Am Abgrund: Ungesichert und in Turnschuhen spazieren die "Grave Yard Kidz" auf dem Kranausleger entlang – die Kamera immer dabei. Foto: Screenshots: youtube

Unfassbar: Zwei Jugendliche filmen sich in 256 Metern Höhe auf dem Baukran am Test-Turm. Video lässt Atem stocken. Mit Kommentar.

Rottweil - Man hält beim Zusehen unweigerlich die Luft an: Zwei vermummte Jugendliche erklimmen in der Dämmerung den 256 Meter hohen Kran am Thyssen-Krupp-Aufzugstestturm, stehen freihändig auf den Kranauslieger, posieren in die Kamera.

Das Video der illegalen Aktion ist gestern auf "Youtube" aufgetaucht – und beschäftigt jetzt die Polizei. Während wegen Hausfriedensbruchs ermittelt wird, staunt die Internet-Gemeinde über die waghalsige – um nicht zu sagen lebensmüde – Kletterei der beiden Unbekannten. Das rund fünf Minuten lange Video verbreitet sich wie ein Lauffeuer. Die Macher sind Profis: Sie nennen sich "Grave Yard Kidz", stammen aus Süddeutschland und lieben es, wie sie auf Englisch erklären, auf "ziemlich hohe Dinge" zu klettern – und dabei spektakuläre Videos zu drehen.

Bauleiter ist fassungslos

Dafür nehmen sie ein irres Risiko in Kauf, wie das aktuelle Video vom Thyssen-Krupp-Turm in Rottweil zeigt. Komplett ungesichert, in Turnschuhen, die Gesichter mit Tüchern vermummt, klettern die beiden Unbekannten Schritt für Schritt den 256 Meter hohen Baukran hoch. Die Mini-Kamera zeigt, wie sie ganz oben nicht nur in die Kabine des Kranführers sitzen, sondern auch den Ausleger entlang klettern. Einer der beiden hält die Kamera an einer Teleskopstange, der andere steht freihändig daneben – maskiert schauen sie in die Kamera. Posing für den Internetruhm. Unter ihnen ist der Aufzugstestturm zu sehen, die Baustelle am Boden verschwimmt in der Tiefe. Nichts für schwache Nerven.

Klaus Strohmeier, Bauleiter der Firma Züblin, ist fassungslos angesichts der Aufnahmen. Man habe erst durch Auftauchen des Videos von dem Vorfall erfahren, an der Baustelle selbst sei nichts aufgefallen. Im Team ist man schockiert. "Die sind verrückt und lebensmüde – es ist absolut nicht nachvollziehbar, wie man sich so in Lebensgefahr bringen kann", sagt Strohmeier. Tagtäglich ergreife man auf der Baustelle zahlreiche Sicherheitsmaßnahmen, damit niemand zu Schaden kommt – und dann so etwas. Strohmeier vermutet, dass die Kletterer am frühen Sonntagmorgen zugange waren. Auf die illegale Aktion werde man nun natürlich reagieren. Zusätzlich zur bestehenden Baustellenabsperrung werde man weitere Sicherungsmaßnahmen direkt am Kran installieren. "Wir tüfteln momentan daran", so der Bauleiter. Auffälligkeiten oder Beschädigungen am Kran wurden bislang nicht festgestellt.

Die Polizei war gestern vor Ort auf dem Berner Feld und ermittelt wegen Hausfriedensbruchs. Man gehe von der Echtheit des Videos aus, das die zwei jungen Männer bei ihrer riskanten Kletter-Aktion zeige, so ein Sprecher der Polizei. Die Baufirma hat Strafanzeige gestellt.

Sicherheit wird überprüft

Für die anonymen "Grave Yard Kids" dürfte es nicht das erste Mal sein, dass die Polizei gegen sie ermittelt. Etliche weitere Kräne, Radio-Sendemasten und Windräder hat die Gruppe schon bestiegen und die Videos ins Internet gestellt. "Roofing" nennt sich das gefährliche Hobby, für das es eine ganze Szene gibt. "Bin vor 2 Wochen an dem Ding vorbeigefahren auf der A81. Dachte... gleich, dass das der höchste Kran ist, den ich gesehen hab und wollte auch drauf und jetzt wart ihr oben, das gibts nicht", schreibt ein "Roofer" unter das Video aus Rottweil. "Danke. Ich wusste, ihr macht es", schreibt ein weiterer. "Wahnsinn", "Unnormal geil". Neben solchen Kommentaren ärgern sich aber auch manche: "Es gibt Leute die Tag für Tag ums Leben kämpfen müssen, die leben wollen und die? Die sind so unendlich leichtsinnig!"

Wie kann Thyssen Krupp Elevator weitere solcher Aktionen an dem inzwischen über Deutschland hinaus bekannten Bauwerk verhindern? "Wir analysieren derzeit gemeinsam mit Züblin als ausführendem Bauunternehmen, wie es zu der Aktion kommen konnte und werden dann entsprechende Maßnahmen einleiten", heißt es in einer Stellungnahme des Unternehmens. Sicherheit habe oberste Priorität. Man warne "dringend vor Nachahmung."

Das Video wird derweil weiter seine Kreise ziehen. Bleibt zu hoffen, dass Rottweil in der Szene nicht allzu großen Ruhm erlangt. Ganz neue "Fans" des Turms schreiben auf "Youtube" jetzt sogar schon Grüße aus Brasilien.

Hier ist das waghalsige Video:

Instagram-Bilder von der Kletteraktion:

Kommentar: Schattenseite

Von Corinne Otto

Zwei Jugendliche klettern für spektakuläre Videoaufnahmen und den ganz besonderen Kick mal eben auf den Thyssen-Krupp-Aufzugstestturm. Posieren auf dem Kran in 256 Metern Höhe, in absoluter Lebensgefahr. Im Internet ist das ein Hit – für alle, die das Projekt Aufzugstestturm bis hierhin gebracht haben, ist es ein absoluter Albtraum. Mit Offenheit will man die Menschen seit Baubeginn mitnehmen und teilhaben lassen am Rottweiler Großprojekt. Die Besucherplattform lässt die Menschen ganz nah ran ans Geschehen. Jetzt ist die Grenze überschritten. Muss die Baustelle nun doch zum »Hochsicherheitstrakt« werden? Das sicher nicht, doch wenn Rottweil mit seinem Turm in den positiven Schlagzeilen bleiben will, müssen weitere, strenge Sicherheitsmaßnahmen her. Das gilt auch für die Zeit nach dem Bau. Der Turm wird viele anlocken – auch Spinner.