Bei der Baustellenführung am Test-Turm in Rottweil durften Frank Campos (rechts) und Nils Horst auf die Arbeitsplattform in 157 Meter Höhe. Foto: Horst

Spezialisten sind Tag und Nacht im Einsatz. Rund 20 Meter in der Woche wächst Turmkleid nach unten.

Rottweil - Damit haben auch wir nicht gerechnet: Bei der Baustellenführung am Test-Turm in Rottweil durften wir am Donnerstag auf die Arbeitsplattform in 157 Metern Höhe. Doch der Weg dahin war nur für Mutige: Erst mussten die Medienvertreter durch ein Fenster steigen und dann über eine Leiter mehrere Meter nach unten klettern. Der Aufwand lohnte sich: es gab ganz besondere Ein- und Ausblicke.

Dort angekommen war schnell klar, woran es gehakt hat, dass die Außenhülle zur Eröffnung der Besucherplattform am ersten Oktober-Wochenende nicht fertig gestellt werden kann: am schlechten Wetter.

Nachdem der Membranspezialist, die Firma Taiyo Europe, die Aufgabe mit der sich nach oben windenden Turmhaut anfangs unterschätzt hatte und dadurch viel Zeit verloren gegangen war – die Eröffnung musste bereits einmal verschoben werden –, kamen in den vergangenen Monaten widrige äußere Bedingungen dazu. Im April ein überraschender Wintereinbruch, im Juli Gewitterstürme.

Der verantwortliche Projektleiter von Thyssen-Krupp Hardy Stimmer berichtet am Donnerstagmorgen vor Journalisten, dass ihn seine Wetter-App im Juli fast jeden Abend aufgeschreckt habe. Frank Höreth von Taiyo Europe erläutert, dass ab einer Windgeschwindigkeit von 14 Metern pro Sekunde der Kran nicht mehr eingesetzt werden könne, ab acht Metern werde es zu gefährlich für die Kletterspezialisten, bereits ab fünf Metern unmöglich, die jeweils 240 Quadratmeter großen Membranelemente an Ort und Stelle zu bringen.

Testturm-Chef Michael Klein pflichtet bei, dass auf dem Berner Feld enorme Windgeschwindigkeiten gemessen würden, sowieso in jenen Höhen, die die Spitze des Bauwerks erreicht.

Die Winde, sie sind also mächtig. Beinahe liegt einem die Frage auf der Zunge, warum man dann tatsächlich dort oben kein Windrad errichtet hat. Manche erinnern sich vielleicht, die Mitglieder des Arbeitskreises Klimaschutz der Lokalen Agenda 21 in Rottweil tun dies sicherlich. Sie hatten im Frühjahr vor zwei Jahren öffentlich über die Idee sinniert, eine Kleinwindrad-Anlage in 246 Metern Höhe zu installieren. Auch Landesumweltminister Franz Untersteller (Grüne) hatte sich bei seinem Besuch der Turmbaustelle im Mai 2015 nach der Möglichkeit einer solchen Anlage erkundigt. Von den Aufzugsspezialisten hatte sich für ein Windrad niemand erwärmen können – wahrscheinlich aus ästhetischen Gründen.

Die gute Nachricht am Donnerstag – alles andere wäre auch eine große Überraschung und herbe Enttäuschung gewesen: An der geplanten Eröffnung der Besucherplattform am 7. und 8. Oktober mit großem Fest in der Innenstadt wird nicht gerüttelt, wenngleich die Arbeiten noch nicht abgeschlossen sind. Sie ziehen sich möglicherweise bis in den November hinein. Auch die Montageplattform werde noch so lange gebraucht. Die Festgäste dürften dies nicht als störend empfinden. Thyssen-Krupp-Projektleiter Stimmer sagt, für die Besucher werde es bestimmt so aussehen, als sei alles so gut wie fertig. Lediglich das unterste Membranfeld werde fehlen.

Die Membranspezialisten seien Tag und Nacht, sieben Tage in der Woche im Einsatz. Inzwischen sei eine Arbeitsphase erreicht, in der es zügiger vorangehe, so Höreth. Rund 20 Meter in der Woche wächst das Turmkleid nach unten. Zu Beginn gab es einige Sondersituationen wie die Ausbildung der Spitze und den Anschluss an den Kragen. Das habe länger gedauert und Zeit gekostet.

Für die Ästheten unter den Turmbetrachtern gibt es Informationen mit beruhigendem Johanniskraut-Effekt: Die teflonbeschichtete Membran wird nicht lange Zeit so aussehen, als sei sie aus Versehen in den Schlamm gefallen. In zwei Monaten werde die rund 16.000 Quadratmeter umfassende Außenhülle durch Sonneneinwirkung ausgeblichen sein und ein reinweißes Aussehen einnehmen. Da sind sich Höreth und Stemmer sicher. Auch was die Lebensdauer betrifft, herrscht Einigkeit: Gut und gerne 40 Jahre kann die Hülle den Turm vor Wind und Wetter schützen, ohne kaputt zu gehen.

Zur Besucherplattform. Sie befindet sich auf 232 Meter Höhe und ist Deutschlands höchster Aussichtspunkt. Von dort oben kann man einen einzigartigen Ausblick auf die Schwäbische Alb genießen, bei entsprechender Witterung sieht man sogar die Schweizer Alpen. Ein Panorama-Aufzug mit Glaswänden macht den Weg nach oben zum Erlebnis, schwärmt der Aufzugshersteller.

Die Aussichtsplattform wird im Rahmen des Turmfestes am 7. und 8. Oktober eröffnet. Im Anschluss, von Montag bis Mittwoch, 9. bis 11. Oktober, gibt es drei Öffnungstage außer der Reihe. Der erste normale Betriebstag ist am Freitag, 13. Oktober. Die Plattform ist danach von Freitag bis Sonntag und an den Feiertagen öffentlich zugänglich. Pro Tag können maximal 1300 Besucher durch den Turm nach oben geschleust werden.

Der Sinn des Turms ist freilich ein anderer. Er soll Einblicke in ganz andere Welten bieten – in die der Aufzugstechnik. Bereits seit Beginn des Jahres wird im Inneren an innovativen Techniken geforscht. Ende Juni wurde das Multi-System präsentiert, es handelt sich dabei um ein Novum: ein seilloses Mehrkabinenaufzugssystem. Dieses wird nun in Rottweil zur Marktreife gebracht.