Griff der 34-Jährige an oder wehrte er sich nur gegen eine Attacke? Foto: Cools

Tag zwei in Verhandlung. Mit Stuhlbein blutig geprügelt. Aussage gegen Aussage.

Kreis Rottweil - Zwei Geschichten, eine Wahrheit – am zweiten Prozesstag der Verhandlung wegen versuchten Mordes in einer Asylunterkunft in Rottweil ergaben sich aus den Aussagen des Opfers und des Angeklagten verschiedene Versionen.

"Halt’s Maul, Schlampe, sonst passiert was" – der zweite Tag im Prozess wegen versuchten Mordes begann am Dienstagmorgen unerfreulich. Ein 34-Jähriger steht derzeit wegen versuchten Mordes vor dem Rottweiler Landgericht. Ihm wird vorgeworfen, seinen Mitbewohner im April mit einem Stuhlbein schwer verletzt zu haben. Zudem soll er Widerstand gegen Vollstreckungsamte geleistet und diese mehrfach beleidigt und bedroht haben.

Nun kam ein weiterer Anklagepunkt hinzu. So soll der angeklagte Somalier in der JVA-Außenstelle Hechingen eine Beamtin entsprechend beschimpft haben. "Ich hatte Stress, habe Tabak und Alkohol vermisst", erklärt er. Die Beamtin habe ihn angeschrien. Er gibt zu, dass das nicht in Ordnung gewesen sei, sagt aber: Wer ihm keinen Respekt entgegenbringe, bekomme auch keinen.

Dass Alkohol und Drogen im Leben des 34-Jährigen eine zentrale Rolle spielen, zeigt sich recht schnell. Aufgewachsen in Mogadischu, der Hauptstadt von Somalia, konsumierte er seiner Aussage nach mit zehn Jahren das erste Mal Marihuana – und fortan regelmäßig. Es tue ihm gut, es sei wie Medizin. Anders sei es mit dem Alkohol, mit dessen Konsum er begann, als sein Vater im Bürgerkrieg erschossen wurde.

Nach dem Schulbesuch bis zum zehnten Lebensjahr flüchtete die Familie aufs Land. Als sie zurückkehrten, hatten sie mit Hungersnot zu kämpfen, berichtet der Angeklagte. 2008 floh er mit seiner Frau und vier Kindern in ein Flüchtlingslager an der Grenze zu Äthiopien. Seine Familie blieb dort, er zog weiter über Dschibuti, Eritrea, den Sudan und Libyen und schließlich über das Mittelmeer nach Sizilien. Dort habe er drei Jahre auf der Straße gelebt, ehe er nach Holland, in die Schweiz und 2014 schließlich nach Deutschland kam.

Zu den Tatvorwürfen sagt er, beim ersten Vorfall sei er von drei Personen, unter anderem seinem indischen Mitbewohner, angegriffen worden. "Der ist nicht normal, wenn er Alkohol trinkt", meint er über ebendiesen. So habe man häufig gestritten, weil dieser ihn bestohlen und den Boden mit Kot und Erbrochenem verunreinigt habe. Nach dem ersten Vorfall sei er wenige Tage später nach Hause gekommen und habe seine Wohnung demoliert vorgefunden. Im Zimmer des Mitbewohners entdeckte er seine offenbar entwendete Sonnenbrille und stellte den 39-jährigen Inder zur Rede. Man habe sich geschlagen. "Er wollte mich mit meiner Mütze ersticken", sagt der Angeklagte. Zudem habe der Geschädigte ein Messer gehabt.

Er selbst habe das Stuhlbein unter dem Bett des Mitbewohners gesehen und sich damit gewehrt. Dreimal habe er den Mitbewohner geschlagen. "Ich war nicht unter Kontrolle. Ich wollte ihn nicht töten. Ich wollte nur, dass er Schmerzen fühlt, damit er mich in Ruhe lässt", erklärt der 34-Jährige.

Das Opfer schildert in seiner Aussage einen anderen Verlauf. Der Angeklagte habe bei jenem ersten Vorfall selbst die Küche demoliert, ohne dass es einen Angriff gegeben habe. Die Attacke einige Tage später sei vom 34-Jährigen ausgegangen. Dieser habe ihn geschlagen, ihm ein Messer an den Hals gehalten und gesagt: "Ich schneide dir die Kehle durch", schildert der Inder.

"Er hat viele Probleme", so ein weiterer Mitbewohner über den Angeklagten. Seine Sozialhilfe habe er im Casino verspielt, im Haus um Geld gebettelt und reichlich Drogen und Alkohol konsumiert. Die Aussage des 37-Jährigen, der während des Streits in seinem Zimmer gewesen sein soll, deckt sich größtenteils mit der des Opfers. So will er den Streit um die Sonnenbrille sowie Schreie und Schläge mitbekommen haben. Der Angeklagte habe auch ihm gedroht, sagt der Pakistaner.

An diesem Prozesstag sagen auch einige Polizisten aus, die in der Tatnacht im Einsatz waren. Sie schildern Geschrei und dumpfe Schläge. Offenbar nicht unüblich – in der Asylunterkunft sei die Stimmung erfahrungsgemäß aggressiv. So habe sich auch der Angeklagte bei der Festnahme verhalten, einem Beamten sogar gedroht, er werde dessen Frau und Tochter finden. Was ein Stuhlbein anrichten kann, ist auf Lichtbildern zu sehen, die den Geschädigten blutüberströmt zeigen.

Der Prozess wird am Donnerstag um 9 Uhr fortgesetzt.