Das Urteil im Prozess über den Besitz von Kinderpornografie ist gesprochen. Foto: Lupo (Pixelio)

Anderthalb Jahre Haft wegen des Besitzes von Kinderpornos. Richter: Strafe wird Neigung nicht kurieren.

Oberndorf - Er sprach von einer perversen, schwachen und gefährlichen Persönlichkeit – die Wortwahl des Oberndorfer Amtsgerichtsdirektors Wolfgang Heuer war deutlich. Er schickte am gestrigen Montag einen 57-Jährigen wegen des Besitzes von Kinderpornografie ins Gefängnis.

"Es ist ein Dilemma". In seiner ausführlichen Urteilsbegründung ließ Heuer keinen Zweifel daran, dass er mit dem Strafmaß, das er verhängen konnte, nicht glücklich war. Eine anderthalbjährige Freiheitsstraße muss der 57-Jährige Angeklagte aus einer Kreisgemeinde nun verbüßen. Im März 2015 waren auf seinem Computer und auf verschiedenen Datenträgern Tausende kinder- und jugendpornografischen Bildern und Videos gefunden worden.

Den Beteuerungen des arbeitslosen Mannes, seit der Hausdurchsuchung nicht mehr auf einschlägigen Seiten im Internet unterwegs gewesen zu sein, schenkte der Richter wenig Glauben. Er ließ deshalb am ersten Verhandlungstag Ende Februar aus dem Gerichtssaal heraus die Kripobeamten in die Wohnung des Angeklagten fahren und den aktuellen PC durchforsten.

Und die Polizisten wurden fündig. Obgleich der 57-Jährige seinen Browserverlauf – also die Liste der im Internet aufgerufenen Seiten – gelöscht hatte, ließen sich die Daten rekonstruieren. Und wieder, so sagten die mit dem Fall betrauten Kripobeamten gestern vor Gericht aus, befand sich kinderpornografisches Material darunter.

Damit ergab sich für den forensischen Gutachter Ralph-Michael Schulte ein neues Bild. Der Facharzt war zunächst davon ausgegangen, dass es sich beim Angeklagten um eine sogenannte Hemmungspädophilie handelt, die nur ein Nebeneffekt von dessen verquerer Charakterstruktur ist. Nach den nun vorliegenden neuen Ermittlungserkenntnissen geht Schulte davon aus, dass eine Kernpädophilie vorliegt, also eine entsprechende Neigung.

Nicht pathologisch

Zwar bescheinigte der Gutachter dem 57-Jährigen eine Paraphilie – das ist eine sexuelle Neigung, die deutlich von der Norm abweicht. Eine psychische Erkrankung, die zu einer Schuldunfähigkeit oder -minderung führt, konnte Schulte bei dem Angeklagten jedoch nicht diagnostizieren. Und obgleich der pädophile Mann im Gerichtssaal nicht den intelligentesten Eindruck vermittelte, könne nicht von einer Schwachsinnigkeit im juristischen Sinne, also einer geistigen Behinderung im Sinne einer Minderung der kognitiven Leistungsfähigkeit, gesprochen werden. Sehr wohl aber bescheinigte der Gutachter dem Angeklagten ein vermindertes Selbstwertgefühl sowie ein sehr eingeschränktes Unrechtsbewusstsein und mangelnde Einsicht. Im Laufe des Verfahrens war zudem die Rede davon, der Angeklagte habe berichtet, als Zwölfjähriger selbst missbraucht worden zu sein.

Seine Vorliebe, das ließ sich aus den Mengen an Bildern herauslesen, waren offenbar sexuelle Handlungen an acht- bis zwölfjährigen Jungs, obgleich sich auch Fotos von Babys und Kleinkindern unter den ausgewerteten Daten fanden. Amtsgerichtsdirektor Heuer sprach von "widerwärtigem Inhalt". Laut Ralph-Michael Schulte könnte der Mann eine multiple sexuelle Störung haben. Denn aktuell bietet er sich im Internet als Sexsklave an.

Es gab bereits Übergriffe

Das Vorstrafenkonto des pädophilen Mannes weist mehrere Verurteilungen wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern auf. Er hatte sich an Jungs unter 14 Jahren vergangen, allerdings ohne Gewaltanwendung. Vielmehr hatte er die Buben, so war es den jeweiligen Verurteilungen, die Richter Heuer verlas, zu entnehmen, mit "List und Tücke" willfährig gemacht. Diese Taten liegen schon Jahre zurück.

Gutachter Schulte sprach von ungünstigen Prognosen – sowohl aus medizinischer als auch aus sozialer Sicht. Der arbeitslose Mann lebt seit Jahren von "Hartz IV" und hat kaum Kontakte zu anderen Menschen. Seine Neigung habe er in den vergangenen Jahren von der realen in die virtuelle Welt hineinverlagert. Erneute Übergriffe im wirklichen Leben hält der Gutachter zwar für unwahrscheinlich, kann sie aber nicht gänzlich ausschließen.

Aufgrund der Rechtslage ist eine Unterbringung in einer psychiatrischen Einrichtung nicht möglich, betonte Richter Heuer in seiner Urteilsbegründung. Er stellte aber klar, dass der virtuelle Missbrauch natürlich ein reales Geschehen voraussetze. Zumal der Angeklagte auch eingeräumt hatte, im Livestream Kinder zu sexuellen Handlungen an sich selbst aufgefordert zu haben. "Dahinter steht da ja immer ein Erwachsener", so Heuer. Das Leid, das die so gepeinigte Kinder erleiden müssten, sei unermesslich.

Dass die Haftstrafe den Verurteilten von seiner Neigung kuriere, hält der Richter für unwahrscheinlich. Er verglich dessen Verhalten mit dem eines Drogenabhängigen. Es bleibe die bittere Erkenntnis, dass die Gesellschaft solch einen Menschen ertragen müsse.

"Wenn ich ins Gefängnis müsste, würde ich das nicht überleben", waren die letzten, leise gesprochenen Worte des schüchtern wirkenden Angeklagten vor der Urteilsverkündung. Der Richter entsprach mit der Höhe des Strafmaßes der Forderung des Staatsanwalts. Eine Bewährungsstrafe, für die der Anwalt des Angeklagten plädiert hatte, habe er nicht ernsthaft in Betracht gezogen. Da bis zum Prozess eine lange Zeit vergangenen war, könne von einer rechtsstaatswidrigen Verfahrenverzögerung gesprochen worden (wir berichteten). Deshalb gelten zwei Monate der verhängten anderthalb Jahre als bereits verbüßt.