Ambulante Dienste stehen vor großen Herausforderungen. Mundschutz-Vorräte sind knapp.

Rottweil - Abstand halten: Seit Wochen geben sich viele Menschen auf der Welt die Mühe, das zu lernen und zu leben. Keine einfache Aufgabe ist es für die Pflegekräfte. Denn Nähe - sowohl körperlich, als auch emotional - gehört in diesem Beruf einfach dazu. Wie gehen Pflegedienste mit der Situation um?

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Das weiß inzwischen jeder: Ältere Menschen mit Vorerkrankungen gehören bei der durch das Coronavirus ausgelösten Lungenkrankheit Covid-19 zur Risikogruppe. Gleichzeitig sind viele von ihnen auf Hilfe angewiesen, die auch mit Kontakt und körperlicher Nähe verbunden ist. Es ist eine Situation, die Pflegedienste und Pflegekräfte vor große Herausforderungen stellt.

Hausbesuche werden abgesagt

"Ängste sind natürlich da", stellt Sibylle Ehrenfried, Bereichsleiterin bei der kirchlichen Sozialstation in Rottweil, fest. Die Auswirkungen der Corona-Krise machen sich im Pflegebereich immer mehr bemerkbar. "Einige Personen, die zum Beispiel nur einmal wöchentlich versorgt wurden oder nur hauswirtschaftliche Hilfe in Anspruch genommen haben, sagen jetzt Hausbesuche ab. Angehörige springen ein", schildert Ehrenfried.

Bei den anderen geht es aber wie gewohnt weiter - und die Mitarbeiterinnen der kirchlichen Sozialstation sind täglich unterwegs, um die Senioren zu versorgen - unter Einhaltung von strengen Hygienevorschriften und Schutzmaßnahmen.

Ehrenamtliche nähen Mundschutz

"Ein großes Problem ist, dass wir nur einen Restbestand an Mundschutz haben. Wir haben deshalb eine Aktion gestartet, bei der uns ehrenamtliche Helfer Mundschutz nähen. Not macht erfinderisch", sagt Ehrenfried. Desinfektionsmittel seien dagegen genügend da: "Da sind wir gut aufgestellt."

Um das Ansteckungsrisiko zu minimieren, hat man sich bei der kirchlichen Sozialstation eine Strategie überlegt. "Während der Pflege unterhält man sich so wenig wie möglich. Nach der Pflege nehmen sich die Schwestern dann Zeit für Gespräche. An den Zeiten, die sie vor Ort verbringen, merke ich, dass Redebedarf auf jeden Fall da ist", sagt Ehrenfried. Denn, so hart es auch klingt, manchmal sind die Mitarbeiter der Pflegedienste die einzigen, die überhaupt kommen.

Die aktuelle Krise, davon ist Ehrenfried überzeugt, kann man nur gemeinsam schaffen. "Man merkt die Solidarität in der Gesellschaft, und das gibt einem viel Kraft", betont sie. Auch die Pflegekräfte tun ihr Bestes. "Wir haben wirklich ein ganz tolles Team", schwärmt die Bereichsleiterin. Und dieses Team sei bis jetzt gut besetzt – auch wenn zwei ausländische Pflegekräfte vor Kurzem abgereist seien, weil sie Angst gehabt hätten, nicht mehr wegzukommen. "Die große Frage ist natürlich, wie es weitergeht", meint Ehrenfried.

Krankheitsfälle wirken sich katastrophal aus

Bei der AWO-Sozialstation sei die Lage jetzt schon angespannt, gibt Geschäftsführer Peter Hirsch zu. "Noch gibt es bei uns keine bestätigten Corona-Fälle. Aber wenn Mitarbeiter eine oder zwei Wochen lang krankgeschrieben sind, wirkt sich das katastrophal aus", macht er klar. In den vergangenen Wochen habe sich die Situation verschärft – und die allgemeine Verunsicherung sei gewachsen.

