Das ehemalige Freizeitheim der AWO im 80-Einwohner-Flecken Vaihingerhof steht seit einigen Jahren leer. Mitte Dezember ziehen 70 Flüchtlinge ein. Foto: Otto

Vorzeigeprojekt: Bürgergemeinschaft kauft ehemaligen Schafstall. 70 Frauen und Kinder ziehen in Gebäude. Mit Kommentar.

Rottweil - Was für eine erstaunliche Geschichte: Im kleinen Weiler Vaihingerhof werden Mitte Dezember rund 70 Flüchtlinge erwartet. Und sie sind willkommen. Eine Bürgergemeinschaft wird das ehemalige AWO-Freizeitheim kaufen und es für die Unterbringung zur Verfügung stellen.

Das außergewöhnliche Projekt, entstanden in enger Kooperation mit der Stadt, den Bürgern, dem Landkreis und dem Integrationsministerium, wurde gestern direkt vor Ort vorgestellt. Im "Schafstall", wie das prägnante Gebäude mitten im Ort gemäß seiner ursprünglichen Funktion bei den Einwohnern heißt, flimmert trotz frostiger Temperaturen förmlich die Luft: Allen Beteiligten ist anzumerken, dass hier etwas ganz Besonders im Gange ist. Bürger, die selbst gestalten und aktiv werden wollen, eine Stadt, die die Flüchtlingsunterbringung aktiv steuern will und ein Sozialdezernent, der sein Glück kaum fassen kann. Mitten in der angespannten Situation können nun 70 Frauen und Kinder aus einer Krisenregion hier untergebracht werden.

Gutes Zusammenspiel

Bernd Hamann hatte den leer stehenden Vaihinger Hof seit langem "in der Schublade". Für das ehemalige Freizeitheim, das aktuell der Stadt und der Arbeiterwohlfahrt (AWO) gehört, wird seit 2013 ein Käufer, eine neue Nutzungsmöglichkeit gesucht. 19 Zimmer, 70 Betten, eine Großküche – eigentlich ideal. Aber 70 Flüchtlinge in einem Weiler mit rund 80 Einwohnern unterbringen? "Das war mir doch zu heikel", so Hamann.

Doch das Blatt wendete sich dank zweier Faktoren: Die Stadt Rottweil hatte Kontakt mit dem Integrationsministerium aufgenommen, um auf die spezielle Situation vor Ort – ein leer stehendes Gebäude plus Möglichkeiten der Betreuung und Begleitung von Flüchtlingen durch das Vinzenz-von-Paul-Hospital – aufmerksam zu machen. Und in einer Gruppe von Bürgern vom Vaihingerhof reifte seit längerem die Idee, dass man selbst in der Hand haben will, was aus dem "Schafstall" wird. In den vergangenen zwei Wochen dann ging alles ganz schnell: Bürger aus rund 20 Familien haben sich zu einer Gemeinschaft zusammengeschlossen und werden gemeinsam den Erwerb des AWO-Freizeitheims – der Kaufpreis liegt im sechsstelligen Bereich – finanzieren. Dazu gibt sich die Gemeinschaft in den nächsten Tagen eine Rechtsform – eine GmbH & Co. KG oder die Sonderform einer AG.

Bürger am Ruder

"Uns geht es um ein Gesamtkonzept", betont der Sprecher der Bürgergemeinschaft, Paul Seifriz. Man wolle die Entwicklung im Ort selbst in die Hand nehmen und denke langfristig: Der "Schafstall" wird zunächst an den Landkreis für die Unterbringung der Frauen und Kinder vermietet. Währenddessen wollen die Bürger den linken, noch nicht ausgebauten Teil des Gebäudes in Eigenleistung sanieren und dort Platz für Büros, Schulungsräume oder Wohnungen schaffen. "Ideen haben wir hier genug, mal schauen, wie wir das mit dem Denkmalamt hinbekommen", meint Seifriz.

Nach der Zeit der Flüchtlingsunterbringung soll der Gesamtkomplex dann als Schulungs- oder Inklusionsstätte mit Übernachtungsmöglichkeit vermietet werden. Zwei potenzielle Mieter habe man schon in Aussicht, erklärt Seifriz. Die Bürger sind sich völlig im Klaren, dass der Zeitkorridor ungewiss ist. Bernd Hamann geht in diesem Fall von einer Unterbringung der Flüchtlinge von zwei bis drei Jahren aus. "Wir denken, dass wir mit den Menschen solange eine gute Zeit verbringen können", sagt Paul Seifriz. Vor der Ankunft der Frauen und Kinder soll noch ein Spielplatz hinter dem Haus hergerichtet werden.

