Da sind einem fast die Hände gebunden. Das offizielle Rottweil hält am Esch als Standort für das neue Gefängnis fest, obwohl sich das Projekt auch wegen der schwierigen Lage um bis zu 80 Millionen Euro verteuern wird. Foto: Seeger/dpa

Erneuter Suchlauf wird abgelehnt. Bürgerentscheid hat trotz Kostenexplosion Gültigkeit.

Rottweil - Die Kosten für das neue Gefängnis werden offensichtlich enorm steigen. Von bis zu 80 Millionen Euro Mehrkosten ist bereits die Rede. Wir fragten Gemeinderäte und Oberbürgermeister Ralf Broß, wie sie dazustehen. Ist der Standort Esch politisch noch vertretbar?

Im folgenden die einzelnen Stellungnahmen, wenn möglich in ihrem Gesamtumfang:

 Oberbürgermeister Ralf Broß äußert sich auf Anfrage: "Die spezifischen Kostenfaktoren, die auf den Standort Esch zurückzuführen sind, waren bereits zum Zeitpunkt der Ausschreibung im Juli 2017 bekannt. Welche Gründe nun zu einer Kostensteigerung während des Wettbewerbs geführt haben, sind uns nicht bekannt. Deswegen können wir dazu auch keine Einschätzung abgeben. Dies ist Aufgabe des Landes Baden-Württemberg als Bauherr." Das Land sollte wie bisher im Verfahren zur JVA Rottweil offen und transparent über die Gründe informieren, rät der OB. Er meint auch, dass das Land unbedingt am Standort festhalten sollte: "Zum einen ist der Standort durch einen Bürgerentscheid und große Mehrheit im Gemeinderat legitimiert. Zum anderen ist es angesichts aktueller Überbelegungen und aufgrund von verfassungsrechtlichen Vorgaben dringend notwendig, zeitgemäße Haftplätze zu errichten."

OB Broß betont, dass er am Standort Esch festhalte: "Die Bürgerschaft und der Gemeinderat von Rottweil haben sich mit deutlicher Mehrheit für den Standort ausgesprochen. Es gibt keine Notwendigkeit, über einen neuen Suchlauf nachzudenken. Wir haben einen Standort. Ein neuer Suchlauf würde viel Zeit und Geld kosten und der Ausgang wäre ungewiss."

 Günter Posselt, Vorsitzender der CDU-Fraktion, sagt unserer Zeitung: "Ob die jetzt berichtete Kostensteigerung mit der konkreten Standortwahl zusammenhängt, entzieht sich meiner Kenntnis. Ich könnte dies erst dann beurteilen, wenn ich wüsste, auf welcher Grundlage die ursprünglich angesetzten Kosten ermittelt wurden und welche Kosten für ein vergleichbares Projekt an einem anderen Standort entstehen würden. Keinesfalls kann ich mir vorstellen, dass es bislang für die ursprünglichen oder die alternativen Standorte eine detaillierte Kostenermittlung gab, wie dies jetzt für den Standort Esch der Fall ist. Deshalb bin ich auch sehr vorsichtig bei der Bewertung von vermeintlichen Kostensteigerungen."

Wie diese Kosten der Öffentlichkeit zu vermitteln seien? Die zahlreichen und unterschiedlichen Vorstellungen und Wünsche sowohl von Seiten des späteren Nutzers als auch von Seiten der Öffentlichkeit führten letztlich zu einer Lösung, die diesen Vorstellungen im bestmöglichen Sinne gerecht werde. Dabei sei die Kostenfrage nur eine von vielen, so Posselt. "Wir wollen, dass die JVA primär ihre Aufgabe des Justizvollzuges erfüllt. Auf der anderen Seite soll es gerade kein reiner Zweckbau werden, sondern den besonderen Anforderungen an den durchaus nicht unsensiblen Standort gerecht werden. Nur dies führte letztlich auch zu der ausdrücklich ausgesprochenen Akzeptanz in der Bevölkerung", führt der CDU-Vorsitzende aus.

Eindeutig ist seine Antwort auf die Frage, ob der Standort Esch politisch weiterhin zu vertreten sei: "Ganz klar: Ja!" Man sei im Entscheidungs- und Realisierungsprozess für die JVA sehr weit fortgeschritten. "Wir wollen auch nicht von vorne anfangen, sondern den eingeschlagenen – durchaus manchmal auch mühsamen – Weg zu Ende gehen. Allein die Tatsache, dass wir den künftigen Standort für die JVA mit einem klaren Votum in einem Bürgerentscheid politisch so weit voran gebracht haben, stellt einen Wert für sich dar."

