Rottweil-Neufra - Schon bevor Willy Schaumann durch die Tür ist, hat die Sprechstunde begonnen. Abgefangen habe sie ihn, erklärt die Neufraerin lachend. Ihr Anliegen: ein anderer Schlüssel für die Karl-Stimmler-Halle. Das erledigt Schaumann sofort.

Der 52-Jährige ist seit 2009 Ortsvorsteher des Rottweiler Teilorts. Was auf ihn zukommen würde, wusste er recht gut, als er in sein Amt gewählt wurde, denn dem Ortschaftsrat seines Heimatorts gehört er bereits seit 21 Jahren an. Als Nachrücker kam er ins Gremium, und wurde 1994 dann "ordentlich" gewählt. Dazu kommen fünf Jahre – bis 2004 – im Gemeinderat.

Willy Schaumann hat offensichtlich Spaß an seiner Aufgabe. "Sonst würde ich es auch nicht machen." Dabei ist nicht immer alles erfreulich. Ganz oben auf der Negativliste steht bei ihm der Abbau der Schwartentiere auf dem Kreisverkehr, gefertigt von Neufraer Kindern und Künstler Josef Bücheler – die hatte der Landkreis in einer Nacht-und-Nebel-Aktion abbauen lassen, einer neuen Landesverordnung folgend, die Stadtspitze hatte sich überwiegend in Zurückhaltung geübt.

Willy Schaumann ist bald jeden Tag im Rathaus anzutreffen

Ortschaftsverfassung

Die gute Laune allerdings, ließ sich der Ortsvorsteher nicht vermiesen. Er läuft zu seinem Schrank und holt einen dicken Ordner heraus. "Das", sagt er, ist die "Akte Kreisverkehr." Das zeigt: Auch wenn ein Ortsvorsteher qua Amt Oberbürgermeister und Bürgermeister, soweit es Beschlüsse des Ortschaftsrats betrifft, vertritt, muss er noch lange nicht immer einer Meinung mit der Verwaltung sein.

Zu den Hauptaufgaben eines Ortsvorstehers gehört es, die Sitzungen des Ortschaftsrats zu leiten, hinzu kommen Verwaltungsaufgaben und Repräsentationspflichten. Typisches Beispiel: Hauptversammlungen und Geburtstagsbesuche. Die Zeit für solche Termine müsse er sich aus den Rippen schnitzen, sagt Schaumann. Trotzdem gehören sie zu den schönen Seiten seines Amts. Anders als einige andere Rottweiler Ortsvorsteher ist der Neufraer nicht im öffentlichen Dienst tätig, sondern arbeitet als Industriemeister bei Mahle. Schaumann muss Urlaub nehmen, wenn etwas "Dienstliches" in seine Arbeitszeit fällt. Dennoch, sagt er, vertragen sich Ehrenamt und Beruf gut.

Genau wie im Unternehmen ist Schaumann bald jeden Tag im Rathaus anzutreffen. Die Arbeit dort geht weit über die Sprechstunde am Donnerstagabend hinaus. Zehn Stunden pro Woche kämen für sein Amt locker zusammen. "Ich bin Ansprechpartner für alle Bürger rund um die Uhr", erklärt er. Da wird er eben schon mal "abgefangen".

Ein junges Paar aus Trossingen nutzt die Sprechstunde: Die beiden interessieren sich für einen Bauplatz, machen sich jedoch Sorgen, dass sie als Auswärtige gar nicht zum Zug kommen könnten. Da kann der 52-Jährige beschwichtigen: Zwar entscheidet der Ortschaftsrat darüber. Aber junge Familien sind in Neufra immer willkommen. Der Ortsvorsteher nutzt die Chance und macht gleich noch ein bisschen Werbung für seine Heimat: Kindergarten, Schule und ein reges Vereinsleben, dazu die Nähe zu Rottweil – das Pärchen ist längst überzeugt. Nicht nur Grundstücksanfragen, auch Bauvoranfragen landen auf Schaumanns Tisch.