Ankunft Mitte Dezember

Schon am 15. Dezember wird es ernst. Dann landet laut Fachbereichsleiter Bernd Pfaff, der an der Koordination maßgeblich beteiligt war, voraussichtlich der Flieger mit den Flüchtlingen in Stuttgart. Von dort werden sie direkt abgeholt. Im Vaihinger Hof können sie zur Ruhe kommen, sich eingewöhnen, langsam selbstständig werden. Bei Bedarf stehen Therapie- und Begleitangebote durch das Vinzenz-von-Paul-Hospital vor Ort zur Verfügung.

Stadt steuert aktiv

"Uns war es wichtig, die Flüchtlingsunterbringung zu unterstützen und aktiv zu steuern", sagt Oberbürgermeister Ralf Broß, der das Projekt Vaihinger Hof als vorbildhaft bezeichnet. Und bei den 70 Plätzen dort wird es nicht bleiben. "Ziel ist es, Luft zu schaffen, damit nicht auf die Kreissporthallen zurückgegriffen werden muss", erklärt der OB, weshalb man intensiv nach weiterem Wohnraum gesucht habe. Das Ergebnis:

Im Vaihingerhof kommen 70 Flüchtlinge unter.

Im Haus St. Anna beim alten Spital in der Stadtmitte werden zeitgleich weitere 40 Frauen und Kinder untergebracht, im Januar nochmals 50 bis 60. Der derzeitige Mieter, das Vinzenz-von-Paul-Hospital, wird dafür seine Nutzung ins Hauptgebäude verlagern.

In Zepfenhan wurde die Wohnung über dem Ratssaal für 15 Personen gerichtet.

Das ehemalige WKD-Gebäude in der Schlachthausstraße wurde ertüchtigt und bietet jetzt Platz für 35 Personen.

In einer Privatinitiative schafft Stadtrat Hubert Nowack in seinem Gebäude im Neckartal Platz für rund 70 Menschen.

Die Stadt Rottweil sei ein vorbildlicher Partner und liege bei der Zahl der untergebrachten Flüchtlinge – aktuell 283 – ordentlich im Plus, lobt Bernd Hamann ausdrücklich. Das Projekt Vaihingerhof wird natürlich auf die Gesamtzahl angerechnet. OB Ralf Broß geht trotz alledem fest davon aus, dass auch die anderen Kommunen im Kreisgebiet ihr Möglichstes tun und die dem Verteilschlüssel entsprechenden Plätze bereitstellen.

Für die Bürger des Vaihingerhof ist nun noch einiges zu tun, damit Mitte Dezember alles für die Ankömmlinge vorbereitet ist. Dann hat der kleine Weiler bei Neukirch plötzlich doppelt so viele Einwohner – und das neue Miteinander beginnt.

Info: Vaihinger Hof

Das Gebäude Vaihinger Hof im gleichnamigen Weiler wurde bis Ende 2012 als Freizeit- und Erholungsheim der Arbeiterwohlfahrt (AWO) mit 71 Betten betrieben. In den vergangenen Jahren wurde vergeblich nach einer neuen Nutzung gesucht, unter anderem hatte sich eine Weiterbildungseinrichtung für das Gebäude interessiert. Es wurde um das Jahr 1700 als Schafstall erbaut – wie es auch heute noch im Ort genannt wird – und zuletzt 1981 umfassend saniert.

Der Weiler Vaihingerhof gehört seit 1831 zum heutigen Rottweiler Ortsteil Neukirch und war einst im Besitz des Klosters Rottenmünster.

Kommentar: Lichtblick

Von Corinne Otto

Den Sozialdezerneten des Landkreises, Bernd Hamann, wirft in seinen Bemühungen um die Unterbringung von Flüchtlingen so schnell nichts aus der Bahn. Dass er nun von "Gänsehautfeeling" und einem "Glückstag" spricht zeigt, wie herausragend das ist, was sich im kleinen Weiler Vaihingerhof abspielt. Die Einwohner werden aktiv, sie schließen sich zusammen, kaufen mit dem ehemaligen AWO-Freizeitheim das größte Gebäude im Ort und stellen es für Flüchtlinge zur Verfügung. 70 Menschen werden Mitte Dezember erwartet. Damit verdoppelt sich die Einwohnerzahl nahezu. Keine Proteste, keine Plakate – nein, offene Arme und Unterstützung. Die Bürger vom Vaihingerhof wollen selbst bestimmen, wie es mit ihrem Ort weitergeht. Sie haben sich für ein Miteinander entschieden. Man kann ihnen nur Respekt zollen und hoffen, dass dieses Beispiel Schule macht.