Der Erste Landesbeamte Hermann Kopp (von links) bedankt sich bei den Vortragenden Mirjam Nast, Hubert Klausmann und Liedermacher Pius Jauch mit einem Präsent. Foto: Fahrland Foto: Schwarzwälder Bote

Vortrag: Kreisforum befasst sich mit Dialekten und ihrer Kulturgeschichte

Kreis Rottweil. Zum dritten Kreisforum hatte Landrat Wolf-Rüdiger Michel in die Stadthalle im Sulzer Backsteinbau eingeladen. Den Festvortrag zum Thema "Dialekt und Identität" hielten Hubert Klausmann und Mirjam Nast von der Eberhard-Karls-Universität Tübingen. Der anschließende Empfang im Foyer diente als Plattform der Begegnung und zum Meinungsaustausch über Parteigrenzen hinweg.

"Wemmer Schwäbisch net verstoht, isch nint hee, aber s’isch schad", fand der schwäbische Liedermacher Pius Jauch aus Bösingen. Er eröffnete den Abend musikalisch und bot mit seinen philosophischen Betrachtungen in Wortbeiträgen und Liedern die ideale Ergänzung zum Vortragsthema.

Pflege der Mundart

Der erste Landesbeamte Hermann Kopp begrüßte die etwa 180 Gäste. Durch die Dialekttagung im Dezember im Neuen Schloss Stuttgart habe der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann ein Zeichen für die Pflege der Mundart gesetzt. Der Landkreis Rottweil befindet sich laut Kopp in der Übergangszone zwischen dem schwäbischen und alemannischen Sprachgebrauch.

Der Sulzer Bürgermeister Gerd Hieber zitierte in seinem Grußwort den 1977 verstorbenen Ehrenbürger Paul Schmid und überreichte den unter seinem Pseudonym Peter Strick veröffentlichten Gedichtband "Starker Tubak" als Gastgeschenk an Pius Jauch und die beiden Referenten. Ebenfalls als "aktive Sprachforscher" seien Klaus-Dieter Thiel und Karl Volz aus Wittershausen in Erscheinung getreten, als sie sich bei ihrer 1350 Kilometer langen Radtour entlang der baden-württembergischen Landesgrenze bei den Anwohnern nach unterschiedlichen Dialektwörtern erkundigten.

Mit drei Hörbeispielen stieg Hubert Klausmann in die sprachwissenschaftliche Seite des Vortrags ein. Er erläuterte Herkunft und Kriterien zur Einteilung der Dialekte, wie sie wissenschaftlich erfasst werden und dass Dialektgrenzen umso stabiler seien, je prestigeträchtiger die aufeinanderstoßenden Gebiete sind. Für viele überraschend räumte er mit dem Vorurteil auf, in Hannover werde das beste Deutsch gesprochen.

Sprechender Sprachatlas

Diese Ideologie sei sprachwissenschaftlich ebenso wenig haltbar wie die Vorstellung, dass jede Nation eine einzige Standardsprache brauche und diese kulturell höherwertiger sei als regionale Varietäten, oder dass die Standardsprache homogen und ohne Varianten sei.

Anhand mehrerer Beispiele wurde der "Sprechende Sprachatlas" erläutert, der früher erhobene Datenbestände aus Freiburg für den Südwesten, inklusive dem Landkreis Rottweil, mit neueren Ergebnissen der Dialektforschung für den nördlichen Teil Baden-Württembergs vom Ludwig-Uhland-Institut der Tübinger Universität zusammenführt.

Mirjam Nast löste das Rätsel um den Vortragstitel "Über Schochen, Kutterschaufeln und Lichtstuben". Die drei Begriffe standen für den kulturellen Wandel in der landwirtschaftlichen Arbeit, in Haushalt und Freizeit. Mit "Schocha" würden große, runde Haufen Heu oder Öhmd bezeichnet, die für die Nacht oder bei Regenwetter aufgeschüttet wurden.

Eindrucksvolle Einblicke lieferten Archivaufnahmen aus den 1950er- und 1960er-Jahren. Sie sind in großer Bandbreite auch zu vielen weiteren Themen wie Wirtschaftslage oder Berufsleben vorhanden und verdeutlichen Modernisierungsprozesse, aber auch den beschleunigten Arbeitsrhythmus. Unter anderem ließ Nast eine Hausfrau und Näherin aus dem Jahr 1955 zu Wort kommen, die ihren arbeitsreichen Tagesablauf schilderte und mit den Worten endete "No isch da Daag rom ond mr isch miad gnuag".

Bereits in Arbeit ist ein Hörbuch mit Kulturgeschichte zum Anhören. Es soll 2020 veröffentlicht werden.  Alle Karten aus dem Sprechenden Sprachatlas sind unter www.sprachalltag.de abrufbar.