Üben für den Ernstfall: Wie kommt ein Patient, der sich mit dem Corona-Virus infiziert hat, sicher für alle Beteiligten ins CT? Das ist nur eine der vielen Fragestellungen, die derzeit mit den Teams in der Helios Klinik Rottweil geübt werden. Im Bild Ärzte, Pflegekräfte und Mitarbeiterinnen des Radiologischen Zentrums Rottweil zusammen mit Hygienefachkraft Susanne Bosch (zweite von rechts) bei der Übung. Foto: Radiologisches Zentrum Rottweil/Helios-Klinik

Infektiologe an der Helios Klinik Rottweil berichtet über Maßnahmen. Erst Impfstoff wird die Lage entspannen.

Rottweil - Wolfgang Heinz ist seit Anfang Februar Chefarzt in der Helios Klinik Rottweil. Derzeit ist das Fachwissen des erfahrenen Gastroenterologen in ganz spezieller Weise gefragt: Heinz ist als Infektiologe auch Experte in puncto Infektionskrankheiten. Wir haben mit ihm über seine Einschätzung zum Coronavirus und die mit der Pandemie einhergehenden Herausforderungen für die Kliniken gesprochen.

Herr Heinz, wie stellt sich die Situation momentan in Ihrer Klinik dar? Welche Maßnahmen werden eingeleitet, um der erwarteten hohen Zahl von Infektionen begegnen zu können - gerade in ländlichen Gebieten mit oft kleineren Krankenhäusern?

Schon seit zwei Wochen sind wir dabei, das Krankenhaus Schritt für Schritt auf die im Zusammenhang mit der Corona-Krise zu erwartenden Herausforderungen vorzubereiten. Das hat bisher sehr gut geklappt. Noch bevor der erste COVID-19 Patient am Aschermittwoch aufgenommen wurde, hatten wir bereits eine Isolierstation mit Ablaufplänen etabliert.

Ein kleines Gremium trifft sich täglich, um die aktuelle Lage im Krankenhaus zu beurteilen, um zu besprechen, was sich in den letzten 24 Stunden an Veränderungen ergeben hat, welche neuen Erkenntnisse es gibt auf die man reagieren muss, und so weiter.

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Aktuell haben wir die Kapazität der Isolierstation auf 19 Betten erweitert, wir haben festgelegt, wo wir intensivpflichtige COVID-19 Patienten therapieren und wo nicht SARS-CoV-2 infizierte Intensivpatienten behandelt werden. Wir planen, wie wir die Teams im Ernstfall zusammenstellen, um den Krankenhausbetrieb rund um die Uhr aufrechtzuerhalten.

Für die Mitarbeiter werden zwei Informationsveranstaltungen pro Woche angeboten, bei der sie alle Fragen stellen können. Wo es sinnvoll ist, werden ganze Abläufe im Team trainiert. Ein Beispiel dafür: Wie wird ein COVID-19 Patient für eine CT-Untersuchung vorbereitet, und was gilt es dabei zu beachten.

Die Sorge der Mitarbeiter, sich an einem Patienten anzustecken, ist immer wieder ein Thema, das wir offen angehen. Mitarbeiter, die bestimmten Risikogruppen zuzuordnen sind, setzen wir in Bereichen ein, wo sie möglichst nicht mit COVID-19 Patienten in Berührung kommen.

Neben diesen eher "technischen Vorbereitungen" beobachte ich in den letzten Tagen, wie das ganze Krankenhaus eng zusammenwächst. Alle sind bemüht, Abläufe zu optimieren, bieten ihre Unterstützung an und haben gute und kreative Problemlösungen parat. Wir sind überzeugt, dass wir hier im Rottweiler Krankenhaus gut für unsere Patienten sorgen können - sofern die Zahl der Schwerstkranken nicht extrem hoch sein wird.

Manche Menschen gehen immer noch recht sorglos mit dem Thema Coronavirus um - Stichwort Corona-Partys - oder halten die ergriffenen Maßnahmen für übertrieben. Was sagen Sie ihnen?

Aktuell haben wir dem neuartigen Coronavirus nichts außer unserem eigenen Immunsystem entgegenzusetzten. Die meisten Menschen bekommen die Infektion gut in den Griff, ein kleiner Teil aber nicht. Da das Virus so ansteckend ist, infiziert sich der größte Teil der Bevölkerung. Deshalb ist der ›kleine Teil‹ zahlenmäßig dann aber doch so groß, dass unser Gesundheitssystem kollabiert. Also müssen wir alles versuchen, um die Zahl der Infizierten so gering wie möglich zu halten.

