Kreis Rottweil - Das hat gesessen: Als SPD-Kreisrat Berthold Kammerer Landrat Wolf-Rüdiger Michel im Kreistag vorwirft, sich in der Rede zum Etat 2020 rechter Parolen bedient zu haben, reagiert dieser energisch. Kammerer rechtfertigt seine Worte, der Landrat hält sie für komplett verfehlt.

"Da haben Sie bei mir eine Grenze überschritten", sagt Landrat Wolf-Rüdiger Michel in der Sitzung am Montag an die Adresse von SPD-Kreisrat Berthold Kammerer verärgert. Kammerer wirft Michel im Streit um die Beteiligung des Landes an den Kosten für geduldete Flüchtlinge eine "Annäherung an rechte Parolen" vor (wir berichteten).

Nicht nur beim Landrat sorgen die Vorhaltungen der SPD für Irritationen. Auch CDU und Freie Wähler wollen das so nicht stehen lassen. Doch selbst das Friedensangebot von SPD-Kreisrat Klaus Schätzle an den Landrat, bei einer Tasse Kaffee noch einmal in Ruhe darüber zu sprechen, verfängt nicht. Der Landrat lehnt ab. Es gebe Sachen, die sich nicht bei einem Kaffee klären ließen, äußert Michel lakonisch.

Tage später melden sich beide Seiten mit einer Stellungnahme beim Schwarzwälder Boten. Die SPD-Fraktion ist um einen versöhnlichen Ton bemüht, hält indes an ihrer Kritik fest. Die Behauptung, dass die Kosten für Asylbewerber und Flüchtlinge zu Leistungsminderung für die Bevölkerung ohne Migrationshintergrund führen würde und daher schnellstens zurückgeführt werden müssen, stamme aus dem rechten Lager und werde von dort bei jeder Gelegenheit aufgestellt. "Damit wird gezielt Sozialneid geschürt", heißt es in dem Schreiben.

Die SPD lastet dem Landrat demnach an, sich der argumentativen Strategie von Rechtspopulisten zu bedienen. Diese funktioniert im Prinzip so: Flüchtlinge und Asylsuchende kosten Geld, Geld, das den eigenen Bürgern fehlt, also weg mit den Asylsuchenden. Populisten spielen mit dieser Rhetorik die eine Gruppe gegen die andere aus.

Die SPD untermauert, Kammerer habe in seinem Statement klargestellt, dass die Kosten für die Flüchtlinge bisher weder zu einem Abbau von Leistungen insbesondere für ärmere Einkommensschichten noch zur Unterlassung notwendiger Investitionen geführt hätten.

Auf der anderen Seite betont die SPD wiederum, ihr sei es nicht darum gegangen, Landrat Michel rechts zu verorten. Die Stellungnahme der SPD-Fraktion würdigt die Arbeit der Behörde im Umgang mit Flüchtlingen ausdrücklich.

Der Landrat bleibt bei seiner Meinung: Den Vorwurf der SPD, sich rechten Parolen anzunähern, hält er für absurd. In seiner Stellungnahme verweist Michel auf das gemeinsame Schreiben der kommunalen Landesverbände an die Regierungsfraktionen im baden-württembergischen Landtag. Die kommunalen Landesverbände – Gemeindetag, Städtetag und Landkreistag – hätten seit Jahren darauf gedrängt, dass es zu einer verbindlich geregelten, dauerhaften finanziellen Beteiligung des Landes an den kommunalen Kosten für geduldete Flüchtlinge kommen müsse. Die Landesregierung habe sich lange Zeit einer langfristigen Lösung verweigert. Die Verbände hätten auf den "erheblichen gesellschaftspolitischen Sprengstoff" hingewiesen: Sollte das Land weniger bezahlen, müssten an anderen Stellen Einschnitte bei kommunalen Diensten vorgenommen werden.

Der Vorwurf der SPD "ist im Übrigen auch insofern komplett verfehlt, als es den kommunalen Landesverbänden bei ihrer zuletzt eben auch über die Gemeinderäte und Kreistage transportierten Forderung nach einer dauerhaften Mitfinanzierung der Flüchtlingskosten durch das Land doch gerade darum ging, für die Zukunft Debatten über die Flüchtlingskostenfinanzierung zu vermeiden", äußert der Landrat.

