Das Ministerium für Migration und Flüchtlinge hat den Asylantrag des 28-jährigen Afghanen abgelehnt. Foto: Endig Foto: Schwarzwälder Bote

Prozess: Entscheidung kann dauern, weil zu viele Verfahren laufen / 28-Jährigem könnte wegen versuchtem Totschlag Haft drohen

Kreis Rottweil. Der Prozess gegen einen heute 28 Jahre alten Afghanen, der einen Landsmann in der Asylbewerberunterkunft in Spaichingen mit einer Grillgabel attackiert und dabei lebensbedrohlich verletzt hat (wir berichteten), gewährt auch Einblicke in das Dickicht deutscher Asylverfahren. Wie der Vorsitzende Richter am Landgericht Rottweil, Karlheinz Münzer, in der Verhandlung am Mittwoch anmerkte, war der Asylantrag des Mannes und seiner Familie abgelehnt worden. Es bestehe kein subsidiärer Schutzstatus. Dieser greift, wenn weder der Flüchtlingsschutz noch die Asylberechtigung gewährt werden können und demjenigen, der den Antrag stellt, im Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Die Familie war 2015 in Deutschland angekommen.

Der Angeklagte habe gegen den Bescheid beim Verwaltungsgericht in Freiburg Klage eingereicht. Eine Verhandlung habe bislang aber nicht stattgefunden. Wie der Anwalt des Angeklagten, Wolfgang Burkhardt, auf Nachfrage unserer Zeitung erklärte, habe sein Mandant einen "normalen Antrag" beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gestellt. Dieses habe den Familienvater nicht als asylberechtigt anerkannt und zur Ausreise aufgefordert. Das bedeute aber nicht, dass dieser automatisch abgeschoben werde. "Ausweisung und Abschiebung sind zwei verschiedene Rechtsinstitute", erklärt Burkhardt in diesem Zusammenhang. Mit der Ausweisung werde der Flüchtling aufgefordert, das Land zu verlassen. Erst, wenn eine Person abgeschoben werde, werde sie auch außer Landes gebracht.

Im Fall des 28-Jährigen ist man mit der Klage einer Abschiebung zuvorgekommen. Solange das Verfahren läuft, kann die Familie bleiben – und das kann dauern. "Es sind unzählige Verfahren beim Verwaltungsgericht anhängig", erklärt der Jurist. Das Personal sei überfordert, weil das Land Baden-Württemberg in der Vergangenheit nicht willens gewesen sei, die Justiz ordnungsgemäß personell auszustatten. "Durch die Flüchtlingskrise sind sie aufgewacht", kritisiert Burkhardt und zieht Parallelen zur Personaldebatte bei der Polizei.

Der Rechtsanwalt rechnet mit etwa einem halben Jahr bis klar ist, ob seinem Mandanten und dessen Familie Asyl gewährt wird, oder nicht. "Die Chancen stehen fifty-fifty", sagt Burkhardt. Wie es dann für den 28-Jährigen weitergeht, hängt auch vom Urteil des Prozesses am Rottweiler Landgericht ab. Die Staatsanwaltschaft wirf ihm versuchten Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung vor. Hier könnte eine Freiheitsstrafe drohen, die er zur Hälfte in einem deutschen Gefängnis absitzen müsste, dann werde er abgeschoben – und seine schwangere Frau mit den drei Kindern.

"Das Ziel der Verteidigung ist es, zu beweisen, dass mein Mandant noch aufgehört hat, als er aufhören konnte", sagt Burkhardt. "Strafbefreiender Rücktritt vom Versuch" heißt das im Juristendeutsch. Das versuchte der Angeklagte auch am ersten Verhandlungstag wiederholt darzulegen.

Geht Burkhardts Strategie auf, könnte der Vorwurf auf eine gefährliche Körperverletzung reduziert werden. Dann laufe es auf eine Bewährungsstrafe hinaus. Burkhardt betont: "Die beiden Verfahren sind völlig voneinander getrennt und beeinflussen sich nicht." Im schlimmsten Fall aber könnten die Frau des Täters und ihre Kinder allein abgeschoben werden. Richter Münzer formulierte es am ersten Verhandlungstag so: "Haben Sie sich nicht überlegt, was sie ihrer Frau damit antun?"

 Der subsidiäre Schutz greift dann, wenn weder der Flüchtlingsschutz noch die Asylberechtigung gewährt werden können und dem Flüchtling im Herkunftsland ein "ernsthafter Schaden" droht.

 Subsidiär schutzberechtigt sind Menschen, die stichhaltige Gründe dafür vorbringen, dass ihnen in ihrem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht und sie den Schutz ihres Herkunftslands nicht in Anspruch nehmen können oder wegen einer Bedrohung nicht in Anspruch nehmen wollen.

 Als ernsthafter Schaden gilt laut BAMF: die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung, eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. (Quelle: BAMF)