Regula Birk-Schultz sticht in ihrer Werkstatt in der Suppengasse mit Feingefühl das Motiv ins Holz. Fotos: Reiband Foto: Schwarzwälder Bote

Kunsthandwerk: Regula Birk-Schultz beherrscht die alte und besondere Kunst des Model-Stechens / "Ich erfülle hölzerne Wünsche"

Springerle backen ist eine Kunst für sich. Nicht minder sind es die Model, in welche man den Teig drückt. Regula Birk-Schultz schnitzt in ihrer Werkstatt individuelle und einzigartige Model. Damit erhält sie eine jahrhundertealte Tradition am Leben. Die von ihr gefertigten Model sind Einzelstücke, die extra bestellt werden. "Ich erfülle hölzerne Wünsche", sagt sie, lächelt fröhlich und öffnet die Tür zu ihrer Werkstatt in der Rottweiler Suppengasse.

Tritt man ein, betritt man eine andere Welt: Es riecht nach Holz, überall sind kleine und größere Holzkunstwerke, Marionetten, Bücher. Das Auge kommt aus dem Entdecken gar nicht mehr heraus. An ihrer Werkbank sitzt schnitzend Regula Birk-Schultz. Vom Schaufenster aus kann man ihr zuschauen, doch das Besondere ihrer Arbeit bekommt man nur zu Gesicht, schaut man ihr über die Schultern. Regula Birk-Schultz schnitzt Model, die für die Springerle-Bäckerei unabdingbar sind. Wunderschöne Motive verewigt die Holzbildhauerin in Holz.

Model gibt es schon seit vielen hundert Jahren und in vielen Ländern. Der ganze alemannische Raum kennt Model und entsprechende Bäckereien. Als das Lesen und Schreiben noch nicht selbstverständlich war, waren die Model-Bilder auch eine Form der Kommunikation. Die neueste technische Entwicklung fand ebenso auf einem Model Platz wie die komplizierten Beziehungsverhältnisse zwischen Männern und Frauen. Springerle galten als Luxusgüter und bedeuteten mehr als nur Nahrung. Früher wurden Model ausschließlich von Hand gestochen. Heute werden sie auch maschinell hergestellt.

Für Regula Birk-Schultz ist es wichtig, dass das alte Können am Leben erhalten bleibt. Sie weiß um viele Besonderheiten rund um das Model-Stechen. Das Holz weiß sie mit fachkundigem Blick einzuschätzen. Sie nimmt Obsthölzer – Birne, Zwetschge, Kirsche – aber auch Nussbaum und Ahorn für ihre Model. Eiche dagegen hat zu viele Poren, die man dann im Springerle wiederfinden würde.

Um ein Model herzustellen, braucht es ein gutes räumliches Vorstellungsvermögen. Es wird seitenverkehrt geschnitzt, und das, was am Schluss viel Volumen haben soll, braucht im Holz eine gewisse Tiefe. "Es muss vom Groben zum Feinen und von hinten nach vorne gearbeitet werden", erklärt Regula Birk-Schultz und hat dabei stets das Gesamtmotiv im Kopf. Dann nimmt sie ein Stück Nussbaum, spannt es ein. Das Motiv ist schnell bestimmt: Ein winterlicher Weihnachtsmann soll es werden. Mit Bleistift zeichnet sie wenige Linien auf, dann nimmt sie eines der vielen Schnitzwerkzeuge und beginnt mit ihrer Arbeit. Mit sauberen Schnitten werden die Vertiefungen ausgehoben. Ein Schnitt mit Geisfuss, Stechbeitel oder Hohlbohrer – damit das Model gestochen scharf wird.

Für Regula Birk-Schultz reichen rudimentäre Aufzeichnungen, um daraus ein Model herzustellen. Das zeichnet ihr Können aus: In ihrer Werkstatt fertigt sie neben den Model auch Skulpturen und Larven. Sie versteht ihr Kunsthandwerk und ihre Kunst. Denn vom einem zum anderen ist es oftmals nur ein Schritt, wenngleich ein gewaltiger. Beim Modelstechen hilft die Fähigkeit, das "Auge umzuschalten" und statt dem Positiv das Negativ zu sehen.

Regula Birk-Schultz hat zunächst eine Lehre als Holzbildhauerin gemacht, dann folgte das Studium zur akademischen Bildhauerin in Genf. Sie liebt ihren Beruf und freut sich stets auf neue Herausforderungen. So zum Beispiel, die alten Motive aus der Biedermeierzeit neu umzusetzen und eine historische Aufteilung der Fläche nachzuvollziehen. Aber auch neue Motive haben einen Reiz. "Ich gehe gerne über Grenzen", sagt sie und zeigt auf ein Model mit durchbrochenem Rand im Motiv. Regula Birk-Schultz hält mit ihrem Können die Jahrhunderte alte Tradition des Springerle-Model-Stechens am Leben, was als wichtiges Kulturgut einstuft werden kann. Mit einem Model kann man unendlich viele Springerle backen – ein feines Geschenk mit individueller Note.

Dann ist das Model fast fertig und es kommt zum wichtigsten Akt: "Man braucht einen ordentlichen Atem, um zu Pusten, denn es müssen alle kleinen Späne weg." Span um Span zeigt sich das Motiv im Holz. Mit Knete kann Regula Birk-Schultz während des Schnitzens immer wieder Abdrücke machen, um das Motiv zu kontrollieren und Nachbesserungen zu machen. Zum Schluss reibt sie das Hartholz auf Hartholz und gibt dem Model den rechten Glanz.