Für die Pflegeheime gebe es momentan kaum neue Anfragen, weiß Hirsch. Die meisten versuchen, ihre Eltern selbst zu Hause zu versorgen. "Sollten wir einen neuen Bewohner im Pflegeheim aufnehmen, sollte er zunächst für zwei Wochen in Quarantäne. Das heißt, wir müssten den Bewohner 14 Tage lang in seinem Zimmer belassen", schildert Hirsch. Das grassierende Coronavirus sei in den Einrichtungen aber auch sonst ein vielfach diskutiertes Thema. "Ganz viele Informationen werden ungefiltert kommuniziert", schildert Hirsch. Aufklärungsarbeit sei deshalb sehr wichtig.

Bei der AWO-Sozialstation hat man in allen drei Bereichen – bei Desinfektionsmitteln, persönlicher Schutzausrüstung und den FFP-2-Masken – enormen Bedarf. Hirsch spricht von einer kritischen Situation. "Mit dem, was wir haben, müssen wir sehr sorgsam umgehen", macht er deutlich.

Ist es aber bei all den Schwierigkeiten noch möglich, das Gefühl von Nähe zu vermitteln? "Natürlich sind die Kommunikation und die Empathie sehr wichtig", sagt Hirsch. Vertrauen zu schaffen - das gelte nach wie vor, und in Corona-Zeiten vielleicht sogar mehr als früher.

"Für mich ist jeder Tag ein Glückstag, an dem es keinen Corona-Fall in der Einrichtung gibt. Der Gedanke, dass jemand von unseren Bewohnern in der Klinik intensiv behandelt werden muss und dort 'Triage' angewendet wird, verschafft mir Gänsehaut", sagt Hirsch.

Pflegekräfte kehren in die Heimat zurück

Mit speziellen Herausforderungen hat momentan Anna Liberatore zu kämpfen. Mit ihrer Agentur "Medizin und Pflege 24" vermittelt sie Pflegekräfte aus Polen für die 24-Stunden-Betreuung im eigenen Zuhause. Spätestens nach der Schließung der Grenzen drohte die Situation, komplett aus dem Ruder zu laufen. Wer kann noch ausreisen? Wer kann einreisen? Was geht überhaupt noch?

Viele Familien waren beunruhigt, ob die Betreuung auch weiterhin gewährleistet wird. Ihre polnischen Betreuerinnen hatten zum Teil Panikattacken, schildert Liberatore. "Manche von ihnen hatten richtig Druck von ihren Familien aus Polen. Es hieß, sie sollen sofort in die Heimat zurückzukehren", sagt sie.

Für Angehörige eines Pflegebedürftigen ist es ein Schreckensszenario: Eine Pflegekraft, die seit Monaten im Haushalt wohnt und zu der die Großmutter oder der Großvater bereits Vertrauen aufgebaut hat, verschwindet von heute auf morgen. Ob sich auf die Schnelle eine andere Pflegekraft findet, ist im ersten Moment unklar.

Aber es habe auch andere Fälle gegeben, betont Liberatore. So hätten sich viele Pflegekräfte in dieser Situation bereit erklärt, ihren Aufenthalt in Deutschland zu verlängern. "Die Lage hat sich ja fast sündlich verändert", meint Liberatore. Jetzt habe sich die Situation an den Grenzen einigermaßen entspannt. Vergangene Woche seien sogar zwei neue Betreuerinnen eingereist - an der Grenze hätten sie ihre Verträge zeigen müssen.

"Schutzmaßnahmen sind für uns selbstverständlich", macht Liberatore klar. Vorräte an Desinfektionsmitteln habe sie genug, und auch die Hygiene-Vorschriften habe sie mit den Pflegekräften noch mal genau besprochen. Mit allen Familien sei Liberatore ständig in Kontakt. Denn die Verunsicherung sei extrem groß: "Das Wichtigste ist jetzt, über die Veränderungen zu informieren und den Familien das Gefühl zu geben, dass wir sie nicht im Stich lassen", betont sie.