Drazen D. sitzt vermummt im Saal des Landgerichts Rottweil, sein Anwalt Bernhard Mussgnug an seiner Seite. Foto: Murat

Psychische Verfassung von Drazen D. im Fokus. Gerichtsverhandlung liefert immer klareres Bild der Tat.

Rottweil/Villingendorf - Es ist Halbzeit in einem Prozess, der an die Substanz geht: Immer neue schreckliche Details kommen ans Licht, immer abgründiger zeigt sich das Innenleben des mutmaßlichen Täters – und das seines Umfeldes: Seit Mitte März wird gegen Drazen D. vor der Schwurgerichtskammer des Landgerichts Rottweil wegen dreifachen Mordes verhandelt. Dass der 41-jährige Kroate am 14. September vergangenen Jahres in Villingendorf bei der privaten Einschulungsfeier seines kleinen Sohnes aus dem Dunkeln aufgetaucht, den neuen Lebensgefährten seiner Ex-Partnerin, dessen Cousine und zuletzt seinen eigenen sechsjährigen Sohn aus nächster Nähe erschossen hat, daran kann es nach acht Verhandlungstagen keinen Zweifel mehr geben.

Gründlichkeit ist entscheidend

Doch es geht um mehr als um die Aufklärung des Tathergangs.  Die Vorbereitung der Tat, die Mitwisser, die Beschaffung der Waffe, die psychische Verfassung von Drazen D. bei der Tat und davor, sein Gewaltpotenzial – all diese Puzzleteile müssen zur Urteilsfindung zusammengesetzt werden. "Es geht um die mögliche Höchststrafe, da ist diese Gründlichkeit absolut notwendig", sagt der Sprecher der Staatsanwaltschaft Rottweil, Frank Grundke. 

Im Raum steht   auch eine mögliche  Feststellung der besonderen Schwere der Schuld. Und es  muss geprüft werden, ob es Anhaltspunkte für eine verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten gibt. Ein psychiatrischer Gutachter begleitet den Prozess. Alles, was als Grundlage für das Urteil herangezogen wird, muss mündlich im Prozess besprochen werden. Daraus, so die Staatsanwaltschaft, resultiere die Masse an Zeugen, die Einspielung der Notruf-Aufzeichnungen, der Fotos, der Handy-Daten und vieles mehr.

Tat mit Ansage

Dieser Gründlichkeit ist es zu verdanken, dass auch  die Vorgeschichte der Tat intensiv beleuchtet wird.  Und hier verfestigt sich mit jedem Prozesstag das, was manch einer kaum für möglich gehalten haben mag: Es war eine Tat mit Ansage. Drazen D. hat die Morde nicht nur seiner Ex-Freundin und dem kleinen Sohn vier Wochen vorher ins Gesicht gesagt. Es gab zudem viele Mitwisser, seine Mordabsichten waren ein "offenes Geheimnis",  seine Suche nach einer Waffe Gesprächsthema in seinen Stammkneipen. Seine Cousine hilft ihm schließlich sogar  bei der Waffenbeschaffung. Derweil lebt Drazen D.s Ex-Partnerin mit dem kleinen Sohn in Todesangst, sucht Hilfe bei der Polizei – ohne Erfolg. Bis Drazen D. seine Drohung wahr macht.

Die Ankündigung

Er  findet schnell heraus, wo sich seine Ex-Partnerin nach der Trennung von ihm versteckt hält. Er spioniert ihr hinterher, zersticht die Rollläden an der Wohnung, filmt das Haus sogar mit seinem Handy. Bei einem zufälligen Treffen mit seiner Ex-Freundin und dem kleinen Sohn in einem Supermarkt kündigt er an, dass er "kommen und alle töten" wird. Nur die Mutter seines Sohnes werde er am Leben lassen, ihr die Augen ausstechen, damit sie mit dem Bild ihres sterbenden Kindes weiterleben muss. 

Erschreckende Szenen

Am Tattag wird sein Mietwagen an mehreren Stellen in Villingendorf gesehen, auch vor der Turnhalle, wo die ABC-Schützen Einschulung feiern. Gegen 21.30 Uhr schleicht er sich an die Einliegerwohnung seiner Ex-Freundin heran, tritt auf die Terrasse und begrüßt  die dort Stehenden mit den Worten "Schönen Abend. Haltet still!" Er schießt auf den Lebensgefährten und dessen Cousine, der 34-Jährige stirbt sofort, die 29-Jährige später auf dem Weg ins Krankenhaus. Seine Ex-Freundin will Hilfe holen, flüchtet zu Nachbarn. Später berichtet sie einer Kriminalbeamtin, dass sich das letzte Bild ihres Sohnes in ihre Seele eingebrannt habe: Mit "zitternden Beinchen" habe der Sechsjährige auf der Fensterbank gestanden und nach draußen geblickt. Sein Vater geht in die Wohnung und erschießt das Kind an der Wohnzimmertür mit drei Schüssen aus nächster Nähe. An den Händen des Jungen und an seinem Mund werden Schmauchspuren gefunden.  

Polizeibeamte, die als Erste am Tatort sind, werden von der Situation völlig überrascht. Eine Polizistin kämpft im Zeugenstand mit den Tränen. Dass sie ein erschossenes Kind auffinden, damit hätte bei den Einsatzkräften niemand gerechnet. 
Nach fünftägiger Fahndung  wird der 41-Jährige schließlich in einem Teilort von Rottweil von Passanten entdeckt. Er lässt sich widerstandslos festnehmen.  