Er nimmt an der monatlichen Ortsvorsteherbesprechung teil, organisiert den Neujahrsempfang und Kultur-Aktiv-Sitzungen, vergibt Räume in der Karl-Stimmler-Halle, organisiert den Kindererlebnissommer oder Dorfputzeten. Die Liste der Aufgaben ist lang. Zumal er "nebenher" noch Vorsitzender des Musikvereins ist. Seit drei Jahren ist Willy Schaumann außerdem sogenannter Eheschließungsstandesbeamter, er darf also Paare trauen. Zehnmal schritt er bereits zur Tat, darunter waren seine Nichte und ein Patenkind. "Das ist super", erklärt Schaumann. Er stellt augenzwinkernd, fest, dass etliche Paare zu Tränen gerührt gewesen seien. Solche Momente sind genauso Höhepunkte seiner Arbeit wie der zweite Platz beim Wettbewerb "Unser Dorf hat Zukunft" oder der Preis, den Neufra kürzlich für seinen Film über die Dorfputzete gewonnen hat. Auch an anderer Stelle waren Willy Schaumann und seine Mitbürger mal wieder kreativ: Schaumann ist mit Josef Bücheler befreundet, und dieser hat einmal mehr ein Kunstwerk mit Kindern aus dem Ort geschaffen.

Diesmal ein Mosaik mit Dorfwappen. Noch liegt es neben dem Rathaus im Gras, aber Willy Schaumann weiß schon genau, wo er es haben will. Richtig geraten: auf dem Kreisverkehr, wo einst die Schwartentiere standen.

Er sei zu Landrat Wolf-Rüdiger Michel gegangen und habe gesagt. "Ich hätte da wieder was für den Kreisverkehr", erzählt der dreifache Vater. Ergebnis: eine Zusage. "Das war praktisch das Gutsle vom Landrat", sagt er verschmitzt.

Seite 2: Was macht ein Ortsvorsteher?

Wahl

Ortsvorsteher werden in der Regel vom Ortschaftsrat vorgeschlagen, die endgültige Entscheidung trifft der Gemeinderat. Als Ortsvorsteher kandidieren können alle, die in der Ortschaft wohnen und wahlberechtigt sind. Inzwischen ist es nicht mehr Voraussetzung, dem Ortschaftsrat anzugehören. Andernorts gibt es allerdings auch andere Modelle als in Rottweil: Für den Schramberger Stadtteil Waldmössingen beispielsweise bestellt der Gemeinderat einen städtischen zum Ortsvorsteher ohne Stimmrecht in dem Gremium. Dieser Unterschied sei traditionell bedingt, erklärt Bürgermeister Werner Guhl.

Bezahlung

Auch wenn in der Regel von ehrenamtlichen Ortsvorstehern die Rede ist, erhalten diese, abhängig von der Größe ihres Orts, monatlich eine Entschädigung. In Rottweil liegt die Summe zwischen 400 und 1200 Euro brutto, dazu gibt es steuerfrei eine 200-Euro-Dienstaufwandsentschädigung. Geregelt ist dies in der Satzung über die Entschädigung für ehrenamtliche Tätigkeiten. →

Ortschaftsverfassung

Die Ortschaftsverfassungen sind im Zuge der Eingemeindungen zu Beginn der 1970er-Jahre entstanden. Ziel war es laut Werner Guhl damals, die Verwaltung zu stärken, gleichzeitig aber auch die Verbundenheit in den Ortschaften. Bei vielen Entscheidungen, die die Ortschaften betreffen, hat zwar der Gemeinderat das letzte Wort, allerdings berät das lokale Gremium sie vor und fasst einen Empfehlungsbeschluss. Rottweiler Ortschaften erhalten außerdem ein Budget, über das sie verfügen können – etwa Zuschüsse für Vereine, erklärt Guhl. Anders als Feckenhausen, Göllsdorf, Hausen, Neufra, Neukirch und Zepfenhan hat Bühlingen übrigens keine Ortschaftsverfassung, also auch keinen Ortschaftsrat. Dies ist historisch bedingt: Das Dorf kam bereits in den 30er-Jahre zu Rottweil.