Versteckspiel: Drazen D. vor Gericht Foto: dpa

Schwester von Ex-Partnerin schildert Drohung: "Ich komme und bringe alle um." Am Tattag mehrfach in Ort gesehen.

Rottweil/Villingendorf - Drazen D. hat die Morde von Villingendorf schon im August angekündigt: "Ich komme in einem Monat und bringe alle um – nur dich will ich quälen" habe er seiner Ex-Partnerin im Beisein des Sohnes gesagt. Die Schwester der Frau schilderte am Mittwoch im Prozess das ganze Ausmaß der Bedrohungen – und die vergeblichen Hilfegesuche bei der Polizei.

Drazen D. mustert die Zuschauer mit scharfem Blick im fast vollen Gerichtssaal, als er erneut auf der Anklagebank Platz nimmt. Nach dem Prozessauftakt vor Ostern wird am Mittwoch vor dem Landgericht Rottweil das ganze Ausmaß der Bedrohungen von Drazen D. gegen seine Ex-Partnerin, ihren neuen Freund und den eigenen Sohn im Vorfeld der Tat deutlich. Die Schwester der jungen Mutter schildert vor Gericht gefasst deren jahrelanges Martyrium: Es sei eine Beziehung voller Gewalt gewesen, Drazen D. habe ihre Schwester ununterbrochen kontrolliert, sie geschlagen und bedroht. Während der Schwangerschaft habe er mit einem Messer gedroht, ihr das Kind aus dem Bauch zu schneiden. Sie sei mehrfach vor ihm geflohen, auch ins Frauenhaus, dann aber wieder zurückgekehrt. "Weil sie Angst hatte. Er hat gesagt, er findet sie überall."

Ex-Partnerin war mehrfach bei Polizei

Als sie ihren neuen Partner kennenlernt will sie ein neues Leben anfangen, findet eine Wohnung in Villingendorf. Wie Drazen D. herausgefunden hat, wo sie wohnt, weiß die Schwester nicht. Aber: Er sei schon mehrfach vor der Tat dort gewesen, habe die Rolläden mit einem Schraubenzieher durchbohrt, das Auto zerkratzt. All das sei der Polizei gemeldet worden. Ein Freund des später erschossenen Lebensgefährten schildert, wie dieser an der Wohnung eine Überwachungskamera mit Bewegungsmelder installiert habe.

Am 19. August sei es laut Aussage der 33-jährigen Schwester, die am Bodensee wohnt, zu einem – wohl zufälligen – Treffen ihrer Schwester mit ihrem Ex-Partner in einem Supermarkt in Singen gekommen. Drazen D. habe im Beisein des Sohnes geschrien es sei "alles vorbereitet". Er werde in einem Monat kommen und den Freund, dessen Kinder und seinen Sohn erschießen. Nur sie wolle er am Leben lassen, sie "quälen", ihr die Augen ausstechen damit sie den Rest ihres Lebens allein mit ihren Gedanken sei. "Sie wusste, er meint es ernst", berichtet die Schwester.

Noch in dieser Nacht sei ihre Schwester mit ihrem Lebensgefährten in Rottweil erneut zur Polizei gegangen. "Dort hat man ihnen gesagt, solange nichts passiert ist, könne man nichts machen." Ihre Schwester sei verzweifelt gewesen, habe nicht mehr gewusst, wohin sie sich wenden soll. Mittlerweile habe sie das Gefühl gehabt, sie sei der Polizei langsam lästig.

Junge konnte vor Angst kaum noch schlafen

Der kleine Sohn habe vor Angst nicht mehr schlafen können, kaum noch gegessen, habe die Mutter angefleht, nicht vor die Tür zu gehen. "Gleichzeitig hat er seinen Papa geliebt und ihn ab und zu in Schutz genommen."

Wie sehr der Sechsjährige unter der Situation gelitten haben muss, schildert auch eine Nachbarin aus Villingendorf. Sie habe ihn eines Tages im Garten gefragt, was er da in der Hand habe. "Er antwortete: 'Das ist ein Baseballschläger. Ich muss meine Mama beschützen, Papa will sie umbringen.' Der Junge sei ein "liebes, zurückhaltendes Kind" gewesen. Sie habe ihn und die Kinder des Lebensgefährten jedoch eher selten gesehen. Ab dem Sommer seien fast ununterbrochen alle Rolläden an der Wohnung heruntergelassen gewesen, auch wenn jemand zuhause war. "Da war schon klar, da stimmt irgendwas nicht." Die Frau habe ihr irgendwann gesagt, dass niemand wissen soll, wo sie und ihr Sohn sind.

Drazen D. wusste es. Er hat sich, das schildern zehn Zeugen, am Tattag, dem Tag der Einschulung seines Sohnes, schon ab mittags im Ort aufgehalten, womöglich sogar bereits am Tag zuvor. Die Zeugen schildern, wie ihnen der mutmaßliche Täter beziehungsweise sein grüner Seat mit Konstanzer Kurzzeitkennzeichen in Villingendorf und Herrenzimmern auffiel. Auch ein weiteres Auto mit Konstanzer Nummer, ein Audi Q3 oder Q5, fiel Zeugen am Tattag auf. Eine Zeugin meint gesehen zu haben, dass zwei Personen im Seat saßen, kann sich aber nicht genau erinnern, als der Vorsitzende Richter Karlheinz Münzer nachfragt.