Von einem neuerlichen Suchlauf hält Posselt nichts. "Wenn man sieht, wie andere, möglicherweise kostengünstigere Standorte (zum Beispiel ehemaliges Liaporwerk in Tuningen) in der öffentlichen Diskussion und Entscheidung der Bürger abgeschnitten haben, dann muss man feststellen und letztlich auch akzeptieren, dass die Kostenfrage bei einem JVA-Standort nicht die allein entscheidende Fragestellung ist. Die Akzeptanz in der Bevölkerung ist sehr wichtig. Insoweit spielen nicht nur die rein objektiven Standortbedingungen eine Rolle, sondern auch die emotionalen Befindlichkeiten. Dies haben wir in Rottweil letztlich bei der Diskussion um den ursprünglich vorgeschlagenen Standort ›Bitzwald‹ erkannt und akzeptiert. Dementsprechend bin ich gegen einen neuen Suchlauf."

 Martin Hielscher, Sprecher der Freien Wähler, äußert nach Abstimmung mit seinen Fraktionskollegen: "Wir glauben, dass der Großteil der Kostensteigerungen nicht mit dem Standort Esch verbunden ist, sondern vielmehr der sehr langen Planungsphase geschuldet ist. Die Auslastung der Betriebe im Hoch- und Tiefbau lässt die Kosten weiter steigen. Wir rechnen hier in der Fraktion mit bis zu 25 Prozent Mehrkosten. Bedacht werden sollte zusätzlich, dass zum jetzigen Planungsstand allenfalls Kostenschätzungen möglich sind. Das Projekt ist daher sicherlich noch gut für weitere Überraschungen."

Gespannt ist die Fraktion, wie die Landesregierung die Mehrkosten rechtfertigen will. "Denn eins ist klar: Das Land baut die JVA. Wir sind nicht der Bauherr, sondern bieten nur das Gelände an. Daher ist es nicht unsere Aufgabe, die Kostenexplosion den Bürgern verständlich zu machen. Jetzt die Bedingungen im Esch als Grund für die Kostensteigerung anzuführen, ist eher eine Entschuldigung, denn eine Erklärung: Die Topografie war bekannt, der Untergrund durch Schürfungen ausgiebig untersucht und die fehlende Erschließung ist auch nichts Neues", so Hielscher.

"Der Standort Esch ist für uns der durch Bürgerentscheid legitimierte Standort an dem wir weiterhin festhalten. Ein erneuter Suchlauf ist alleine schon aus Gründen der Menschlichkeit in keinster Weise zu verantworten, würde er doch den Baubeginn wiederum um viele Jahre verzögern. Das Gefängnis Rottweil ist aktuell mit 39 Häftlingen, bei einer eigentlich geplanten Häftlingszahl von 20, fast zu 100 Prozent überbelegt. Ein menschenwürdiger Strafvollzug mit der Möglichkeit zur Resozialisierung kann so nicht gelingen. Zudem ist der Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichtes Rechnung zu tragen, nachdem Mehrfachbelegungen von Hafträumen nur unter bestimmten Bedingungen verfassungskonform sind. Diese sind jedoch gerade in Rottweil üblich", sagen die Freien Wähler.

Arved Sassnick, Vorsitzender der SPD-Fraktion im Gemeinderat, sagt: "Kostensteigerungen sind immer ein Aufreger; sie lassen die aufschrecken, die gegen das Projekt schon immer waren und sich jetzt bestätigt fühlen. Natürlich hat der Recht, der darauf hinweist, dass man mit den jetzt prognostizierten Kosten auch am Stallberg hätte bauen können: Aber das ist Schnee von gestern. Wohl wären die Kosten im Bitzwäldle mutmaßlich niedriger ausgefallen: Aber das ist auch Schnee von gestern.

Klar war von vorn herein nur, dass eine Haftanstalt am Esch unter den Bedingungen eines Architektenwettbewerbs zum Zweck der Ästhetik nicht zu billigen Preisen zu haben sein würde. Plant man dann in einer Phase der Bauhochkonjunktur, dann ist der Preis aller Erfahrung nach noch höher. Denen, die die eben genannten Standorte nicht gewollt haben, dies anzulasten ist müßig, genauso müßig wie die Frage, ob in Stuttgart früher richtig abgeschätzt oder kalkuliert worden ist. Genaues in der Kostenfrage weiß man im Augenblick ja noch nicht. Ob die Kosten vermittelbar sind, ist eine Frage für den Bauherrn, also die Landesregierung. Diese darf sich rechtfertigen, nicht die Stadtverwaltung.

Der Standort ist auf Rottweiler Gemarkung nach langem Suchen gefunden worden, weil in Stuttgart Herr Knödler von der Abteilung Vermögen und Bau am Stallberg nicht auf Gips bauen wollte und der grüne Ministerpräsident sein gegebenes Wort bezüglich des Bitzwäldchens nicht brechen mochte, sodass ein erneuter Suchlauf angeordnet wurde.