Drazen D.: Schweigen im Prozess

Der Angeklagte  schweigt im Prozess, zeigt sich ungerührt.  Als ihm ein Verhandlungstag  zu lange dauert, lässt er wissen, dass es ihm jetzt »zu viel« wird. Der Prozess zeigt: Drazen D. steht in seiner Welt im  Mittelpunkt. Er hat massive Probleme mit Autoritäten – und viele Jahre lang auch mit Alkohol. In Beziehungen hat er das Sagen. Er schlägt die Mutter seines kleines Sohnes, bis sie sich bewusstlos stellt, er kontrolliert jeden ihrer Schritte. Drazen D. ist wegen Gewaltdelikten vorbestraft, hat den Ex-Mann seiner Partnerin mit einem Küchenbeil schwer verletzt. Schon seine erste Frau ist mit den beiden Kindern vor ihm geflohen. Auch sie will er "umbringen, wenn er sie findet". Seine neue Partnerin weiß davon – und schafft es selbst jahrelang nicht, sich von ihm zu lösen.

Manipulator und Tyrann   

Drazen D. scheint generell gut darin zu sein, sein Umfeld zu manipulieren. Er tyrannisiert seinen Arbeitgeber, bringt ihn aber gleichzeitig dazu, ihm mehrfach Darlehen zu geben. Er ist neun Jahre lang bei einer  Psychiaterin in Behandlung, die  ihm nach Wunsch Atteste und Rezepte ausschreibt. Sie weiß, dass er  Probleme mit "Kriegserlebnissen" als Jugendlicher in seiner Heimat hat. Aber da fragt sie nicht näher nach. "Er wollte das  nicht." Aber seinen Sohn, den habe er sehr geliebt. Das sagen viele Zeugen. Als Drazen D. endgültig von seiner Freundin verlassen wird und er das Kind nicht mehr sehen darf, wird  der  Sohn für ihn Mittel zum Zweck. Er muss sterben, um die Mutter leiden zu lassen. Die  Bilder- und Videodaten von Drazen D.s Handy geben Einblick in seine grausamen Rachepläne: "Vater erschießt sich und Kind", "Menschen töten live", "Entstellte Frau nach Säureanschlag".

Morabsichten wohl bekannt

Die Zeugenaussagen aus Drazen D.s Umfeld – meist Landsleute – führen in eine Welt  zwischen Wettbüro und Kneipe, zwischen Gleichgültigkeit und Gewalt. "Ja, er hat mir erzählt, dass er seine Ex-Freundin umbringen will", sagt seine Vermieterin vor Gericht und zuckt ungerührt mit den Achseln. Die Kneipenkumpane wissen reihum von seiner Suche nach einer Waffe. Er habe oft so einen "irren Blick" gehabt, heißt es. Schließlich habe Drazen D. "unten", in der Heimat, eine Waffe besorgen wollen. Tatsächlich: Der Angeklagte reist im August mit seiner Cousine nach Serbien. Ausführliche  Whatsapp-Dialoge ("Es geht um Peng Peng") belegen, dass in Serbien  der Preis nicht stimmt, man dann in  Kroatien, bei einer  "Tante",   fündig wird. Eine großkalibrige Waffe, M 48, wechselt den Besitzer.  

Wieder in Deutschland, tauschen sich die Cousine und mehrere  andere Personen darüber aus, ob "Drazen es schon gemacht" hat. Der Frau wird in einem separaten Verfahren der Prozess gemacht.

Alleinige Überlebende

Die 31-jährige Ex-Freundin von Drazen D. hat überlebt  – und sie hadert damit. Wie kann sie weiterleben und ihr kleiner Sohn nicht? Eine Kriminalpolizistin, die eine Vertraute der jungen Frau geworden ist, schildert vor Gericht deren "täglichen Kampf ums Überleben". Zur Tatzeit war sie von ihrem Lebensgefährten schwanger, hat vor wenigen Wochen ihr Kind zur Welt gebracht, doch die Trauer um den verlorenen Sohn ist übermächtig.  Die 31-Jährige kommt vor mehr als zehn Jahren als Au-Pair-Mädchen aus Lettland nach Deutschland. Sie heiratet recht schnell einen deutlich älteren Mann. Irgendwann lernt sie   Drazen D. kennen, verlässt den  Ehemann. Schon nach einem halben Jahr beginnt Drazen D., auch ihr gegenüber  gewalttätig zu werden. Der kleine Sohn kommt zur Welt, die junge Mutter flieht mit ihm ins Frauenhaus, kommt doch immer wieder zu Drazen D. zurück.  

Leben in ständiger Angst

Im Frühjahr 2017 schafft sie den Absprung, lernt einen neuen Mann kennen. Ihren Sohn bringt sie zunächst bei ihren Eltern in Lettland unter, sucht mit dem neuen Lebenspartner eine Wohnung und findet diese in Villingendorf. Sie hält die Adresse geheim, lebt zurückgezogen und ist sehr darauf bedacht, dass der kleine Sohn nicht auffällt. Der will seine Mama beschützen, hat draußen oft einen Kinder-Baseballschläger dabei. Aber meistens, so berichten Nachbarn, sind die Rollläden den ganzen Tag heruntergelassen.

Nicht ernst genommen

Die Polizei bestätigt, dass die junge Mutter  mehrfach wegen Drazen D.s Drohungen Hilfe gesucht habe. Die von ihr geforderten Schutzmaßnahmen habe man aber nicht gewähren können. Es hat eine Sicherheitsberatung und eine Gefährderansprache gegeben. Die 31-Jährige sieht in der Untätigkeit der Polizei eine Mitschuld und hat Anzeige gegen unbekannt erstattet. Die Ermittlungen hierzu laufen.

Der Prozess wird am 15. Mai fortgesetzt. Noch wird am ursprünglich vorgesehenen Zeitplan festgehalten, demnach ist das Urteil Ende Juni zu erwarten.