Ideal wäre ein gleichmäßiger Ablauf, das heißt, wir können pro Zeiteinheit mindestens so viele, die die Infektion überstanden haben, entlassen, wie neu erkrankte Patienten aufgenommen werden. Doch das ist überhaupt nicht der Fall, denn die Zahl der Infizierten steigt rasend schnell an. Und in der Folge mit zwei bis drei Wochen Verzögerung dann eben auch die Zahl der Schwerkranken. Selbst die "Unverbesserlichen", die alles nur für eine Hysterie halten, müssen wissen, dass für sie im Extremfall möglicherweise keine Krankenhauskapazität mehr vorhanden ist, wenn es um ganz alltägliche Erkrankungen geht - sei es die OP einer Tumorerkrankung, Herzinfarkt oder ähnliches. Und zwar nicht nur hier in Rottweil. Sondern in allen Krankenhäusern.

Unser Hauptinteresse muss es sein, dass unser Gesundheitssystem funktioniert - doch dafür müssen alle gemeinsam möglichst viel tun. Eine gewisse Zeit auf Party-Events zu verzichten, ist meiner Meinung nach wirklich kein Problem. Ich würde es so zusammenfassen: Lieber jetzt auf Partys verzichten, damit später noch alle da sind, mit denen man gerne feiert.

Kann ich mich auch im Supermarkt anstecken?

Ja, das Virus wird durch feine Tröpfchen in der Luft übertragen. Niest ein Infizierter, dann stößt er eine Art "unsichtbare Nebelwolke" aus, die viele Viren enthält. Atmet eine andere Person dieses Aerosol mit den Viren ein, kann sie sich auf diese Weise infizieren. Das passiert umso leichter, je dichter die Menschen nebeneinander sind. Theoretisch kann das Virus auch auf Oberflächen sitzen und durch Berührung auf die Hände und dann weiter in den Mund gelangen. Dieser Infektionsweg ist aber sicher viel seltener, da sich so nur schwer die benötigte große Virusmenge übertragen lässt, die für ein Angehen der Infektion nötig ist. Außerdem: Mit Händewaschen und "nicht mit den Händen ins Gesicht fassen" ist man diesbezüglich auf der sicheren Seite.

Ihre Sorge gilt vor allem den älteren Menschen. Was ist die Problematik bei diesem Virus in Bezug auf diese Altersgruppe? Wie können sich gerade die Älteren schützen? Und können sich Jüngere wirklich in Sicherheit wiegen, wie es vielfach den Anschein hat?

Generell verfügen ältere Menschen über weniger körperliche Reserven. Denn Altern bedeutet, dass die Leistungsfähigkeit der Organsysteme abnimmt. Vorerkrankungen verschlechtern die Lage zusätzlich. Eine schwer verlaufende SARS-CoV-2 Infektion bedeutet nicht, dass "nur" die Lunge angegriffen wird. Der gesamte Organismus kommt in eine eventuell lebensbedrohliche Stresssituation. Die Organsysteme werden weit über das normale Maß beansprucht, und alle verfügbaren Reserven müssen mobilisiert werden. Und da haben ältere Menschen weniger Spielraum. Jüngere Menschen sind da besser aufgestellt. Der Anteil schwer verlaufender Erkrankungen und die Todesrate sind natürlich geringer, aber nicht null. Außerdem bedeutet eine überstandene COVID-19 Erkrankung keinesfalls, dass alles wieder in Ordnung ist. Man weiß noch nicht, wie die Langzeitfolgen schwer Erkrankter etwa bezüglich der Lungenfunktion sind. Es sieht so aus, dass – auch bei jüngeren Patienten– eine längerfristige oder gar chronische Einschränkung der Lungenfunktion auftreten kann.

Vielfach wird das Argument angeführt, dass ja auch die Influenza Jahr für Jahr viele Todesopfer fordert. Wie sieht das denn im Vergleich aus?

Es stimmt, dass die Influenza jedes Jahr viele Todesopfer fordert. Nach den aktuellen Zahlen und den prognostizierten Hochrechnungen dürfte das Virus SARS-CoV-2 aber in vielen Disziplinen gefährlicher sein - unter anderem bezüglich Ansteckungsfähigkeit und Todesfallzahl. Ich halte aber von solchen Vergleichsversuchen nichts. Das Problem mit dem neuartigen Coronavirus ist der bevorstehende massive Anstieg schwerst Erkrankter, der zum Kollaps der Gesundheitssysteme führen kann. Das macht die Situation so ernst.

