Straftaten von einst: Der "Heiland" von 1984 / Sexueller Missbrauch einer Schutzbefohlenen

Rottweil. Zwar gilt die Region um Rottweil bei vielen Zeitgenossen und Einheimischen als ein Paradies. Dass darin aber auch Menschen wohnen und wirken mit all ihren Schwächen, Fehlern und teuflischen Eigenschaften, lässt sich daran erkennen, dass die Staatsanwaltschaft Rottweil keineswegs beschäftigungslos wird.

Seit der Wiederaufnahme des Rechtsstaats nach 1945 gibt es einige Fälle, die es der Behörde wert waren, dokumentiert zu werden. Einer ist der "Heiland". Dahinter verbirgt sich – gelinde gesagt – Unappetitliches, das sich Anfang bis Mitte der 80er-Jahre zugetragen hatte: ein katholischer Pfarrer, der am 29. Januar 1985 beim Landgericht Rottweil angeklagt und am 6. Mai wegen sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen zu acht Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt wurde.

In diesem Fall war der Angeklagte zum fraglichen Zeitpunkt ihr Religionslehrer. Nicht belangt wurde er in zwei anderen Fällen, weil das Gericht "nicht von einer Widerstandsunfähigkeit beider Zeuginnen" ausging, wie es einst juristisch spröde formuliert wurde.

Aussagen dreier Frauen

In den Akten genannt werden drei junge Frauen, die mit dem Geistlichen näher in Kontakt kamen. Ein Mädchen, 1966 geboren, habe sich laut kriminalpolizeilicher Vernehmung mit 15 Jahren entschlossen, ins Kloster zu gehen. Als der Pfarrer ihr die Beichte abgenommen habe, habe er ihr als Buße aufgegeben, ihm einen Kuss zu geben. Er habe erklärt: "Das ist des Heilands Wunsch. Nicht ich möchte das, sondern der Heiland." Später habe er sie an Brust und Geschlechtsteil berührt.

Gegen Geschlechtsverkehr habe sie sich gewehrt, obwohl er erklärt habe, es sei doch das Größte, sich mit dem Heiland zu vermählen. Als Klosterschülerin sei es bei Besuchen des Pfarrers mehrmals zu sexuellen Handlungen gekommen.

Eine andere junge Frau, 1965 geboren, sagte bei der Vernehmung, dass sie ab Anfang 1982 vom Pfarrer Zungenküsse erhalten habe mit dem Hinweis, dies wolle der Heiland so. Er habe sie auch aufgefordert, sich auszuziehen. Sie habe dies getan, dann aber sofort einen Schlafanzug angezogen. Dennoch sei es zu Körperkontakt gekommen.

Eine dritte junge Frau, 1968 geboren, war im Schuljahr 1982/83 als Schülerin im Religionsunterricht des Pfarrers. Sie gab an, von ihm aufgefordert worden zu sein, ihn zu küssen. Wenn sie sich weigere, würde sie ins Fegefeuer kommen.

Zu Zungenküssen sei es schließlich gekommen; sie habe dies nicht freiwillig gemacht, sondern weil sie geglaubt habe, der Heiland wolle dies. Beide wären auch nackt in einem Bett gelegen. Sexuelle Handlungen schlossen sich an, jedoch kein Geschlechtsverkehr. Denn, so der Pfarrer zu ihr: "Der Heiland sagt, dies ist eine schwere Sünde."

Der 30. Oktober 1983

Bundesweit machte der Fall des Pfarrers im August 1984 Schlagzeilen und leitete schließlich die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Rottweil ein. In einer Wochenzeitschrift hieß es in einem Untertitel: "Wie ein katholischer Pfarrer in Schwaben bei jungen Mädchen den ›Heiland‹ spielte, seiner Gemeinde den Weltuntergang prophezeite und jetzt mit dem Staatsanwalt rechnen muss".

In diesem Artikel wurde außerdem berichtet, dass der Pfarrer in seiner Gemeinde verkündet habe, am 30. Oktober 1983 werde die Welt untergehen. Damals hätten seine Anhänger in Erwartung der Katastrophe Vorräte angelegt und schwarze Pappe als Verdunklungsmaterial besorgt.

Eine ganze Nacht gebetet

Am 29. Oktober hätten sie ihre Häuser vernagelt und die ganze Nacht: "Mutter Gottes erbarme Dich unser" gebetet. Als am Morgen die Welt noch nicht untergegangen war, habe der Pfarrer erklärt, durch die Festigkeit im Glauben und durch ihre Gebete hätten sie den Herrn besänftigt und so die Welt vor dem sicheren Untergang gerettet.

Apropos Weltuntergang. Jener drohte tatsächlich im Herbst 1983. Die Sowjetunion reagierte sehr nervös auf die verkündete Nachrüstung mit amerikanischen Pershing-II-Raketen in Europa (gegen die SS-20-Raketen des Warschauer Pakts), die einen Schnellangriff gegen die sowjetische Führung ermöglicht hätten.

Als am 26. September eine sowjetische Frühwarnzentrale den Start von amerikanischen Raketen gemeldet hat, ist es, so ist sich die Wissenschaft seit einigen Jahren sicher, der Besonnenheit eines sowjetischen Offiziers zu verdanken, dass er nicht nach Vorschrift gehandelt hat. Er schätzte den Vorfall nämlich als einen "falschen Alarm" ein und meldete ihn nicht der obersten Führung. Es wird angenommen, dass jene um den kranken Generalsekretär Juri Andropow einen atomaren Vergeltungsschlag ausgelöst hätte, den dann die USA erwidert hätte.

Niemals würden die USA einzelne Raketen auf die UdSSR feuern. Ein nuklearer Angriff würde mit der Vernichtungskraft von Hunderten Raketen gleichzeitig erfolgen, so hatte er es gelernt. Und so wird er in einem Spiegel-Artikel zitiert. Vermutlich täuschte ein von einer seltenen Wolkenformation reflektierter Sonnenstrahl das sowjetische Warnsystem.  In loser Folge werden wir über außergewöhnliche Fälle berichten, die den Rechtsstaat im Bereich der Staatsanwaltschaft Rottweil tangiert und einst für Aufsehen gesorgt haben.