Ungewohnte Einblicke: Kulturjournalist Bodo Schnekenburger erläutert das Schaffen von Künstlerin Angela M. Flaig. Fotos: Vosseler/Ralf Graner Photodesign Foto: Schwarzwälder Bote

Veranstaltung: Leser nähern sich Werk von Angela M. Flaig / Künstlerin berichtet von ihrem Schaffen

Tausenden Dingen, die nichts wiegen, verleiht Angela M. Flaig mit ihrer Kunst Gewicht. Sie bringt die Natur in eine Form und schafft Konstanz, wo Vergänglichkeit herrscht. Wie faszinierend und vielseitig das Schaffen der Künstlerin ist, das erfuhren Leser unserer Zeitung bei einer exklusiven Führung.

Rottweil. Sonnenschein, die Natur im Frühlingserwachen und eine frische Brise vor dem Museum: Angenehmer und passender könnte der Rahmen nicht sein für einen Besuch der Ausstellung von Angela M. Flaig im "kunst raum rottweil" im Dominikanermuseum, denn drinnen wie draußen lässt sich die Natur erleben. Im Innern gar besonders intensiv, wie seit Samstag ausgewählte Abonnenten unserer Zeitung wissen. Sie hatten die Teilnahme an dieser speziellen Führung durch die Werkschau gewonnen. Unter dem Titel "Angela M. Flaig zum Siebzigsten – Natur und Konzept" sind Kunstwerke aus Flugsamen zu sehen. Flaig hat die Samen in streng geometrischen Formen angeordnet – Kreise, Rechtecke, Quadrate – oder einzeln aneinander gereiht.

Knapp 30 Personen, unseren Lesern schließen sich spontan einige Museumsbesucher an, folgen den Ausführungen von Kulturjournalist Bodo Schnekenburger. Und sie nutzen die Chance, sich im Gespräch mit Angela M. Flaig deren Kunst zu nähern. "Sie stehen im Mittelpunkt, Ihre Kunst steht im Mittelpunkt", erklärt Armin Schulz, der Redaktionsleiter des Schwarzwälder Boten in Rottweil, in seiner Begrüßung. Zudem weist er darauf hin, dass die Kulturstiftung Rottweil das Gesamtwerk Flaigs gerade mit der Verleihung des Anerkennungspreises gewürdigt hat. Warum? Das wird den Zuhörern schnell deutlich.

Schnekenburger berichtet von der regionalen Verwurzelung der Künstlerin, die 1948 in Schramberg geboren wurde, aber seit bald fünf Jahrzehnten in Rottweil, inzwischen in Hausen, lebt. Ihr Schaffen sei dennoch in der südwestdeutschen Kunst und darüber hinaus "herausragend". Faktisch ist Flaig eine Bildhauerin, sagt er.

Sie beginnt Mitte der 1970er-Jahre mit dem Falten von Papier. Damals schon schafft Flaig geometrische Formen. Zehn Jahre später widmet sich die Künstlerin Reibungen. Sie bearbeitet Kohlepapier mit Kirschkernen. Das erfordere Disziplin und Biss, erklärt der Journalist. Zugleich kreiert Flaig mittels der Natur, den Kernen, etwas Neues. Dieses Vorgehen prägt ihre Arbeit bis heute. Die Natur agiere als Gestalterin, der Mensch als Spielleiter. Genau wie bei Flaigs Keimungen, bei denen sie um 1990 auf feuchter Zellulose Samen zum Keimen bringt und so Naturgrafiken schafft.

Knapp zehn Jahre später wird die Hausenerin zur Konservatorin: Sie gestaltet seither beeindruckende Objekte aus Flugsamen – etwa von Löwenzahn, Weideröschen oder Disteln. "Die sammle ich alle selber", erzählt Angela M. Flaig. "Es gibt nichts Verschwenderischeres als die Natur." Wie ein Jäger und Sammler gehe sie auf Beutezüge, wisse genau, wo sie was wann finde und pflücke die Samen, solange sie noch in der Kapsel sind – anders ließe sich das "Material" für ein Kunstwerk kaum transportieren. Flaig verarbeitet Tausende solcher Samen.

Leserin Brigitte Hausch will wissen, wie Angela M. Flaig die Samen konserviert. Sind die Bedingungen gut, vergehen sie nicht, antwortet Flaig. Rolf Zähringer erfährt derweil auf Nachfrage, dass die Hausenerin ihren Werkstoff mit Sprühkleber in Form bringt. Wie viele Stunden sie an einem Objekt arbeitet, das kann die Künstlerin gar nicht beziffern. Für Evelin Hirt haben die Werke etwas Meditatives, und Angela M. Flaig bestätigt, dass sie bei ihrer künstlerischen Arbeit zur Ruhe komme. Die Natur sei ihr "unsagbar wertvoll", ihre Kunst wertvoller als Diamanten. Kunst als Wertschätzung der Natur, als Träger für den Rhythmus des Lebens, des Werdens und Vergehens: "Mein Leben steckt in dieser Kunst", erklärt sie. Und: "Sie werden hier rausgehen und die Natur mit Sicherheit anders ansehen."

Dass sie Recht behalten sollte, zeigt sich bereits in den anschließenden Gesprächen in der Lokalredaktion Rottweil. Dort genießt die Gruppe einen Imbiss, kühle Getränke und die Gelegenheit, sich mit Angela M. Flaig zu unterhalten. "Kompliment", sagt dabei etwa Erika Ohnmacht über deren künstlerisches Schaffen. In anderen Gesprächen zeigen sich Parallelen zwischen Kunst und Zeitung. So berichtet Evelin Hirt, dass für sie das Zeitungslesen, und zwar auf Papier, unbedingt zu jedem Frühstück gehört. So schließt sich der Kreis nach einem gelungenen Nachmittag: Beim Zeitungsmachen wie in der Kunst ist eben vieles eine Frage der Form.