Was lässt sich aktuell gegen das Coronavirus machen? Wie werden die Patienten behandelt?

Aktuell besteht die Therapie in sogenannten supportiven Maßnahmen. Man therapiert gegen Symptome mit fiebersenkenden Mittel, Schmerzmittel und ähnlichem. Wenn es zum Organausfall kommt, beispielsweise der Lunge, versuchen wir, durch Sauerstoffgabe bis hin zur maschinellen Beatmung die Versorgung des Körpers mit Sauerstoff zu gewährleisten. In Einzelfällen gibt es in spezialisierten Zentren auch noch Geräte, die das Blut außerhalb des Körpers mit Sauerstoff anreichern können, bis die Lungenfunktion der Patienten wieder anspringt.

Es werden momentan verschiedene Medikamente auf ihre Wirksamkeit untersucht, doch bisher liegen noch nicht ausreichend Daten vor, die für eine Therapieempfehlung oder den routinemäßigen Einsatz ausreichen. In der momentanen Situation ist auch nicht damit zu rechnen, dass zeitnah Ergebnisse von klassischen kontrollierten wissenschaftlich Studien über wirksame Medikamente vorliegen. Es handelt sich eher um Beobachtungsstudien. Bei der Interpretation der Ergebnisse muss man vorsichtig sein, da eine COVID-19 Infektion grob gesagt aus zwei Phasen besteht: Phase eins umfasst die Schädigung des Körpers durch das Virus selbst, das für seine Vermehrung quasi Körperzellen benutzt und dabei zerstört. Die zweite Phase der Schädigung kommt dann aber durch die Immunantwort des Körpers selbst: Er bekämpft das Virus mit vielen Mechanismen und verursacht dabei leider einen Kollateralschaden an eigenen Strukturen.

Wiederum grob gesagt gibt es auch zwei Medikamentengruppen: einmal Substanzen, die die Virusvermehrung oder das Eindringen des Virus in die Zellen behindern, und andere, die die Immunantwort des Körpers bremsen. Teste ich jetzt zum Beispiel ein Medikament, das die Virusvermehrung behindert, bei Patienten, die schon weiter fortgeschritten erkrankt sind, dann werde ich feststellen, dass das Medikament nicht wirkt. Wäre es frühzeitig gegeben worden, dann hätte man durchaus einen Effekt gesehen.

Man muss sich die Untersuchungen immer ganz genau ansehen, bevor eventuell falsche Schlussfolgerungen gezogen werden. Ich bin aber davon überzeugt, dass wir in absehbarer Zeit Medikamente an der Hand haben, die den Krankheitsverlauf positiv beeinflussen können. Die Situation wird sich vermutlich erst entspannen, wenn eine breit verfügbare Impfung vorhanden ist. Daran wird weltweit mit Hochdruck gearbeitet. Natürlich kommt einem sofort die Frage in den Kopf: Wann wird das sein? Ich weiß es auch nicht – aus dem Bauch heraus geschätzt: Wenn es sehr gut läuft, vielleicht noch dieses Jahr.

Was machen Sie, wenn tatsächlich Klinikpersonal erkrankt?

Erkrankte Mitarbeiter werden nicht im Krankenhaus arbeiten, das ist nichts Neues, denn wer krank ist, bleibt daheim. Die Frage ist, was wir mit positiv getesteten Mitarbeitern ohne Krankheitssymptome machen. Die werden bisher noch nach Hause in häusliche Isolation geschickt. Das Vorgehen kann sich aber schnell ändern, wenn wir einen zunehmenden Mangel an einsatzfähigen Mitarbeitern bekommen sollten.

Glauben Sie, dass die Ausgangsbeschränkungen oder gar eine Ausgangssperre angemessen sind?

Ja. In ganz kurzer Zeit, wenn wir auch in Deutschland sehr viele Patienten haben und an manchen Stellen "überlaufen", sollten wir nicht das Gefühl haben, man hätte etwas versäumt, um die Situation abzumildern.

Wie lange bestimmt Corona noch unseren Alltag?

Bis es einen Impfstoff für die Bevölkerung gibt. Solange wird uns das Virus beschäftigen. Ein Szenario, das ich mir gut vorstellen kann, ist, dass die derzeitigen Einschränkungen nach bestimmten Zeitintervallen, wenn die Rate an Neuinfektionen zurückgegangen ist, wieder gelockert werden. Anschließend wird gemessen, ob die Zahl an Neuinfektionen ansteigt, um dann wiederum Einschränkungen für eine bestimmte Zeit zu erlassen. So könnte man sich bis zum Impfstoff quasi "durchhangeln".