Ein akustisches Signal oder ein vibrierender Taster zeigen Sehbehinderten an, wenn die Ampel grün ist.Fotos: Siegmeier Foto: Schwarzwälder Bote

Serie: Sehbehindert im Alltag: Mit Moni Kimmich und Horst Fritzke auf Tour

Alle Menschen am "normalen Leben" teilhaben zu lassen, so könnte man den Begriff Inklusion in wenigen Worten beschreiben.

Rottweil. Moni Kimmich und Horst Fritzke sind sehbehindert. Unterwegs zu sein fordert ihnen hohe Konzentration ab – und dennoch: es macht ihnen Spaß. Rottweil. Sanft tastet der weiße Langstock über den Asphalt.

Drei Damen bleiben erschreckt stehen, als der Stock wenige Zentimeter vor ihren Fußspitzen vorbeigleitet. Sie schauen etwas verständnislos auf Moni Kimmich und Horst Fritzke, die in der Stadt unterwegs sind. Die beiden sind schwer sehgeschädigt, nahezu blind. Ihre Freude am Leben oder an der Unternehmungslust trübt diese Einschränkung nicht. Ganz im Gegenteil.

Die Ohren sehen mit

"Ich war schon alleine in Amsterdam, in Hamburg, Kiel und in Tirol zum Wandern", berichtet Horst Fritzke, der beim Erzählen stehengeblieben ist. Denn Gehen und Sprechen gleichzeitig geht nicht: "Das Gehen erfordert höchste Konzentration", erklärt er. Denn lediglich über das Gehör lässt sich feststellen, wo eine Straße ist. "Und wo eine Gasse einmündet, das merkt man am Wind", erklärt Moni Kimmich lachend. Unvorstellbar für einen Sehenden. Wenn ich in all dem Tumult die Augen schließe, gelingt es mir keinesfalls differenziert zu hören – alles ein Einheitsbrei an Geräuschen. Und beim Gang mit geschlossenen Augen und Langstock fühle ich mich dann doch reichlich hilflos. Orientierung? Fehlanzeige. Horst Fritzke beruhigt: "Es gibt Orientierungs- und Mobilitätstrainer, die üben mit einem, wenn man blind oder sehbehindert ist. Man muss das nicht alleine können".

Und trotzdem: Die Hürde scheint mir beinahe unüberwindbar. Dass man sich so überhaupt noch auf die Straße traut. "Warum nicht?", so die verständnislose Antwort der beiden. "Das ist doch unser Leben", sagen sie. Moni Kimmich erklärt, dass es immer mehr Orientierungshilfen gebe.

In Rottweil seien erst kürzlich die Ampelanlagen erneuert worden. Durch akustische Signale würden sie jetzt auch für Sehbehinderte mehr Sicherheit und Orientierung bieten.

Gewundert habe ich mich bislang auch über die Längsrillen und Noppen an Zebrastreifen, Bushaltestellen oder Bahnübergängen. Da redet man immer von Barrierefreiheit und dann solche Rillen und Noppen? "Das sind Auffindelinien und Aufmerksamkeitsfelder", erklärt Moni Kimmich die weißen Strukturflächen. "Wenn solche Linien kommen, dann weiß man, dass hier ein Zebrastreifen, eine Bushaltestelle oder dergleichen in der Nähe ist. Man kann den Längslinien folgen. Quert man sie allerdings, dann läuft man Gefahr auf die Straße oder das Bahngleis zu gelangen", so Kimmich weiter.

Die Bushaltestellen in Rottweil seien mittlerweile gut umgestaltet worden, loben Kimmich und Fritzke. Schade sei nur, dass es keine Möglichkeit gebe, sich den Fahrplan per Knopfdruck vorlesen zu lassen, wie das in anderen Städten üblich ist. "Die Haltestellen werden im Bus leider auch nicht angesagt. Man muss sich dann eben vorab informieren und die Halte mitzählen", schildert Moni Kimmich. Aber nicht nur die Auffindelinien dienen der Orientierung, sondern auch Mauern, Hecken, Hausfassaden und ähnliches.

Hinderlich für Sehbehinderte sind Passantenstopper, Kleider- oder Kartenständer vor Geschäften. Da kann man schon mal dran hängenbleiben. "Wie komme ich von der Innenstadt eigentlich nun am besten ans Römerbad?" Horst Fritzke, der in Reutlingen lebt, will es jetzt wissen und fragt in der Tourist-Info um Rat. Der junge Mann hinter der Theke gibt sich Mühe, beschreibt den Weg und telefoniert sogar mit dem Busunternehmen, um offene Fragen zu klären. Super Service.

Training ist hart

Horst Fritzke weiß nun, mit welcher Buslinie er vom Friedrichsplatz abfahren muss, und an der wievielten Haltestelle er aussteigen muss. "Perfekt", freut er sich. Schnell den Langstock wieder herausgeholt, geht es weiter. "Man muss beim Pendeln mit dem Stock einen möglichst weiten Radius erfassen", rät Fritzke. So bekomme man einen Eindruck vom Untergrund und von dem, was einen erwarte.

Fritzke und Kimmich machen das souverän. Doch auch sie haben ein hartes Training hinter sich. "Das Training ist für viele eine Hürde, deswegen bleiben sie lieber daheim", bedauert Moni Kimmich. Das komme für sie nicht in Frage. Man dürfe sich auch unterwegs nicht irritieren lassen und müsse seinen Weg gehen. "Die anderen sind sehend, die können mir gut ausweichen", erklärt sie. Doch auch der Langstock habe seine Grenzen: "Im Winter im Schnee, oder auf Trampelpfaden bringt er gar nichts", wissen die beiden. Im Winter sei es aufgrund der Rutschgefahr ohnehin gefährlicher unterwegs zu sein.

Und so nutzen Moni Kimmich und Horst Fritzke noch die schönen Herbsttage, um gemeinsame Ausflüge zu unternehmen, Kaffee trinken zu gehen – das Leben zu genießen.