Vielschichtig und eindrücklich: Zimmertheater rückt mit "Nathan der Weise" Aufklärung und Toleranz in den Fokus.
Rottweil - Ein Nebel aus Versuchungen, Geheimnissen, Ideologien und Glaubenssätzen und einer, der ihn lichten will. Nathan, der Weise, steht für Toleranz, Aufklärung und die Erkenntnis, dass nicht die Unterschiede, sondern die Gemeinsamkeiten zählen. Und bei der Premiere im Zimmertheater wurde klar, dass Lessings Werk, obgleich dessen Entstehung rund 240 Jahre zurückliegt, aktueller denn je ist.
Sanft erhellt sich der Raum. Und mit dem Licht kommt die Erkenntnis. Ein Mann erscheint und erzählt von seinem Traum, einem Traum von Humanität und Toleranz, die im Gelächter und Geschrei von Zwergen untergehen, dem Traum von einem weisen Mann, der es schafft, drei so unterschiedliche Parteien auf wundersame Weise zu vereinen.
Die Geschichte von Nathan ist eine von der Suche nach Wahrheit, Zerrissenheit und dem Kampf zwischen Pflichtgefühl und Wunsch, zwischen Schein und Sein. So findet sich ein Tempelherr, der die Tochter eines Juden aus dem Feuer rettet, gefangen zwischen dem, was er als Christ gegenüber Juden vermeintlich fühlen sollte, und seiner Zuneigung. Zudem lockt der fanatische Patriarch und will ihn auf einen Irrweg leiten. Und Nathan, der dem Retter Dank erweisen will, muss Feindseligkeit und Misstrauen überwinden und sich gleichzeitig aus der Falle des muslimischen Sultans winden.
Die Wege der Personen sind mit Tretminen gespickt. "Nicht die Kinder bloß speist man mit Märchen ab", sagt Nathan so treffend. Einfache Ideologien drohen, die Gedanken zu vergiften. Man hat beinahe das Gefühl, Lessing habe in die Zukunft geblickt.
Nur drei Schauspieler stehen auf der Zimmertheater-Bühne. Zwei davon (Lukas Kientzler und Nora Kühnlein) schlüpfen immer wieder in verschiedene Rollen, werden vom Christen zum Muslim, vom Ränkeschmied und Verführer zu dem, der Hilfe und nach dem richtigen Weg sucht. Und es scheint so schwer, diesen zu finden. Immer wieder fühlt der Zuschauer mit einer Person mit, um sich kurz darauf wieder von ihr abzuwenden. Gut und böse, richtig und falsch liegen eng beieinander. Nur Nathan (Meinolf Steiner) bleibt derselbe, ist wie ein Licht in dunkler Nacht und lenkt die Zwiegespaltenen so, dass sie selbst zur Erkenntnis gelangen.
Drei Menschen, drei Religionen, drei Ideologien, ein Kampf um der Wahrheit letzter Schluss. Nur liegt die darin, dass die drei gar nicht so verschieden, sondern vielmehr verwandt und Teil eines Ganzen sind.
Um das zu verdeutlichen, braucht es vor allem Worte ohne viel Beiwerk. Ein schwarzer Raum, ein Holztisch in der Mitte und drei Stühle, zwischen denen sitzend sich die Schauspieler bisweilen finden – es ist ein Stück, das sich nicht auf Requisiten oder prächtige Kostüme stützt. Die würden von dem ablenken, was ihm seine Bedeutung verleiht: von der Energie der hervorragenden Schauspieler, die Zerrissenheit und den Strudel aus Gedanken so authentisch auf die Bühne bringen, von den eindrücklichen Dialogen und der Botschaft. Auch die komödiantischen Elemente sind so fein eingestreut, dass das Ganze nicht plump wirkt.
Die Musik, live dargeboten von Dorin Grama, ist nur selten dominant. Vielmehr untermalt sie die Handlung, akzentuiert, will auch mal überschäumen, aber nimmt sich dann so plötzlich zurück, dass dem Zuschauer die Ernsthaftigkeit unvermittelt vor Augen geführt wird.
So ist das Stück des Zimmertheaters unter der Regie von Peter Staatsmann keines, von dem sich der Zuschauer sanft berieseln lassen kann. Vielmehr ist es so vielschichtig und eindrücklich, dass es auch lange nach Ende der Aufführung noch beschäftigt und die Frage aufwirft, ob man seit Lessings Plädoyer für Toleranz auch nur einen Schritt weiter gekommen ist.