Kreisverbandsvorsitzender Klaus-Dieter Thiel begrüßte die rund 100 Mittelständler aus der weiten Region sowie die Redner Christoph Münzer (Zweiter von rechts), Martin Herrenknecht (daneben) und den CDU-Europaabgeordneten Andreas Schwab (Sechster von rechts) im Testturm. Fotos: Team Graner Foto: Schwarzwälder Bote

Wirtschaft: Bei Treffen zum Thema Europa im Rottweiler Testturm redet Martin Herrenknecht Tacheles

Der Konferenzraum auf 220 Metern Höhe im Testturm hat inzwischen schon einiges erlebt. Ob darin aber schon einmal derart "Tacheles" geredet wurde, wie beim Besuch von Martin Herrenknecht, ist fraglich. Der Weltmarktführer in Sachen Tunnelbohrer sprach vor rund 100 starken Mittelständlern aus der Region zu Europa – und über manch "Hirnverrückten" in der Politik.

Kreis Rottweil. Der Bezirksverband Südbaden und Kreisverband der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU/CSU hatte am Donnerstagabend überparteilich dazu eingeladen, mit drei hochkarätigen Gesprächspartnern die Frage "Quo Vadis, Europa?" näher zu beleuchten und die Forderungen des Mittelstands an die Europapolitik in den Fokus zu rücken. Drängende Themen: "Die "Scheiß-Bürokratie" (Herrenknecht), die drohende Übermacht Chinas und die Regulierungswut der EU, die vieles ausbremse.

Adressat in Sachen Europapolitik war an diesem Abend Andreas Schwab, der "Vertreter des Mittelstands im europäischen Parlament", wie ihn Kreisverbandsvorsitzender Klaus-Dieter Thiel eingangs vorstellte. "Wir hoffen, dass das neue EU-Parlament mehr Führungskraft zeigt", so Thiel. Europa müsse mit einer starken Stimme nach außen agieren, um beispielsweise China die Stirn bieten zu können, gleichzeitig müsse die "Regulierungswut" dringend auf den Prüfstand.

Der Mittelstand habe angesichts seiner starken Rolle nicht nur in Europa, sondern weltweit, ein Anrecht darauf, mehr Gehör zu finden.

Wie stark diese Rolle ist, machte Christoph Münzer deutlich. Als Hauptgeschäftsführer des Wirtschaftsverbands Industrieller Unternehmer Baden (wvib), vertritt er 1031 Unternehmen, die zusammen weltweit 70 Milliarden Euro Umsatz machen. "Die vielen Kleinen sind das Erfolgsmodell von Europa – und von Baden-Württemberg erst recht." Seine Liebe zu Europa sei groß, dennoch gelte es, an vielen Stellschrauben zu drehen. Früher habe die starke D-Mark als "Produktionspeitsche" gewirkt, heute schaue die Welt von außen auf den Euro als brüchiges Konstrukt. Für einen starken Euro müsse aber Stabilität in allen Mitgliedsländern vorherrschen. Vieles könnte gerade für Unternehmer deutlich einfacher vonstatten gehen.

Der Rottweiler Europapolitiker Andreas Schwab bat gleich zu Beginn, mit Europa "fair und gerecht" umzugehen. Europa sei nun einmal nicht perfekt, dazu seien die 28 Mitgliedsstaaten zu unterschiedlich. Dennoch sei es beispielsweise gelungen, in Sachen Digitalisierung vieles auf den Weg zu bringen. Man könne es mit den Großen aufnehmen. Am Beispiel der Datenschutzgrundverordnung – ein Stichwort, bei dem ein Aufstöhnen durch den Saal ging – berichtete er aber auch über die Tücken der Parlamentsarbeit und die notwendigen Kompromisse.

Der "Global Player" rät zur Wertschätzung der Facharbeiter

Bei Martin Herrenknecht kann man sich Kompromisse eher weniger vorstellen. Als "Prototyp des globalen Mittelständlers" stellte Moderator Thorsten Link von Südwestfernsehen den 77-Jährigen Vollblutunternehmer vor. Und der klopfte bei den Zuhörern gleich ab, ob sie denn nun "eine Weihnachtsrede oder Tacheles" hören wollen. Der einhellige Tenor fiel auf Letzteres, und Herrenknecht legte los. Er ordnete, als stetig Weltreisender in Sachen Tunnelbau, die globale Lage ein und ärgerte sich über das oft zu lässige Handeln der EU.

"Griechenland hätte ich rausgeworfen, dann hätten wir jetzt den Brexit nicht", so Herrenknecht. China lasse man viel zu stark agieren und die besagte Sch...-Bürokratie in Deutschland bringt ihn auf die Palme. Ganz zu schweigen vom Dieselfahrverbot, gerade in einer Stadt wie Stuttgart mit Bosch, Daimler, Mercedes und Porsche. Die Verantwortlichen gehörten "alle ins Gefängnis".

Er fordert dringend ein "beschleunigtes Infrastrukturprogramm für Deutschland" und ein schlüssiges Gesamtkonzept, um die Energiewende endlich sinnvoll gestalten zu können. Weil sich Europa langfristig selbst verteidigen müsse, hat Herrenknecht außerdem die Vision von einer europäischen Armee.

Der Unternehmer Herrenknecht präsentierte sich als Mann mit Blick für das große Ganze – aber auch für die kleinen Dinge innerhalb seines Schwanauer Unternehmens. So weiß er genau, dass zwei seiner Mitarbeiter, die er aus Spanien geholt hat, inzwischen vor Ort geheiratet haben. "Da gibt’s jetzt keine sprachlichen Probleme mehr", schmunzelte er. Und er riet dringend dazu, "für die Facharbeiter zu fighten und sie wertzuschätzen". Irgendwann werde es dazu kommen, dass Facharbeiter und Meister mehr verdienen als der Techniker. Diese Lohngruppe müsse steuerlich entlastet werden.

Eine interessante und engagierte Diskussion, in der aktuelle Themen wie die Arbeitszeitregelung (Münzer: "Ein Rückschritt. Da gruselt es mich") schloss sich an, bevor die Bezirksvorsitzende Ruth Baumann die Quintessenz der Wortbeiträge für die Gäste zusammenfasste. Musik des "Gepflegten Gebläses" umrahmte den Abend.

Und natürlich hatte Turmmanagerin Beate Höhnle die Chance genutzt, den Gästen das Wunderwerk Thyssenkrupp-Testturm, die rasante Gleitschalungsbauweise bis hinauf auf 246 Meter Höhe und die Forschungs- und Entwicklungsarbeit am neuen Aufzugssystem Multi in darzulegen. Auch "Global Player" Martin Herrenknecht hörte da ganz aufmerksam zu.