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Winfried Wössner und Pius Bucher erhalten beim Bürgerempfang besondere Auszeichnung. OB blickt auf 2013 zurück.

Rottweil - Gestern Abend hat er die volle Aufmerksamkeit: Beim Bürgerempfang schaut Ralf Broß auf das vergangene Jahr zurück und wirft auf das kommende schon mal einen Blick – durchaus launig. Noch rottweilerischer als 2013 kann ein Jahr in der ältesten Stadt des Landes kaum ausfallen: "Letztes Jahr waren wir Schweiz", erklärt Ralf Broß in seiner Neujahrsansprache. Das Schweizjahr erinnerte nicht nur an die Städtepartnerschaftmit Brugg, sondern auch an die 550 Jahre als der Schweiz zugewandter Ort. Dass solche Jubiläen mit "kulturellen Highlights" einhergehen, versteht sich in Rottweil von selbst.

Überhaupt hat die Stadt viele Beispiele, auf die "wir stolz sind, und die unser Selbstwertgefühl prägen", meint der Oberbürgermeister: die Kunst, die Fasnet, die historische Stadtsilhouette – genug, dass man es in die Weltkulturerbeliste der Unesco schaffen könnte, findet Broß und greift damit die Worte von Narrenmeister Christoph Bechtold am Dreikönigstag auf.

Aspekte Rottweils seien mit positiven Attributen verbunden, die eine Sehnsucht nach Heimat und heiler Welt vermittelten: "Die Werbeprofis sprechen von Neuromarketing". Mit diesem neumodischen Begriff leitet er ein, was den Rathauschef nicht nur manchmal ziemlich beschäftigen dürfte: einerseits Geschichte und städtebauliches Erbe zu bewahren, andererseits "sehen wir uns in der Verantwortung, auch Entwicklungen zu initiieren".

Rottweil sie seit dem 1. Januar schuldenfrei, sagt er, und erhält Applaus. Trotzdem befinde sich die Stadt nicht auf einer Insel der Glückseligen. Immer mehr Menschen zieht es in die Großstädte. Damit müsse man sich auseinandersetzen.

Broß bekräftigt das "große Interesse" am Erhalt der Musikhochschule Trossingen, erwähnt die Polizeireform, die der Stadt die Kriminalpolizeidirektion gebracht hat, und befürchtet, dass das Land den "Hebel an den Zuschnitt der Amts- und Landgerichte ansetzt" – zum Nachteil Rottweils. Am Freitag, wenn Justizminister Rainer Stickelberger (SPD) den neuen Landgerichtspräsidenten Dietmar Foth ins Amt einsetzt, will Broß noch einmal darauf aufmerksam machen, dass die Stadt die JVA haben will.

Die neue Kinderkrippe in Göllsdorf, der Umzug der Spitalbewohner in den Nägelesgraben, der neue Fachklassentrakt des Leibniz-Gymnasiums: Broß streift die Ereignisse des vergangenen Jahres. Und das, was hätte sein können: etwa eine private Bildungseinrichtung im Vaihinger Hof und im Eckhof. "Aber schlussendlich waren die Schnitzel größer als der Hunger auf Bildung", sagt der OB. Das bringt ihm Applaus ein, aber auch das Raunen vieler Zuhörer. Damit allerdings ist er bei einem der großen Themen 2013 angekommen: Bürgerbeteiligung. "Das Demokratieverständnis scheint sich grundlegend geändert zuhaben." Für Kommunalverwaltung und -politik gehe es auch darum, "Nichtbetroffene und Uninteressierte als Beteiligte zu gewinnen". Bürgerbeteiligung ist für den Rathausschef das Stichwort, um auf die Gemeinderats- und Europawahl im Mai hinzuweisen. Es sei nicht immer leicht, Verantwortung zu übernehmen, aber allemal besser, als anonym zu bloggen.

Die Stadt hat Verantwortung übernommen, meint der OB. Etwa mit der Stadtentwicklungsmaßnahme am Omsdorfer Hang. Zudem nennt er die neue Jugendherberge, Wirtschaftsförderung und das jüngst verliehene Gütesiegel als "mittelstandsfreundliche Verwaltung". Und dann kommt Ralf Broß doch noch auf das Großprojekt 2013 zu sprechen, für das er fast die ganze Ansprache lang spürbar Anlauf genommen hat: den Aufzugtestturm. "Wir wollen den Turm", sagt er und betont einmal mehr, dass er Chancen für die ganze Region biete.

Anders als die Fasnet, die ohnehin bekannt sei und darum vielleicht auf den Titel als Unesco-Weltkulturerbe verzichten könne, müsse Rottweil die "Daseinsvorsorge nachhaltig sichern", erklärt der OB. Zumal die Stadt sogar die Traditionalisten auf ihre Seite wisse, seit die historische Bürgerwehr "im Schatten des Empire State Building" bei der Steubenparade mitmarschierte und dem Reiz hoher Gebäude erlegen sei. 

Info: Bürgermedaille

Die Stadt Rottweil hat zwei Männer mit der Bürgermedaille ausgezeichnet, die sich seit Langem ehrenamtlich einbringen:

Pius Bucher

Der Göllsdorfer war von 1962 bis 1972 im Gemeinderat seines damals selbstständigen Heimatorts. Nach der Eingemeindung engagierte sich Pius Bucher mehr als 17 Jahre lang als Ortschaftsrat. Zunächst als aktiver Musiker, dann als Beisitzer und stellvertretender Vorsitzender brachte er sich auch im Musikverein Göllsdorf ein, seit 1985 ist er Ehrenmitglied. Der heute 77-Jährige organisiere seit über 50 Jahren Festkutsche und Pferde für den Umzug bei der Göllsdorfer Saukirbe, sagte OB Ralf Broß. Und er stelle seine Hoffläche seit Jahrzehnten für Veranstaltungen der Ortschaft zur Verfügung, zudem stellen Krippenbauer ihre Werke in seiner Scheune aus. Pius Bucher sei für Göllsdorf ein "unermesslicher Unterstützer." Buchers Devise laute: "Wenn sie mich fragen, dann sag ich halt Ja!"

Winfried Wössner

Von 1989 bis 2013 war Winfried Wössner Gemeinderat, zuletzt Sprecher der SPD-Fraktion. Im Gremium habe man ihn "stets als offenen, ehrlichen, verantwortungsvollen, geradlinigen und fairen Menschen erlebt", berichtete Broß. Was er im Gremium geleistet habe, gehe weit über das normale Maß hinaus. Seit 1970 sei Wössner zudem Mitglied des FV 08 – der wiederum war der Grund, warum es den gebürtigen Tübinger nach Rottweil zog. Von 1990 bis 2013 war Wössner im Stadtverband für Sport engagiert, auch in der St.-Pelagius-Gemeinde bringe er sich ein. Zudem ist er Gründungsmitglied des Zimmertheatervereins, dazu kommen weitere Mitgliedschaften. Der 59-Jährige trat gestern auch selbst ans Mikrofon: Er appellierte an die Zuhörer, Verantwortung zu übernehmen und sich mehr für die Allgemeinheit einzusetzen.