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Kulturschaffende und Corona /Musikerin Julia Guhl vermisst regen Kontakt und Austausch mit Kollegen

Konzerte, Festivals, Kammermusik – dieser Bereich der Kultur liegt seit März nahezu brach, vielen Musikern macht dies zu schaffen. Auch die Klarinettistin Julia Guhl verbringt viel Zeit zu Hause statt wie früher auf der Bühne.

Rottweil. Seit März ist nichts mehr wie es war. Anstatt verschiedene Konzerte zu spielen und Unterricht an der Musikschule zu erteilen, verbringt Julia Guhl viel Zeit zu Hause. "Das ist manchmal gar nicht so einfach", gibt sie zu. "Offenbar hat die Musik oder die Kultur insgesamt in der Gesellschaft nicht den Stellenwert, wie bisher gedacht", bedauert sie.

Einige ihrer Kollegen habe es hart getroffen, berichtet Guhl. Die Corona-Soforthilfe der Bundesregierung bringe Soloselbstständigen so gut wie nichts, da sie keine Betriebsausgaben hätten. "Musiker aus meinem Kollegen- und Bekanntenkreis mussten teilweise ihre Kinder sogar von der Kita abmelden, oder sie mussten in kleinere, preiswertere Wohnungen ziehen, weil über Monate jegliche Einnahmen fehlten. Das ist schockierend", sagt sie.

Während in anderen Branchen Millionen- und Milliardenhilfen fließen oder Abstandsregularien schnell gelockert würden, sei die Kultur immer der letzte Bereich, an den man denke. Dabei erwirtschafte die Kultur- und Kreativwirtschaft jedes Jahr Milliarden in Deutschland. "Kultur ist kein Luxus, den wir uns leisten oder nach Belieben streichen können, sondern der geistige Boden, der unsere innere Überlebensfähigkeit sichert – das wusste Richard von Weizsäcker schon. Offensichtlich haben in einem kapitalistisch und global geprägten Deutschland solche Werte spätestens in der Krise nicht mehr viel Platz", stellt die Klarinettistin fest.

Sie selbst habe Glück gehabt, da sie nicht nur freiberuflich tätig sei, sondern auch an der Blumberger und an der Rottweiler Musikschule unterrichte. Ihren Unterricht habe sie während des Lockdowns per Videoübertragung abhalten können. Dass sie aber ohne Auftritte viel weniger aus dem Haus kommt, das sorgt zunehmend für Unmut. "Besonders schwierig ist ein regelmäßiges Üben oder gar Proben mit Kammermusikpartnern. Wofür soll man üben oder proben, wenn man keine Ziele und Konzerte hat?" Natürlich spiele sie immer wieder auch nur zur eigenen Freude. "Dafür packe ich aber nicht meine virtuosen Klarinettensonaten oder komplexe Konzertstücke aus."

Über den Sommer lief es einigermaßen gut. Da durfte sie einige Konzerte spielen und Kollegen zum Austausch treffen. "Die Konzerte waren regional ganz unterschiedlich besucht. In Rottweil war alles ausgebucht, andernorts kamen kaum Leute". Weil nur weniger Zuhörer in die Konzertsäle dürfen, hätten die Musiker manche Konzerte zweimal nacheinander spielen müssen. "Der Aufwand ist doppelt so hoch, auch konditionell und konzentrationstechnisch ist das eine ganz neue Herausforderung", sagt sie. Schade sei es, wenn man in die wegen der Abstandsregeln halb leeren Säle blicke. "Eine Atmosphäre wie vor Corona kommt da natürlich nicht zustande."

Dennoch hätten ihr auch die wenigen gemeinsamen Proben gutgetan und sie motiviert. Guhl lobt das Rottweiler Kulturamt, das den mutigen Schritt gegangen sei und die "Sommersprössle" veranstaltet hat. Minifestival statt Zwangspause also. Das sei auch beim Publikum bestens angekommen.

"Kultur muss sein", betont Julia Guhl. Kultur sei identitätsstiftend, und für die Gesamtmotivation der Gesellschaft wäre es wichtig, wenigstens kleine Veranstaltungen anzubieten, sofern die Infektionszahlen dies zulassen. Auch die Sommerkonzerte der Rottweiler Kirchen seien nahezu alle sehr gut besucht gewesen. "Das spricht für die kulturaffinen Rottweiler und auch unsere Veranstalter hier." Das Kulturamt setzt alles daran, dass die weiteren Konzerte trotz verschärfter Maßnahmen stattfinden können.

"Das ist das Schöne in Rottweil. Da macht selbst in Krisenzeiten meine Arbeit Spaß. Ich glaube allerdings, dass wir noch eine ganze Weile mit dieser herausfordernden Situation leben müssen", bedauert die Musikerin. "Deutschland ist das einstige Land der Dichter und Denker. Dafür werden wir im Ausland immer noch so bewundert. Wir müssen dringend aufpassen, nicht zu einem Land der Lobbyisten und Kapitalisten zu werden."