Justitia: Eine Verhandlung vor dem Amtsgericht mit gewissem Unterhaltungswert

Rottweil. Freispruch. Der angeklagte 65-jährige Arzt aus Singen, der sich vor dem Amtsgericht wegen des unerlaubten Entfernens vom Tatort zu verantworten hat, darf mit seinem Verteidiger mit weißer Weste Richtung Süden fahren. Dennoch hat die Fortsetzung der Verhandlung mehr zu bieten als nur den Freispruch.

Wie berichtet, hat das Auto des Angeklagten am Abend des 13. Juli 2019 ein anderes Fahrzeug beim Ausparken auf dem Parkplatz vor der Stadthalle nachhaltig touchiert. Der Fahrer hat sich nicht nachhaltig um diesen Schaden gekümmert und ist davongefahren. Zwei junge Zeugen meldeten den Vorfall jedoch bei der Polizei.

Der Angeklagte berichtete, dass er zu diesem fraglichen Zeitpunkt gar nicht mehr in Rottweil gewesen sei. Er sei mit dem Zug nach Singen gefahren, um einem Patienten zu helfen. Ihn zum Bahnhof gefahren habe ein Bekannter, etwa zehn Jahre älter, und die ortskundige Abiturientin, die deshalb die Abiturfeier in der Stadthalle extra verlassen habe.

Die Fortsetzung der Verhandlung dient dazu, die junge Frau zu hören. Gestartet wird ebenso ein Versuch, besagten Bekannten zu visualisieren. Beide Vorhaben haben ihren Reiz.

Kein Kontakt zur Schweiz

Der Versuch, Kontakt mit der Frau aufzunehmen, scheitert. Wie der Angeklagte auf Nachfrage der Richterin berichtet, sei sie derzeit in der Schweiz. Sie möchte in Zürich oder in Lausanne studieren. So habe er von ihrer Großmutter erfahren. Eine Mobilfunknummer funktioniere nicht über die Landesgrenze hinweg.

Immerhin, so der Angeklagte, wohne ihre Mutter im Kanton Zürich. Er gibt der Richterin, die ihn daran erinnert, dass es doch in seinem Interesse sei, besagte Zeugin zu hören, deren Telefonnummer. Versuche des Gerichts, Kontakt mit der Mutter aufzunehmen, scheitern. Mit dem Festnetz vom Büro aus lautet die Antwort: "Falsche Nummer", mit dem Handy: "Momentan nicht erreichbar".

Ein aktuelles Foto des Bekannten, der gefahren sei, bekommt das Gericht nicht zu sehen. Immerhin findet der Angeklagte auf seinem Handy ein Bild des Mannes, das etwa 20 Jahre alt sei. Groß verändert habe er sich nicht. Vielleicht habe er etwas an Gewicht zugelegt.

Hauptsächlich interessiert die Haartracht. Beide Zeugen hatten ausgesagt, dass ein älterer Mann mit weiß-grauem Haar beim Ausparken gefahren sei. Ein Kennzeichen, das auf den Angeklagten zutrifft. Und ebenso auf den Bekannten zutreffen kann, der möglicherweise in Übersee weilt.

Weil sich der Sachverhalt, wie in der Anklageschrift dargelegt, bei der Beweisaufnahme nicht bestätigt, beantragt der Staatsanwalt Freispruch. Das Gericht wertet außerdem die Aussage des Patienten, am ersten Tag der Verhandlung getätigt, als glaubhaft.

Als die Richterin in ihrer Urteilsbegründung auf die junge Frau, die in der Schweiz sei, zu sprechen kommt, klingelt das Handy des Angeklagten. Ein Anruf. Es dauert seine Zeit, bis er es stumm stellen kann. Aber ein weiteres Puzzlesteinchen, um aus einer "normalen" Verhandlung eine mit einem gewissen Unterhaltungswert zu machen.

Der Verteidiger bezeichnet am Rande der Verhandlung Rottweil als eine schöne Stadt, die er gerne besuche. Und es innerhalb einer Woche zweimal dienstlich tun musste. Da die Kosten des Verfahrens die Staatskasse trägt, besteht nun die Chance, dass er eine rundum ungetrübte Erinnerung an sie behält.