Jetzt nochmals für einen dritten Suchlauf einzutreten, hieße getroffenen Vereinbarungen brechen, die Fahne der Unzuverlässigkeit schwenken, bisherige Planungskosten in den Kamin schreiben zu wollen. Nebenbei: Wer sollte dies tun? Etwa Rottweil, um der Landesregierung sparen zu helfen? Und dies entgegen all der Argumente, die für den Justizstandort Rottweil ins Feld geführt worden sind, entgegen geltender Rechtslage? Doch nicht im Ernst!"

 Hubert Nowack, der Sprecher der Grünen-Fraktion im Gemeinderat, meint auf unsere Anfrage hin: "Wie zu diesem Zeitpunkt, wo noch nicht einmal der Architekturwettbewerb abgeschlossen ist und konkrete Planungen noch nicht vorliegen, schon von einer Kostensteigerung um 80 Millionen gesprochen werden kann, liegt wohl eher auch an der gestiegenen Zahl von 400 auf 500 Haftplätze, sowie an den Preissteigerungen im Laufe von acht Jahren."

Allerdings würden als Gründe der schwierige Baugrund und die Erschließung genannt, das wäre beim ersten Standort "Bitzwald" aber identisch gewesen, somit wären auch dort entsprechende Kostensteigerungen zu erwarten gewesen. Nowack weiter: "Es ist zumindest ehrlich und vorausschauend von der Landesregierung, eine zu erwartende Kostensteigerung rechtzeitig bekannt zu geben, wenn auch zum jetzigen Zeitpunkt noch keine Veranlassung dazu besteht."

Beim Bürgerentscheid 2015 hätten sich 58 Prozent für diesen Standort ausgesprochen und "da müssen wir uns dran halten. Wo bleibt denn sonst die Verlässlichkeit?" Der Standort Esch sei nun mal festgelegt, "auch wenn es mir persönlich nicht gefällt", so Nowack. Einen neuen Suchlauf könne er sich überhaupt nicht vorstellen. Allein die Zeitverzögerung für die dringend benötigten Haftplätze spräche dagegen.

 FFR-Stadträtin Heide Friederichs findet deutliche Worte: "Das Kostendesaster zum Neubau der JVA geht weiter und ist mit Sicherheit noch nicht zu Ende." Die Hanglage am Standort Esch sei bekannt gewesen, eine Verlagerung mehr in den Wald und mit Anbindung an die B 27 wurde vom Land untersucht, aber abgelehnt, möglicherweise hätten diese Mehrkosten die jetzt plötzlich neuen Kostensteigerungen aufgewogen. Sie fordert eine klare Transparenz und sieht durchaus ein Fragezeichen hinter der Frage, ob der Standort Esch politisch weiterhin vertreten werden könne.

"Die Kostenfrage war kein Thema beim Bürgerentscheid, der immer noch bindend ist. Umstritten war und ist der Standort Esch nach wie vor", so Friederichs. "Ich war nie für das Esch im Bürgerentscheid." Ein neuer Suchlauf würde die JVA vermutlich von Rottweil wegbringen; "am als Gefängnisstandort ausgewiesenen Stallberg mit Aushebung der Gipsvorkommen oder Untergrundeinbau gegen Gips wäre inzwischen das Gefängnis längst gebaut, aber das war von der Landesregierung strikt abgelehnt worden", so Friederichs.

 Grünen-Stadträtin Ingeborg Gekle-Maier, die sich an vorderster Stelle bei der Bürgerinitiative gegen den Bau eines Gefängnisses im "Bitzwald" engagierte, rechnet es dem grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann hoch an, dass er überhaupt einen Suchlauf nach objektiven Kriterien veranlasst habe. Das habe es unter der von CDU und FDP geführten Vorgängerregierung nicht gegeben. Das damalige Haftplatzentwicklungsprogramm 2015 des Landes habe überhaupt gar nicht definiert, wie ein Gefängnisneubau auszusehen habe. Gekle-Meier geht davon aus, dass auch der Bau eines Gefängnisses im "Bitzwald" aufgrund des sehr feuchten Baugrundes teurer ausgefallen wäre.  

Stadtrat Michael Gerlich (FDP) sagt: "Die Kostensteigerung ist bedauerlich, aber zu erwarten gewesen. Die Wahlkampfversprechen des Herrn Kretschmann sind halt teuer. Der Bitzwald wäre längst bezugsfertig." Alternative im Esch wäre gewesen, eine Blaupause von Offenburg aufzulegen, aber das wollte keiner, auch wenn es sicherlich billiger geworden wäre. Dass das Gelände leichtes Gefälle habe, mache vermutlich am wenigsten aus und die Erschließungskosten schlügen immer zu Buche, wenn man das Gefängnis nicht in ein bereits erschlossenes Wohngebiet stellen wolle. "Dagegen möchte ich nicht wissen, was der Antrag der Freien Wähler gekostet hat", so Gerlichs Seitenhieb: "Ein Jahr Zeitverschiebung, neue zusätzliche Untergrundbohrungen, die ganzen Flora-und Faunagutachten etc. mussten für die paar Meter nochmal erstellt werden."

