Birgit Maier muss schweren Herzens das Bruderschaftsstüble aufgeben. Fotos: Cools Foto: Schwarzwälder Bote

Gastronomie: Wirtin kann das Bruderschaftsstüble aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr betreiben

Von Jasmin Cools

D’Russ hat zu – seit gut einem Monat macht das Gerücht schon seine Runde an den Rottweiler Stammtischen. Nun herrscht Klarheit: Im Bruderschaftsstüble ist der Ofen aus. Damit geht in Sachen gutbürgerliche Küche eine Ära zu Ende.

Rottweil. Bodenständige Küche und Hausmannskost wie Rouladen und Tafelspitz an Meerrettich? Alles schön und gut, aber "gibt es auch Schnitzel?", fragten sich ein ums andere Mal die Gäste im Bruderschaftsstüble, wenn ein Tagesessen angepriesen wurde. Und natürlich konnte Wirtin Birgit Maier sie stets beruhigen: Schnitzel gibt es immer. Das war die Spezialität.

Wenn die 58-Jährige von solchen Sternstunden im Bruderschaftsstüble erzählt, wirkt sie wehmütig. Im Oktober hätte sie ihr 20-jähriges Bestehen als Wirtin im "Russ" gefeiert, doch die Gesundheit lässt es nicht zu. Anfang April hatte sie zunächst ein Schild hinausgehängt – "Wegen Krankheit geschlossen" –, am 31. Mai schließlich endgültig den Schlüssel abgegeben.

"Es war eine schwere Entscheidung", versichert sie. In 20 Jahren habe sie nicht nur nette Stammtische gehabt, sondern auch Freundschaften geschlossen. Das sei ihr besonders im Krankenhaus klar geworden, als jede Menge ehemaliger Gäste angerufen hätten oder vorbeigekommen wären.

Dass es einmal so weit kommt, hatte die Wirtin 1998, als sie das Stüble übernahm, wohl kaum gedacht. Zuvor hatte die gelernte Hotelfachwirtin die Siegeshalle in der Schramberger Straße betrieben, wollte sich aber mit ihrer Gastronomie stadteinwärts orientieren.

Leicht sei die Arbeit niemals gewesen, stellt Maier aber auch klar. Oftmals seien es keine Acht- oder Zehn-Stunden-Tage gewesen, sondern 14 oder 16 Stunden. "Einmal an der Fasnet vor fünf Jahren habe ich sogar durchgemacht. Abends habe ich das Personal heimgeschickt, dann geputzt und nebenher Kartoffeln gekocht, bis die nächsten Gäste kamen", erinnert sie sich. An der Fasnet sei bei ihr ohnehin Ausnahmezustand gewesen. "Dann wurde die Tür ausgehängt, und die Menschen standen bis in den Flur", erzählt Maier. "Da war kein Quadratmeter mehr frei."

Der Trubel und Stress habe ihr nichts ausgemacht. Sie kennt ihn seit dem 15. Lebensjahr. Sogar in der Schwangerschaft habe sie sich kaum eine Auszeit gegönnt. "Am Aschermittwoch habe ich noch geschafft, am Donnerstag ging es zur Geburt. Eine Woche später habe ich schon wieder gearbeitet", sagt die ehemalige Wirtin.

Einmal habe sie auch daran gedacht, das Stüble zu kaufen. Nun sei sie aber froh, es letztlich nicht getan zu haben. "Man müsste viel Geld reinstecken. Eine Gaststätte zu betreiben, ist eine Herausforderung. Heutzutage kann man rein mit Getränken nichts mehr verdienen. Die Gäste wollen nicht einfach ein Viertele trinken, sondern auch einen modernen Raum", meint die 58-Jährige. Das altertümliche Stüble mit seinem Charme umzubauen, davon halte sie aber auch nichts. "Es ist eigentlich schön wie es ist."

Der Meinung ist auch Gebäudebesitzer Ernst Heimes. "Was die Zukunft bringen wird, ich weiß es nicht", verrät er, dass noch kein Nachfolger in Sicht ist. "Ich möchte vor allem, dass das Stüble weiter ein Ort ganz eigener gastronomischer Prägung ist." Ob er dabei der Käufer bleibe oder es jemand werde, der die Tradition wahren will und kann, da ist Heimes offen.

Als Birgit Maier das Stüble übernahm, hatte dieses bereits eine beträchtliche Geschichte hinter sich. 1954 hätten Maria Russ und ihr Mann Paul das Weinstüble, das rasch den Namen "Russestüble" bekam, eröffnet. In der Nachkriegszeit habe man das Lokal deshalb scherzhaft auch die "sowjetisch besetzte Zone" genannt.

Eine Dame namens Antonie Wagner, auch Fräulein Toni genannt, sei von jeher die "gute Seele" des Lokals gewesen und Teil des Kaufvertrags. Ihr durfte nicht gekündigt werden. Heimes und seine Frau kauften das Lokal 1984 nach dem Tod von Maria Russ – damals aus emotionalen Gründen. "Frau Russ bot mir, als ich 21 Jahre alt war, eine Heimat in Rottweil an. Ich ging seit 1961 im Haus Russ aus und ein, der Sohn war ein Freund von mir", erzählt der Diplompädagoge. Fräulein Toni habe das Lokal viele Jahre selbstständig geführt. Dann kam Birgit Maier. "Sie ist nicht zu ersetzen", stellt Heimes klar.

Derzeit gestalte er nach dem Vorbild des Russenstüle das Weinhaus Stanis in Rottenburg. Kirchenmaler Tobis Kammerer, der Sohn des einstigen Gestalters des Russenstübles, habe das Lokal 1992 vollständig ausgemalt.

Zwei Dinge hat sich das Bruderschaftsstüble also die ganzen Jahre über bewahrt: seine eigentümliche Gaststube und die treue Kundschaft, die der Hunger bestimmt mal in die Bruderschaftsgasse treiben wird, bis ihr einfällt, dass es das beliebte Schnitzel von Birgit Maier nur noch bei ihr zu Hause geben wird.