Neben der Bildhauerei ist übrigens das Puppenspiel eine Leidenschaft von ihr, die sie perfektioniert hat.

Weitere Informationen: Regula Birk-Schultz, Telefon 0741/4 45 57.

Eine besondere Verbindung von Kunst, Kunsthandwerk, schwäbischer Tradition und Mundart sind der Schriftsteller Egon Rieble und Ulrike Mühlich eingegangen. Egon Rieble war bis zu seinem Tod 2016 der Mundart und hiesigen Kunstgeschichte zutiefst verbunden. So kam es nach einem Besuch in der Haigerlocher St.-Anna-Kirche zu einem kleinen mundartlichen Gedicht über eine der dortigen Rokokoputten.

Ulrike Mühlich hat sich als Holz-Künstlerin einen besonderen Ruf erarbeitet. Die beiden kunstaffinen Menschen verband die Liebe zu außergewöhnlichen Kunstprojekten, dazu kam die Begeisterung für "Springerle" und hier schließt sich der kreative Kreis mit Hilfe der Holzschnitzerin Regula Birk-Schultz. Es entstand die Idee, ein Gemeinschaftsprojekt umzusetzen. Egon Rieble gab Regula Birk-Schultz den Auftrag, die Rokokoputte zu schnitzen, um diese aus einem "Springerle" springen zu lassen. Ulrike Mühlich modellierte und konzipierte eine alte Backtradition neu mit den Rokoko-Putten-Springerle, verpackte sie in Zellophan. Der Anhänger mit Abbild der Putte und dem Gedicht von Egon Rieble krönte das Ensemble. Seit seinem Tod gibt es zu jedem Weihnachtsfest eine Neuauflage dieses Ensembles, um seiner zu gedenken.  Mit dem Beginn des Weihnachtsmarktes in Rottweil am Donnerstag, 6. Dezember, liegen die "kleinen Kostbarkeiten" aus Ulrike Mühlichs Backstube im Buchhandel Greuter aus. 50 Stück (limitierte Auflage) der Putten-Springerle mit Anhänger werden im Rahmen der Ausstellung in Erinnerung an Egon Rieble bei Greuter kostenlos verteilt.

Haben Sie eine Idee davon, wie Springerle schmecken? Riechen Sie ihn auch, diesen köstlichen Anisgeruch? Hören Sie es, wie die frisch gebackenen Springerle im Mund verknuspern? Springerle sind das schwäbische Gutsle schlecht hin. In Zeiten ihrer Hochkultur wäre ein Weihnachtsfest ohne sie undenkbar gewesen. Doch dieses traditionsreiche Gebäck ist nicht mehr im Repertoire all zu vieler Hobby- oder Profi-Bäcker zu finden. Das liegt weniger am Geschmack als an der Herstellung. Dabei ist es gar nicht so schwer, wenn man die einzelnen Schritte beachtet, erklärt Ulrike Mühlich, Künstlerin und Springerle-affine Frau aus Zimmern o. R..

Ulrike Mühlich schlägt die Eier für ihren Springerle-Teig mindestens 30 Minuten lang. "Der Zucker muss sehr fein sein, Puderzucker eignet sich sehr gut und er muss solange in der Schüssel bewegt werden, bis kein Zuckerknirschen mehr zu hören ist", erklärt die Fachfrau. Der fertige Teig ruht ein, zwei Stunden in der Kühle. "Dann beginnt der schönste Teil für mich", verrät Ulrike Mühlich – das meditative Modellieren: Mit dem Wellholz wird aus dem zarten Teigling ein ein Zentimeter dicker Fladen ausgerollt, damit die Model ausreichend Material vorfinden. Dann poliert sie mit einem langen Geduldsfaden und etwas Mehl den Teig glatt. "Das hilft dem Teig, das Model wieder zu verlassen", weiß sie aus Erfahrung. Ein Model nach dem anderen drückt sie in den weichen Teig, gleichmäßig und mit gefühlvoller Kraft. Dann werden die Motive je nach Gusto entweder ausgestochen oder ausgerädelt und die gemodelten Kunstwerke anschließend vorsichtig auf ein gebuttertes und mit Anis bestreutes Papier gelegt. "Anis aus der Apotheke hat einen ausgesprochen guten Geschmack", verrät sie. Mindestens einen Tag lässt Ulrike Mühlich ihre Springerle ruhen und trocknen, dann kommen sie in den Backofen. Bei 120 bis 140 Grad auf mittlerer Schiene lässt sie die kleinen Prachtstücke 20 Minuten nicht mehr aus den Augen. "Das ist wie Krimi schauen", findet sie. Fasziniert sitzt sie vor dem Ofenfenster und erlebt jedes Jahr aufs Neue hautnah mit, wie das Gebäck genau das tut, was ihm den Namen verliehen hat: Es springt mit goldgelben Füßen und weißem Oberteil. "Wenn die Springerle endlich auf ihre eigene Füßle springen, geht mir das Herz auf". Zum süßen Abschluss kommt das Springerle in eine Cellophan-Tüte und daran wird ein kleines Gedicht gehängt. Ein individuelles Geschenk, das natürlich auch schmeckt. Die Springerle werden nach dem Backen hart und brauchen dann ihre Zeit, um wieder weich zu werden. Fachkundige sagen jedoch: Frisch schmecken sie am besten. Die schönsten Motive überdauern als Gutsle aber problemlos die Zeit.