Die Öffentlichkeit habe die Kosten durch ihre Wünsche, ob berechtigt oder nicht, mit nach oben getrieben. Von außen sollte es möglichst wie ein Juwel in der Landschaft aussehen, innen alles vom Feinsten. Resozialisierung ist teurer als nur wegsperren, das muss sich die Gesellschaft was kosten lassen. Die Öffentlichkeit, wir alle haben uns gefreut, dass das Land einen Architektenwettbewerb auslobt (siehe dagegen Blaupause Offenburg).

"Meines Erachtens muss selbstverständlich am jetzigen Standort festgehalten werden, denn a) ist schon genügend investiert worden (Bohrungen, Gutachten etc.) b) eine neue Standortsuche kostet noch mehr Geld und bringt mindestens ein weiteres Jahr Stillstand. c) die Stadt hat sich Jahre lang dafür verkämpft. Seien wir froh, dass das Land bei seiner Entscheidung bleibt. Jede Änderung, die jetzt noch vorgenommen wird kommt auf die 200 Millionen oben drauf", so Gerlich.  

Jens Jäger (Stadtrat, fraktionslos) sagt, er könne sich nicht vorstellen, dass das Land einen neuen Suchlauf starte. Die Haftplätze würden dringend benötigt, der ursprüngliche Haftentwicklungsplan sei auf das Jahr 2015 ausgerichtet gewesen, merkt Jäger an. Er kann nicht nachvollziehen, dass die Mehrkosten alleine mit der Topografie des Standortes begründet werden und weist darauf hin, dass man einst von 400 Häftlingen ausgegangen war. Das werde nicht reichen, benötigt würden an die 500 Plätze.  

Das Finanzministerium in Stuttgart sagt auf unsere neuerliche Anfrage: "Derzeit läuft noch ein Architektenwettbewerb. Konkrete Zahlen wird es erst geben, wenn der Planungswettbewerb abgeschlossen ist und die Planungen konkretisiert werden können. Die Zahl von 118 Millionen Euro, die im Raume steht, war und ist keine belastbare Kostenschätzung des konkreten Bauvorhabens, sondern nur ein grober, aufgrund von früheren abstrakten Erfahrungen für Gefängnisneubauten ins Auge gefasster Kostenrahmen, in der keine projektspezifische Sonderkosten enthalten sind. Projektspezifische Sonderkosten sind dabei insbesondere: Erschließung, Erdarbeiten, Sondergründungen und Qualität der Gebäudehülle. Diese Kosten sind nicht Teil des Architekturwettbewerbs. Die im Raum stehenden Kosten sind daher nur zum kleinen Teil auf den Standort Esch zurückzuführen, die vergleichbar auch bei anderen Standortvarianten anfallen würden."

Zum Standort Esch äußert das Ministerium: "Die ressortübergreifend getroffene Entscheidung für den in der Bevölkerung akzeptierten Standort Esch war Ergebnis eines komplexen Verfahrens unter Beteiligung des Ministeriums für Finanzen, des Ministeriums der Justiz und für Europa sowie des Staatsministeriums, letzteres wegen des Bürgerbeteiligungsverfahrens der Staatsrätin. Die Entscheidung erfolgte in einem Wechselspiel aus intensiver Prüfung, Abwägung und Bürgerbeteiligung vor Ort. Insgesamt ist das Ergebnis ein gutes Beispiel für gelebte Politik. Aus Sicht des Justizvollzugs spricht für Rottweil als traditionellem Vollzugsstandort insbesondere die zentrale Lage im künftigen Zuständigkeitsbereich und die gute Verkehrsanbindung. Wir wollen deshalb an dem gewählten Standort festhalten."

Zur Frage eines erneuten Suchlauf äußert das Ressort: "Wir haben den Suchlauf bereits zu Beginn groß angelegt durchgeführt. Es waren weitere Standorte in der engeren Auswahl, am Ende des komplexen Verfahrens war Rottweil der beste und passende Standort, weil die anderen nicht geeignet waren oder sich die Bürger schlicht dagegen ausgesprochen haben. Bei einem erneuten Suchlauf würden wir daher kein anderes als das bereits vorliegende Ergebnis erwarten. Hinzu kommt, dass Planungs- und Bauzeit weiter verlängert würden."