogenen Rechnungen zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt.

Und was können Wilma Munz und Petra Lone tun, um vielleicht doch noch einen Teil ihres Geldes wiederzubekommen? Matthias Bauer macht ihnen wenig Hoffnung. In manchen Fällen sei es schon gelungen, über die Bank die Zahlung schnell wieder zu stornieren. Die Banken seien jedoch nicht dazu verpflichtet, außerdem brauche es dafür ein Aktenzeichen der Polizei. Das haben die beiden Damen aus Böhringen nicht. Bei einem weiteren Anruf bei der Polizei habe man ihnen aber die Nummer eines seriösen Rottweiler Schlüsseldienstunternehmens gegeben mit der Bitte, sie auch an Nachbarn weiterzureichen – und Betrügern so keine Chance zu geben.

Info: Tipps

TIPPS:

- Die Verbraucherzentrale rät: Suchen Sie sich in Ruhe wichtige Nummern wie örtliche Schlüsseldienste oder Rohrreinigungsfirmen heraus und notieren Sie diese für den Notfall. Überprüfen sie im Zweifel die Angaben.

- Eine Türöffnung  kostet laut  Verbraucherzentrale  durchschnittlich zwischen 80 und 150 Euro.  
 
- Vorsicht: Derzeit sind vermehrt Betrüger aktiv, die bei Insektenbefall oder für die Enfernung von Wespennestern horrende Summen – bis zu 1700 Euro –  verlangen. Bei Wespen sollte  man sich im Zweifel  an die Naturschutzbehörde wenden.