Etliche Zeugen berichten von einem "komischen Gefühl", als sie einen Mann, dunkel gekleidet, im Auto auf einem Waldparkplatz oder orientierungslos laufend auf einem Wiesenweg gesehen haben. Er habe sich auffällig verhalten, sei "irgendwie seltsam" gewesen. Erst am Tag danach, als in den Medien berichtet wird, dass in Villingendorf drei Menschen erschossen wurden, wird ihnen die Bedeutung ihrer Beobachtung bewusst.

"Ich habe im Internet das Fahndungsfoto gesehen und dachte, ohje, das war der Typ in dem Auto", berichtet eine 30-Jährige aus Villingendorf, die am Abend gegen 17.30 Uhr, nur wenige Stunden vor der Tat, joggen war. Im Wald, beim Wasserreservoir Richtung Hochwald, fiel ihr das Auto mit Konstanzer Nummer auf, in dem ein Mann saß. "Als wir kurz Blickkontakt hatten, hat er sich weggedreht", berichtet sie. Es sei ein Blick "ohne Emotionen" gewesen. Ein 55-Jähriger Villingendorfer, der ebenfalls an dem Auto vorbei joggte, sah, wie der Mann telefonierte. Beim Blick auf die Anklagebank sagt der Zeuge: "Ja, ich erkenne ihn."

Einer 34-Jährigen Villingendorferin war der grüne Wagen mit Konstanzer Kurzzeitkennzeichen bereits um 13.10 Uhr auf dem Parkplatz an der Turnhalle aufgefallen – dort, wo am Nachmittag die Einschulungsfeier mit dem Sohn des Angeklagten stattfand. Am Abend soll Drazen D. dann laut Anklageschrift mit seiner Kriegswaffe "dreimal aus nächster Nähe" auf den Sechsjährigen gefeuert haben. Das Kind war sofort tot.

Angeklagter verzieht Mund zu Grinsen

Als eine 74-jährige Zeugin aus Herrenzimmern vom Vorsitzenden Richter Münzer gefragt wird, ob der Mann in dem Auto der Angeklagte war, wird sie ungehalten: "Er kann’s doch selber sagen!", sagt sie mit Blick auf Drazen D. Der verzieht den Mund zu einem Grinsen. Die einzige Gefühlsregung bis dahin.

Der 41-Jährige sagt weiterhin nichts. Und mit einer Aussage sei auch vorerst nicht zu rechnen, sagt einer seiner Anwälte am Rande der Verhandlung. Allerdings hat Drazen D. während des Prozesses enormen Redebearf mit seinen Anwälten – bis Richter Münzer ihm eine scharfe Rüge erteilt. "Es stört, wenn sie hier dauernd reden. Haben sie das verstanden." Ein knappes "Ja" ist die Antwort.

Drazen D. war schon einmal verheiratet, hat aus dieser Ehe zwei Kinder. Auch diese Frau hat ihn wohl wegen Gewalttätigkeiten verlassen. Es werde sie umbringen, wenn er sie finde, habe er schon früher er zu seiner neuen Partnerin und deren Schwester gesagt. Auf Nachfrage eines Verteidigers berichtet die Schwester außerdem, dass Drazen D. schon während der Beziehung in der Psychiatrie gewesen sei. "Er war nicht normal." Wenn er Bier getrunken habe, sei er völlig durchgedreht.

Im Zuge der Festnahme des Verdächtigen am 19. September in Neufra findet die Polizei ein selbstgebautes Stechwerkzeug in seiner Hosentasche, das – so der Polizeivermerk auf dem Bild – "geeignet" gewesen sei, um der Ex-Partnerin "Augenverletzungen zuzufügen".

Zwei Polizeibeamte des Rottweiler Reviers schildern zum Abschluss des Prozesstages, wie Drazen D. sich in Neufra widerstandlos festnehmen ließ mit den Worten "Ich bin der, den ihr sucht." Er habe einen der Beamten mehrfach aufgefordert, ihn zu erschießen. Von den zwei Patronen in seiner Hosentasche sei eine für ihn bestimmt gewesen, sagte er. Zum Suizid kam es nicht.

Seiner 31-jährigen Ex-Partnerin gehe es laut der Aussage der Schwester seit der Tat sehr schlecht. Sie brauche dringend psychologische Betreuung. Doch wie zwischen den Zeilen deutlich wurde, hat die junge Frau auch eine neue Aufgabe. Sie war zum Tatzeitpunkt schwanger und hat kürzlich ihr Kind zur Welt gebracht. Es ist, das schreibt sie unter einem Bild des Babys im Internet, ein Sohn.

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