Im Landgericht Rottweil läuft die Verhandlung nach dem Wilflinger Mord. Foto: Schickle

Am Mittwoch geht es um seelische Gesundheit des Angeklagten. Er soll sich nicht mehr an alles erinnern.

Kreis Rottweil - Neun Schüsse, einer geht daneben, acht treffen das Opfer und fünf sind tödlich: Ein medizinischer Sachverständiger hat gestern im Landgericht Rottweil die letzten Minuten im Leben des Wilflingers Hanspeter Wilhelm nachgezeichnet. Vor der Ersten Schwurgerichtskammer muss sich der 39-jährige Nachbar des Getöteten wegen heimtückischen Mordes verantworten.

Der vierte Verhandlungstag endet mit dem traurigen Finale des rund zwei Jahre lang schwelenden Nachbarschaftsstreits in dem Wellendinger Ortsteil. Dem Moment, als Y. seine Pistole aus dem Tresor holt und auf seinen Nachbarn losgeht. Die beiden Familien bewohnen zwei Doppelhaushälften. Die räumliche Nähe sorgt für viele Differenzen – es geht um Umbaumaßnahmen und das Überfahrtsrecht. Am 15. Juli 2013 gipfeln die Streitigkeiten in den Moment, als Y. abdrückt, vermutlich von einem Gerüst aus.

Zwei Schüsse fallen vor dem Haus des Opfers, einer geht daneben. Der Getroffene flüchtet ins Gebäude, der Schütze verfolgt ihn durch Flur und Küche ins Esszimmer. Dann folgt wohl ein Schuss, der das Opfer von hinten trifft. Der 43-Jährige geht zu Boden – und der Schütze kommt näher und feuert weiter. Die Treffer in den Rumpf verlaufen in nahezu gleicher Richtung, erklärt der medizinische Sachverständige. "Da war keine große Bewegung mehr vorhanden."

Auf Nachfrage des Vorsitzenden Richters, Karlheinz Münzer, meint er, als das Opfer erst einmal zum Liegen gekommen sei, sei es nicht mehr lange bei Bewusstsein gewesen, vielleicht eine Minute. Der mögliche Tathergang, den der Mediziner erläutert, ist erschreckend. Was ist das für ein Mensch, der seinen Nachbarn in dessen Haus verfolgt und dann erschießt? Der Angeklagte erinnert sich nach eigenen Angaben nicht mehr an die entscheidenden Minuten an jenem 15. Juli.

Gestern versuchte das Gericht einmal mehr, einen Einblick in seine Persönlichkeit zu bekommen. Dass Y. und Wilhelm immer wieder aneinandergeraten waren, schildern etliche Zeugen. Auch an den Handwerkern, die an beiden Doppelhaushälften zu tun hatten, gehen die Streitereien nicht vorbei. "Da gab’s Grenzstreitigkeiten", sagt ein Zimmerermeister aus, der das Dach der Wilhelms gerichtet hat. Der Angeklagte habe sich darüber mokiert, dass seine Mitarbeiter über sein Grundstück gelaufen seien. Wilhelm habe er als "ruhigen, besonnenen Menschen kennengelernt", Y. dagegen als "leicht aufbrausend".

Beim Einbau eines Garagentors in die Scheune des Opfers habe der Angeklagte "voll angefangen abzudrehen", berichtet ein anderer. Und mit dem Zimmermann, der das Dach der Familie Y. gedeckt hatte, landete dieser wegen Reibereien vor Gericht.

Der Vorbesitzer des Wilhelm-Hauses hingegen sagt aus, Streitigkeiten wegen der Überfahrt habe er mit Y. nie gehabt. Er habe auch nicht gehört, dass dieser je laut geworden sei.

Bei der Fortsetzung der Verhandlung am morgigen Mittwoch wird die Kammer versuchen, weitere Einblicke ins Innenleben des Angeklagten zu erhalten. Dessen seelische Gesundheit steht im Mittelpunkt, wenn unter anderem die Psychiaterin des Täters, er war bereits 2005 und 2012/13 bei ihr in Behandlung, und ein psychiatrischer Gutachter aussagen.

Gestern kommt bereits Y.s Frau zu Wort. Als sie vom Landratsamt den Bescheid bekommen hatte, dass ihr Mann wegen Depressionen zu 50 Prozent als schwerbehindert gilt, hatte sie die Psychiaterin kontaktiert – weil er als Mitglied eines Schützenvereins Waffen zu Hause hat. Im Jahr 2008, beim Ausfüllen eines Antrags für die Waffenbehörde, war sie allerdings noch nicht über die Depressionen ihres Mannes gestolpert: Sie setzte ein Kreuz bei "Ich bin nicht psychisch krank".