Besichtigungsfahrt: Am Tag der Architektur lernen Besucher nicht nur zur Baukunst
Das Motto des diesjährigen Tags der Architektur ist Programm – nicht nur an diesem deutschlandweit begangenen Tag: "Architektur schafft Lebensqualität". Wie das funktioniert, erleben die Teilnehmer der Besichtigungsfahrten.
Kreis Rottweil. Es ist nicht mehr so heiß wie am Freitag, dennoch meldet sich am Samstag hochsommerliches Wetter zurück. Die Kammergruppe Rottweil-Tuttlingen der Architektenkammer Baden-Württemberg ist in diesem Jahr im Landkreis Rottweil unterwegs. Der Besuchsplan umfasst vier Ziele. Und es sind nicht unbedingt typische Anlaufstationen für die 17 Reisenden um den Vorsitzenden Rolf Messmer, der bei der Begrüßung darauf hinweist, dass die jährlichen Leitmotive natürlich einigen Spielraum auch für die Programmgestaltung ließen. Doch nicht immer gibt es die Gelegenheit, wirklich spannende Objekte aus einem breiten Spektrum anbieten zu können. Schließlich müssen nicht nur Bauherren beziehungsweise Nutzer und Architekten mitziehen, ihre Räume öffnen, auch für kritische Fragen zur Verfügung stehen.
Werken und lernen mit Blick ins Grüne
Schon die erste Station ist für viele Teilnehmer eine besonderes Erlebnis. Qualität des Entwurfs und der Bau des Fachklassentraktes der Maximilian-Kolbe-Schule in Hausen beeindrucken. Architektin Dagmar Kaiser gibt einen Überblick über den gewachsenen Gebäudekomplex der Schule, die in privater Trägerschaft nach dem "Marchtaler Plan" unterrichtet. Dass – neben den teilweise ebenfalls ausgezeichneten Bauten der vergangenen Jahrzehnte – ausgerechnet dem Fachklassentrakt mit seinen großzügigen Werkräumen, einem Maschinenraum, einer auch extern genutzten Lehrküche, einem Raum, in dem auch textiles Werken unterrichtet werden kann, einem Lager und einem Lehrerstützpunkt so viel Aufmerksamkeit zufällt, begründet Ute Brenner von der Schulleitung mit dem Angebot der Schule und den Inhalten des Marchtaler Plans. Diese sorgen für einige Diskussion. Das Gebäude mit seinen raumhohen Glaswänden, nach außen, die den Außenbereich nicht nur optisch hereinholt, sondern über die Möglichkeit, jedes zweite Feld zu öffnen, das Grün tatsächlich erreichbar macht.
Viele Wege führen durch den Garten zur Linde
Grün ist auch ein Stichwort für die nächste Station, zu der die Gruppe mit bereits 20 Minuten Verspätung aufbricht. Die beiden Herren, die bald warten werden, haben freilich einen idealen Platz: Landschaftsarchitekt Hans-Jörg Wöhrle und Schiltachs Bürgermeister Thomas Haas wollen den Gästen den seit 2008 geplanten neuen Stadtgarten westlich der beeindruckenden evangelischen Kirche zeigen. Am Freitagnachmittag hat Haas übrigens beschlossen, den Reisenden mit kühlen Getränken bei Bedarf wieder auf die Sprünge zu helfen – ein Angebot, das tags darauf im Schatten der gewaltigen Linde gerne angenommen wird. Der Bürgermeister schildert die Entwicklung des Platzes, die auch mit der Veränderung der touristischen Nachfrage zu tun hat. Die Aufgabe eines sanierungsbedürftigen Musikpavillons hat Platz für einen Garten mit dem Orientierungspunkt Linde – beziehungsweise der Achse zwischen Linde und Kirchturmportal – geschaffen, den Wöhrles Büro in mehrere unterschiedliche gestaltete Ebenen, inklusive einer Terrasse nach Norden, gliedert. Wege und Aufenthaltsflächen sind aus heimischem Buntsandstein in unterschiedlichen Konfektionierungen, der Platz unter der Linde ist auch für Veranstaltungen nutzbar.
Transparenz hilft Präzision entwickeln
Das japanische Unternehmen Mitutoyo steht für Messzeuge. Die Software für die großen 3-D-Messmaschinen stammt von der Tochter Mitutoyo CTL Germany mit Sitz in Oberndorf. Weshalb das so ist, erfahren die Besucher von Geschäftsführer Hans-Peter Klein nebenbei. Eine durchaus charmante Geschichte, doch Thema ist das 2015 erbaute neue Gebäude für gut 51 Mitarbeiter. Architektin Sabine Schneider führt die Architektur-Touristen durch ein lichtes Gebäude mit klaren Strukturen und viel Transparenz. Flurbereiche können für Besprechungen genutzt werden. Die Topografie des Grundstücks, eigentlich eher ungünstig, für den Geschäftsführer aber reizvoller als es eine Alternative gewesen wäre, ist für das Handling im Bereich Maschinen/Messraum genutzt. Der Aufenthaltsraum bietet mit seiner Verglasung Ausblick auf Außenbereich und Terrasse, die großzügig gestaltet ist. Besonderes Augenmerk gilt der Fassade, deren seriell durchbrochenen und aufgekanteten Metallpaneele auch aus der Entfernung besondere Effekte erzeugen, und je nach Lichteinfall mal silbern glänzend, mal matt weiß scheinen.
Buntes Leben in einem großen historischen Bau
Als die Gruppe die Jugendherberge in Rottweil erreicht, ist der Zeitplan ein wenig aus den Fugen. Die Eindrücke von Raum- und Strukturvorstellungen, Gespräche über Gestaltung, Geschichte und Funktion wollen die Teilnehmer allerdings nicht missen, So ist Martin Cleffmann mit seinem Abendtermin doch ein bisschen unter Druck, allerdings nimmt sich der Architekt Zeit, die Besonderheiten der Renovierung und der Umwandlung eines Klosterbaus aus dem frühen 18. Jahrhundert, das seit dem 19. Jahrhundert Amtsgebäude und zuletzt Polizeidirektion war, in eine moderne Jugendherberge zu erläutern. Vor allem auf den verglasten Eingangsbereich mit seinem Treppenturm – fast schon eine Plastik – und die Ablesbarkeit der historischen Raumstruktur längs der Korridore, akzentuiert durch vorgesetzte, beleuchtete Türen, legt er das Augenmerk. Und natürlich die Besonderheiten, die Umnutzung und Umbau eines solch großen historischen Gebäudes mit sich bringen. "Herbergsvater" Rainer Müller führt die Besucher durch das Gebäude, zeigt exemplarisch großzügige Schlafräume aber auch Besprechungs- oder Proberäume – die Jugendherberge mit ihren 135 Betten hat sich längst als Ziel auch für Probenwochenenden etabliert. Weiteren Zulauf für die gut frequentierte Jugendherberge verspricht sich Müller vom Thyssen-Krupp-Aufzugstestturm und der Hängebrücke.