Unter strenger Bewachung von Justizvollzugsbeamten wird Drazen D. zur Urteilsverkündung geführt. Foto: Graner

Richter: "Empathie für die Opfer haben sich nicht erkennen lassen." Hass auf Ex-Partnerin deutlich gemacht. Mit Video

Rottweil/Villingendorf - Saal 201 des Landgerichts ist voll, Fernsehteams fangen Bilder ein, Angehörige der Opfer warten angespannt. Dann fällt am Dienstag kurz nach neun Uhr das Urteil: lebenslänglich für Drazen D. wegen dreifachen Mordes. Wie von der Staatsanwaltschaft beantragt, wird die besondere Schwere der Schuld festgestellt. Den Täter lässt es kalt.

"Hat er jemals Reue gezeigt?", auf diese Frage vor einer Fernsehkamera reagiert Verteidiger Bernhard Mussgnug nach dem Urteil zögerlich. Der Verurteilte könne schon aufgrund seiner Persönlichkeitsstörung kaum Emphatie zeigen, sagt er. Richter Karlheinz Münzer wird in der Urteilsbegründung deutlicher: "Reue oder Empathie für die Opfer haben sich nicht erkennen lassen." In den Gesprächen mit dem psychiatrischen Gutachter habe Drazen D. vor allem seinen Hass auf seine Ex-Partnerin zum Ausdruck gebracht.

Die 31-Jährige stellt sich am Dienstag erneut dem Mörder ihres Kindes, will miterleben, wie er verurteilt wird. Doch die Ausführungen des Gerichts, in denen das Urteil detailliert begründet wird, bringen sie an den Rand ihrer Kräfte. Sie bricht in Tränen aus, schüttelt mit Blick auf Drazen D. ungläubig den Kopf. Dass er mit drei Schüssen den gemeinsamen Sohn kaltblütig ermordet hat, um sich an ihr zu rächen – das übersteigt immer noch jegliches Vorstellungsvermögen.

"Die "entscheidende, wichtige Frage war die der Schuldfähigkeit", erklärt der Vorsitzende Richter Karlheinz Münzer in der Urteilsbegründung. Dass Drazen D. dem Psychiater "Pseudo-Halluzinationen" geschildert und seine Kriegserlebnisse ins Spiel gebracht habe, ändere nichts an der Tatsache, dass er wusste, was er tat. Daran gebe angesichts der Tatausführung, der Vorgeschichte und des psychiatrischen Gutachtens keinen Zweifel. Dies wiederum ist wichtig für die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld. Der 41-Jährige kann damit nicht nach 15 Jahren Strafaussetzung beantragen. Eine Aufarbeitung der Tat in der Haft sei unerlässlich, so der Richter. Die Prognose sei schlecht: "Drazen D. ist gefährlich."

Münzer betont, dass in der Beweisaufnahme die Tat "bis ins kleinste Detail" aufgearbeitet werden konnte. So wusste Drazen D. nach Überzeugung des Gerichts schon einen Tag nach dem Umzug der jungen Frau, ihres Sohnes und des Lebensgefährten nach Villingendorf, dass sich die kleine Familie dort vor ihm versteckt. Er wusste wo seine Opfer arbeiten, ist ihnen nachgefahren. Die Auswertungen der GPS-Daten geben zudem Aufschluss über seine ausgiebigen Erkundungsfahrten im Ort.

Der Täter wartet den ganzen Tag über auf den passenden Moment

Zahlreiche Zeugenaussagen aus Villingendorf haben darüber hinaus klar ergeben, dass sich Drazen D. am 14. September seit dem Morgen im Ort aufgehalten hat, und von der Einschulung wusste. Von seinem Standort vor der Turnhalle aus habe er "beste Sicht" auf die Erstklässler gehabt. Drazen D. habe gewusst, dass Verwandte mit dem Jungen feiern würden. "Er hatte nicht nur den Tod seines Sohnes und den des Lebensgefährten der Ex-Partnerin in seinen Plan eingeschlossen, sondern auch den Tod weiterer Menschen", so Münzer. Der Täter wartet in der Parkbucht am Wasserreservoir beim Hochwald auf den passenden Moment, fährt am Abend in die Plettenbergstraße und gelangt über die Garagendächer mit Blick auf die hell erleuchtete Terrasse auf das Grundstück.

Er schleicht sich an der Hauswand entlang, tritt dann für die Opfer völlig überraschend aus dem Dunkeln ins Licht. Nach den Worten "Schönen Abend" eröffnet er sofort das Feuer, erschießt den 34-jährigen Lebensgefährten und dessen Cousine. "In der Wohnung stand der Junge am Fenster und hat die Szene beobachtet", ist das Gericht sicher. Weil Drazen D. plante, die Mutter des Kindes leiden zu lassen, hat er Kabelbinder dabei, um sie zu fesseln. Doch dazu kommt es nicht. Sie flüchtet, er hält sie nicht auf. Stattdessen geht er in die Wohnung, um seinen Plan zu vollenden. Drei tödliche Schüsse aus nächster Nähe treffen das Kind.

Draußen schießt Drazen D. erneut auf den am Boden liegenden Lebensgefährten, die 29-jährige schwer verletzte Frau fleht ihn an, sie nicht zu erschießen. Er schmeißt ihr Handy weg, raucht eine Zigarette und wirft ein Feuerzeug in Pistolenform zu dem getöteten 34-Jährigen – um später eine "Notwehr-Version" erzählen zu können. Dann flieht er, stellt sein Auto in Herrenzimmern ab und versteckt sich im Wald.

Es müsse ihm klar gewesen sein, dass es für ihn "nur zwei Möglichkeiten gibt: Festnahme oder Suizid", so der Richter. Drazen D. wird fünf Tage später festgenommen, kann seinen Fluchtweg genau schildern. Auch das sei Beleg dafür, dass er nicht in einer Art Trancezustand gehandelt hat.

Der 41-Jährige nimmt sein Urteil noch im Gerichtssaal an, will damit "Verantwortung übernehmen", erklärt sein Anwalt Bernhard Mussgnug. Wido Fischer, Anwalt der Mutter der getöteten Jungen, misst diesem Verzicht auf Rechtsmittel keine so große Bedeutung bei, Es könne auch ein "Taktieren" Drazen D.s sein. Das Urteil sei ein Stück Genugtuung, doch es ändere nichts an der Tat. Die Untätigkeit von Polizei und Jugendamt vor der Tat soll, so die Hoffnung der Mutter des Jungen, noch ein Nachspiel haben. Das Verfahren läuft.

Lob für die Polizei: Ermittlungen akribisch geführt

Für Polizei und Staatsanwaltschaft gibt es in der Urteilsbegründung auch ausdrückliches Lob: die Ermittlungen seien akribisch geführt worden, die Polizei sei auch während des Prozesses jedem Ermittlungsauftrag schnell nachgegangen. Etliche Kriminalbeamte aus Rottweil verfolgen die Urteilsverkündung von den Zuschauerrängen aus.

Der Leitende Oberstaatsanwalt Joachim Dittrich zeigt sich nach der Urteilsverkündung erleichtert. Auch für ihn war es ein besonderer Fall, er war vom ersten Tag an an den Ermittlungen beteiligt. "Es gab bewegende Momente in diesem Prozess, die werde auch ich nicht so schnell vergessen." Und er sagt auch: "Hier für uns ist der Fall nun zwar vorbei, für alle anderen, die Angehörigen, muss das Leben weitergehen."

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