Die kommunale Seite habe gegenüber dem Land sehr deutlich gemacht, dass das Fehlen einer dauerhaften finanziellen Regelung der Sache nach ein Stärkungsprogramm für rechtspopulistische Kräfte sei, so Michel.

So gesehen: Keine Scheu vor (r)echten Konflikten

Darf man oder darf man nicht? Wenn es in der Politik um Flüchtlinge geht, löst das oftmals einen Reflex aus: Am besten nichts sagen. Ja keine Diskussion aufkommen lassen. Stillschweigen. Nicht, dass rechte Geister geweckt würden. Und sobald sich doch jemand dazu äußert und kritische Töne anklingen lässt, erntet er oder sie Kopfschütteln und sieht sich schnell in die Nähe jener Geister gestellt. Das ist Landrat Wolf-Rüdiger Michel widerfahren.

Die Geschichte beginnt Anfang November. Im Kreistag wird der Etat für das kommende Jahr eingebracht. Der Landrat hält eine Rede. Michel weiß die politische Klaviatur zu bedienen. Er weiß auch, wann er auf die Pauke hauen muss. Wenn er das macht, dann muss es einen Grund geben. Den gibt es. So wie es Anfang November aussieht, will die Landesregierung ihr Versprechen gegenüber Stadt- und Landkreisen nicht einlösen. Es geht unter anderem um die Frage, wie die Unterbringung geduldeter Flüchtlinge bezahlt wird. Vertreter der Landesregierung sicherten noch im vergangenen Jahr zu, die Flüchtlingskosten, die den Kreisen anfallen, bis auf einen Sockelbetrag von 40 Millionen Euro zu übernehmen. Ein Jahr später will die Regierung davon zunächst nichts mehr wissen. Dem Kreis Rottweil droht ein Minus in der Kasse von drei Millionen Euro.

Landrat Michel verschafft seinem Ärger in seiner Haushaltsrede Luft. Sollte das Land nicht zahlen, könnten deshalb notwendige Investitionen in Schulen und Kindergärten nicht stattfinden oder die Kreisumlage müsste erhöht werden, warnt er. So wie der Landrat argumentieren auch die Vertreter der kommunalen Landesverbände.

Wochen später, an diesem Montag, folgt die Reaktion in der Sitzung des Kreistags. SPD-Kreisrat Berthold Kammerer wirft dem Landrat eine Annäherung an rechte Parolen bezüglich der Kosten für geduldete Flüchtlinge vor.

Die SPD lastet dem Landrat demnach an, sich der argumentativen Strategie von Rechtspopulisten zu bedienen. Diese funktioniert im Prinzip so: Flüchtlinge und Asylsuchende kosten Geld, Geld, das den eigenen Bürgern fehlt, also weg mit den Asylsuchenden. Populisten spielen mit dieser Rhetorik die eine Gruppe gegen die andere aus.

Ein so geartetes Vorgehen dem Landrat vorzuwerfen, ist nicht richtig und auch nicht fair, selbst wenn sich die Argumentationslinien auf den ersten Blick ähneln mögen. Doch es gibt einen großen Unterschied: Der Landrat und die Kreisbehörde, allen voran Sozialdezernent Bernd Hamann, tun viel dafür, die Aufgaben im Zusammenhang mit Flüchtlingen und Asylsuchenden professionell und gewissenhaft anzugehen. Daran gibt es keinen Zweifel. Daran zweifelt ja auch die SPD im Kreistag nicht.

Und doch ist es notwendig, dann die Stimme zu erheben, wenn etwas nicht richtig läuft. Michel geht es um einen verlässlichen Umgang zwischen Land und Kommunen. Dazu zählt, dass derjenige bezahlt, der die staatlichen Aufgaben in Auftrag gibt, in diesem Fall das Land. Wenn sich der Streit an der Übernahme von Asylkosten entzündet, dann ist das eben so und muss deutlich angesprochen werden – bevor es andere, vornehmlich die Rechts-Populisten, tun und zu ihren Zwecken missbrauchen.

Es ist gewiss ein schmaler Grat. Der Landrat hat Mut gehabt und ihn bewandert. Mit Fortüne: Das Land zahlt jetzt.