"Nathan der Weise" (Meinolf Steiner) und "Das kunstseidene Mädchen" (Nora Kühnlein) werden wieder aufgenommen. Archiv-Fotos: Cools Foto: Schwarzwälder Bote

Kultur: Kreativ durch die Krise: Rottweiler Zimmertheater hat in den kommenden Monaten einiges vor

Ein festes Ensemble, zwei neue Spielorte und viele Ideen im Ärmel – die Intendanz des Rottweiler Zimmertheaters hat einiges organisiert, um auch in den kommenden Monaten Theateraufführungen bieten zu können. Schon am 2. Oktober geht es los.

Rottweil. Bettina Schültke und Peter Staatsmann haben den Wind im Rücken: "Nach kurzer Anlaufzeit wurden wir beim Sommertheater überrannt", meint Schültke begeistert. Die Stückvielfalt sei bei den Theaterbesuchern gut angekommen. An manchen Abenden habe man sogar schweren Herzens Besucher wegschicken müssen. Das Sommertheater hat sich also trotz der widrigen Bedingungen als Erfolg entpuppt.

Andere Spielformen

Mit Blick auf Herbst und Winter war nun die zentrale Frage, wo gespielt werden kann. Im Zimmertheater selbst würden nach Anwendung der Abstandsregeln nur so wenige Besucher Platz finden, dass sich der Aufwand kaum lohnen würde. Umso glücklicher ist die Intendanz über zwei neue Spielorte: die Alte Stallhalle und die Werkstatthalle der Kunststiftung Erich Hauser. Die sind keine Notlösung, sondern bieten viel Platz und neue Möglichkeiten zur Gestaltung der Stücke.

So werden "Das kunstseidene Mädchen" und "Nathan der Weise" wieder ins Programm aufgenommen, ergänzt durch das neue Stück "Atmen" aus der Feder von Duncan Macmillan. Von ihm stammt auch "All das Schöne", das im Januar Premiere gefeiert und sich bei den Zimmertheater-Besuchern großer Beliebtheit erfreut hatte.

In "Atmen" geht es um die Höhen und Tiefen im Leben eines Paares. "Das Stück verhandelt große Fragen und Probleme auf eine humorvolle, leichte Weise", erzählt Bettina Schültke. "Es bildet verschiedene Phasen im Leben des Paars ab, der Fokus liegt auf der Frage, ob man ein Kind bekommen soll. Das große Thema ist: Wie lebt man richtig in Krisen?", erklärt Peter Staatsmann. Wie entwirft man sich selbst als Mensch? Diese Frage sei angesichts der Entwicklung der Menschen zur stetigen Selbstoptimierung durch Fitness und Wellness so aktuell wie nie. "Es geht auch um die Illusion der kompletten Kontrolle, die der moderne Mensch zu haben glaubt", so Staatsmann. Man versuche, alles zu beseitigen: Probleme, Krankheiten, den Tod. Und dann stecke man plötzlich mitten in einer Krise, die man nicht kontrollieren könne – der Bezug zu Corona könnte kaum deutlicher sein.

"Atmen" punktet aber nicht nur durch die aktuelle Thematik. Die Intendanz will die neue Location, die Alte Stallhalle, dazu nutzen, den Zuschauern eine neue Erfahrung zu bieten. Die Bestuhlung auf der rund 1000 Quadratmeter großen Fläche soll kreisförmig sein, die Handlung in der ganzen Halle stattfinden. Der neue Ort sei auch eine Chance, diese neue Form auszuprobieren. "Das bringt frischen Wind. Wir wollten ohnehin weitere Spielorte suchen. Durch Corona wurde das Ganze jetzt zwangsläufig beschleunigt", sagt Staatsmann. Zudem dürfen sich die Zuschauer auf Musik freuen. Jazz-Sängerin Renate Braun aus Rottweil wird mitwirken.

Die Krise hat aber auch viele negative Seiten. So wird es kein Stück für Kinder und Familien in der Vorweihnachtszeit geben, und auch die Jugendclubs, Schulkooperationen und Workshops liegen auf Eis. Organisatorische Hürden sind daran Schuld. Eventuell will die Intendanz ein abgespecktes Angebot ins Leben rufen. Das hänge aber von der Entwicklung der Krise ab.

Vier feste Schauspieler

Erleichterung und Sicherheit bringt das Ensemble. Vier Schauspieler konnten nun fest verpflichtet werden und sollen nach Möglichkeit die ganze Spielzeit über bleiben. In der Vergangenheit hatte man oft Stücke abkürzen müssen, weil manche Schauspieler schon an anderen Orten neue Verträge geschlossen hatten.

Mit dem jetzigen Ensemble, bestehend aus Nora Kühnlein, Meinolf Steiner, Lukas Kientzler und Stephan Müller, der neu am Zimmertheater ist, könne man sich nun aufeinander einstellen und auch flexibler agieren. "Für die kommenden Monate könnten weitere Stücke dazu kommen", meint Peter Staatsmann. Auf lange Sicht habe er etwa an Shakespeares "King Lear" gedacht.

Doch das ist noch Zukunftsmusik. Fest steht hingegen, dass im Dezember das Stück "Der Prinz von Homburg" von Heinrich von Kleist dazukommt. Gespielt wird in der Werkstatthalle der Kunststiftung Erich Hauser.

Es geht um einen preußischen Reitergeneral, der einen Befehl seines Kurfürsten nicht befolgt und letztlich die Änderung einer gesellschaftlichen Idee bewirkt – zwischen Vernunft und Gesetz, Pflicht und Gefühl, Traum und Wirklichkeit. "Das lässt sich perfekt auf die Gegenwart münzen", sagt Staatsmann. Vielleicht könne man ja sogar Pferde in der Inszenierung einsetzen. Der Spielort würde es, anders als das Zimmertheater, ermöglichen.

Förderung für Projekt

"Auf Halde" liegt beim Zimmertheater auch noch das Stück "Cyrano de Bergerac", für das es eine Leader-Förderung gab und das verschoben wurde. Generell freut sich das Zimmertheater über eine Vielzahl an Förderungen. So habe man durch das "Neustart"-Programm vom Bund 20 000 Euro sowie von Leader 16 000 Euro für neue technische Ausrüstung bekommen. "Das war das erste Mal, dass es Fördertöpfe zur Ausstattung von Kulturorten gab. Sonst sind die Fördergelder immer projektbezogen", erklärt Schültke.

Ganz aktuell erhält das Zimmertheater aus dem Programm "Kunst trotz Abstand" eine Fördersumme von 42 500 Euro für sein Frühjahrsprojekt "Mit kleinen Schritten zur glücklichen Wendung". Dafür sammelt die Intendanz besondere Lebensgeschichten aus Rottweil und Umgebung. Die Botschaft ist, dass man zwar viel einbüßen, das Blatt aber mit kleinen Schritten auch wieder zum Guten wenden kann. Im Januar wird mit der Umsetzung begonnen. "Vielleicht lassen wir die Protagonisten selbst auf der Bühne erscheinen", meint Staatsmann.

So oder so dürfte es eine spannende Sache werden und zu dem passen, was das Zimmertheater selbst lebt: "lebendiges Reagieren auf Veränderungen".